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Alles klar beim Treff mit Ministerpräsident?

Alles klar beim Treff mit Ministerpräsident?

Michael Kretschmer und mit ihm fast die gesamte Landesregierung stellten sich in Niesky intensiven Debatten. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Ministerpräsident Michael Kretschmer und mit ihm fast die gesamte Landesregierung haben sich am 6. April im Bürgerhaus Niesky der Diskussion gestellt. In mehreren thematischen Gesprächskreisen gab es beim „Sachsengespräch“ intensive Debatten.

Niesky. „Politik ist nur erfolgreich, wenn man sie gemeinsam macht“, sagt Ministerpräsident Michael Kretschmer am 6. April zur Begrüßung im Bürgerhaus Niesky.
Eine wichtige Botschaft und im Grunde auch ein Eingeständnis verbirgt sich darin. Die Politik muss mehr und mehr dem Vorwurf begegnen, abgehoben von den Erfordernissen abseits der Hauptstädte zu agieren – erst Recht in einer infrastrukturell besonders gebeutelten Region wie der Niederschlesischen Oberlausitz. Vor diesem Hintergrund hat sich eine neue Workshopform zu einem Trend entwickelt, den nun auch die sächsische Staatsregierung einsetzt – das sogenannte „Weltcafé“ (World Café).
Das Internetlexikon Wikipedia umschreibt: „Mit einem World-Café eröffnen die Einladenden den Gästen mit relativ wenig Aufwand und professioneller Anleitung einen sicheren Raum, um die verschiedenen Sichtweisen auf – und verschiedene Herangehensweisen an ein Thema voneinander kennenzulernen, Muster zu entdecken und Ziele und Zusammenhänge zu erkennen, neue Umgangsformen kennenzulernen, kooperativ zu werden, genau hinzuhören, zu hinterfragen, konstruktiv zu diskutieren und so gemeinsam Probleme aufzulösen.“
Eine gewisse Gratwanderung, denn ähnlich der in Radioprogrammen grassierenden Hörerbeteiligung kann damit auch die Möglichkeit verbunden sein einfach mal Mist abzuladen oder Frust abzubauen.
Doch die ganz große Masse der Teilnehmer in mehreren Gesprächskreisen ist nicht nur sehr selbstdiszipliniert, sondern vor allem auch gut vorbereitet. Gezielt steuern die Teilnehmer kleine Runden zu bestimmten Ressorts an, in denen die betreffenden Minister und Staatssekretäre auf das Feedback in der Provinz zu ihrem Tun warten.
Natürlich scharen sich in einem Nebenraum um den Ministerpräsidenten die meisten Teilnehmer, doch mancher Vertreter eines Berufsstandes oder einer Bürgerinitiative weiß, dass ein konkretes Ressort für ihn das bessere Forum bildet.
Wirtschafts- und Verkehrsstaatssekretär Hartmut Mangold etwa muss sich aus dem Munde mehrerer Seifhennersdorfer Klagen über den Nahverkehr anhören. Um nicht vom großen Verkehr abgeschnitten zu sein, ist ihnen die Busverbindung ins tschechische Rumburg (Rumburk) wichtig – doch die Bereitstellung von Nahverkehrsangeboten ende allzu oft an der Grenze.
HNO-Arzt Berndt Wehnert aus Niesky hinterlässt eine sichtlich um Antworten ringende Sozialministerin Barbara Klepsch. Eine ganze Kaskade widersinniger Abrechnungsvorgaben von Leistungen muss sich die Ministerin anhören, etwa dass er erst einmal 200 Audiogramme durchführen müsse, ehe damit überhaupt die notwendige Eichung des Gerätes bezahlt werden könne. Hingegen würden manch größere Akteure im Geschäft Patienten hin- und herkutschieren, je nachdem auf welcher Route sich später höhere Krankentransportrechnungen abrechnen ließen. Da konnte Barbara Klepsch fast durchatmen, als Bernd Wehnert anfügte kein Freund des Ärztenetzwerkes zu sein, das die Staatsregierung derzeit propagiert. Mit einer Gegenthese zu diesem Anliegen waren die offenkundigen Mängel an anderer Stelle erst einmal aus dem Blickwinkel.
Doch genau die Möglichkeit, negative bis oft groteske Folgen manch gut gemeinten politischen Vorstoßes schildern zu können, macht ein Weltcafé so interessant.
Und trotz manch misslicher Situation für die Politiker bringt dies Gesprächsformat auch wieder ein Stück Verständnis zurück in die Politik, weil diese hier schnell an die Grenzen ihrer PR-Sprache gerät. Ministerpräsident Michael Kretschmer durchleidet an diesem Abend ebenfalls solche Stationen, wenn er etwa einem Bewohner von Ober Prauske auf seine Klagen zu Hochwassergefahren und einer Untätigkeit in Dresden in der Angelegenheit etwas ratlos begegnet: „Ja, der Regen hat die letzten Jahre zugenommen“. Aber Kretschmer hat sein politisches Handwerk gelernt und findet zu einer entschlusskräftig wirkenden Körpersprache zurück: „Ich werde mal mit dem Bürgermeister telefonieren“. Beide Seiten können zufrieden sein.
Als der Ministerpräsident nach dem schleppenden Ausbau der B 178 nach Zittau gefragt wird, findet er sich auf einmal selbst in einem flammenden Plädoyer wieder. „Wenn der Ausbau stockt, ist Zittau nicht abgeschnitten, das ist Quatsch“, beklagt er, man könne wegen 15 Minuten auch Infrastruktur schlecht reden. Eine Gegenrede des Petenten kontert er mit „NEIN“ und einem entschlossenen Klatschen in die Hände zum Schreck der Zuhörer. Eine nochmalige Gegenrede lässt Kretschmer nicht abbringen: „Nicht Ja, ja – so ist das“, sagt er und setzt einen erfrischenden Gegenpol zum häufigsten Satz des Abends. „Schreiben Sie das bitte mal bitte auf, ich kümmere mich darum“. Immerhin: An einem solchen Versprechen kann man die Politik auch messen. Letztlich heißt es in der Wikipedia unter dem Eintrag Weltcafé auch: „Auch sind die Einladenden bemüht, den Gästen zu ermöglichen, über das Treffen hinaus kooperativ zu bleiben.“

Till Scholtz-Knobloch / 13.04.2018

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