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Botschaften weit über die Sorben hinaus

Botschaften weit über die Sorben hinaus

Robert Lorenz aus Wuischke hat sich erfolgreich einer überfälligen Übersetzung angenommen und Arnošt Mukas „Statistik der Lausitzer Sorben“ in Deutsch vorgelegt. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Nahe von Bautzen künden deutsch-sorbische Ortsschilder von einer gelebten Zweisprachigkeit der Region. Doch das sorbische Siedlungsgebiet mit zweisprachigen Schildern ist viel größer. Nun kann man Unschärfen an den Rändern viel besser nachspüren, da Dr. Robert Lorenz eine wichtige Übersetzungsarbeit geleistet hat, mit der auch deutschsprachige Leser erfahren, wie der sprachliche Stand noch Ende des 19. Jahrhunderts aussah.

Region. Die sorbische Sprache gehört zum Reichtum Sachsens und ist gleichzeitig ein Alleinstellungsmerkmal für die Lausitz. Diesen Grundsatz hat Kulturministerin Barbara Klepsch kürzlich in Bautzen noch einmal aufgezeigt, als sie nicht nur im Beisein von Vertretern des Dachverbandes der Sorben – der Domowina – die Kampagne für die sorbische Sprache „Sorbisch? Na klar.“ startete. „Die meisten offiziellen Kampagnen zum Thema Sorbisch in der Geschichte waren darauf angelegt, den Sorben das Sorbischsprechen abzugewöhnen“, sagte Domowina-Chef Dawid Statnik, der das Engagement der Landesregierung sehr begrüßt. „Es ist für uns ein großes Glück, dass der heutige Staat zum Sorbischsprechen und zur Sympathie fürs Sorbische ermuntert.“ 

Noch Ende des 19. Jahrhunderts musste sich Arnošt Muka um das heutige sorbischsprachige Kerngebiet keine Sorgen machen, als er seine „Statistik der Lausitzer Sorben“ (1884/86) herausgab, die vom Wuischker Robert Lorenz nun erstmals in deutscher Sprache herausgegeben wurde. Über Ralbitz beispielsweise schrieb Muka: „Die Ralbitzer ist eine der besten und reinsten sorbischen Gemeinden. Hier ist alles Sorbisch. Nur wenige können fließend Deutsch sprechen; viele Ältere verstehen kaum Deutsch“. Doch Muka suchte damals die genauen Konturen, ging auf Reisen und führte Briefverkehr zu seiner Frage, wie der Sprachstand in den einzelnen Orten aussähe. So charakterisierte er an der östlichen Flanke bei Niesky die Orte Kosel, See und Daubitz zu den „verdeutschten Gemeinden“. Der Leser erfährt etwa, dass 1820 bereits der sorbische Gottesdienst in Kosel verboten wurde oder in Daubitz 1883 immerhin noch 16 Sorben gezählt wurden. 

Wie akribisch Muka vorging, entnimmt der Nutzer Sätzen wie: „In der Familie Hancik spricht man Sorbisch“. Den oft wohl vollständigen Familiennamensbestand dieses und vieler anderer Orte dekliniert er in deutscher und sorbischer Schreibweise durch zum Beispiel Domašk = Domschke, Hanuš = Hansch, Nowak = Noack etc. Muka prüfte statistische Angaben, wenn etwa das Görlitzer Landratsamt 1880 für Krischa (heute Buchholz) 357 und für Tetta 144 Sorben meldete auf Stichhaltigkeit: „In den Schenken und Vereinen hört man sorbisches und deutsches Gespräch. An der Verdeutschung trägt Schuld, wie man mir schrieb: ‚Mode, Indifferenz, Schule, Militär’“. Er schaute der Bevölkerung vor Ort aufs Maul und notierte etwa in einer Schenke in Petershain die Unterhaltung von Vater und Tochter. Vater: „Na Hanka, što dha chceš?“ (Na Hanka, was willst Du?). Tochter (auf Deutsch): „Vater, Ihr sollt nach Hause kommen“. Die Frage  einer Mutter aus Groß Radisch auf Sorbisch, wohin denn die Gänse seien, entgegnete die Tochter: „Ich ho sä hiehar ’trieb’n“. Und auch den weichen, kulturellen Faktoren spürte Muka nach: Zur vorherr-schenden Kleidung um Dauban, Förstgen und Tauer notierte er: „Die Männertracht ist modisch, die der Frauen ist nur noch in Tauer gefildisch, in den anderen Dörfern ebenfalls nach der Mode“.

Das Kunststück, unterschiedliche Konnotationen des scheinbar gleichen Wortes in eine deutsche Übertragung zu fassen, stellte für Robert Lorenz, der elterlich zur Hälfte sorbischer Herkunft ist, selbst jedoch nur deutschsprachig aufwuchs, einen großen Anspruch dar. Aber allein die Präsenz sorbischer Märchen daheim hätten das nötige Hintergrundrauschen erzeugt, ein Verständnis für die sorbischen Belange der Region anzunehmen. Seine Übersetzung lebt einerseits aus dem Nachempfinden zeitgenössischen Sprachgebrauchs und stellt trotzdem auch ein Hybrid, wie er sagt, dar. „Weil ich zum Beispiel bewusst Sorben und nicht Wenden geschrieben habe, auch wenn damals in deutscher Sprache der Begriff Wenden überwog.“

Die genannten Orte an den Rändern wie Krischa (Buchholz), Dauban oder Kosel liegen heute knapp außerhalb der zweisprachig beschilderten Region. Denn gerade Mukas Statistik lieferte einst die wichtigste Grundlage zu entscheiden, wer auch heute dazugehört. Der einstige Drang, das Slawische aus dem Bewusstsein zu verbannen, ging in den 1930er Jahren weit über das sorbische Kerngebiet hinaus. Aus Mücka wurde bis 1947 Stockteich, aus Leschwitz-Posottendorf das heutige Görlitz-Weinhübel oder aus Krischa eben Buchholz. „Interessant ist, dass es ein paar Rückbenennungen nicht gab – beispielsweise im Fall von Buchholz/Krischa. Ich hätte auch nichts dagegen, wenn sich die Buchholzer mal einen Ruck geben könnten“, sagt Lorenz lachend mit Blick auf die unhistorische Neuschöpfung. „Man sagt, bis etwa 1920 sei der sorbische Sockel vielerorts noch stabil gewesen, ehe sich Brüche in der Minderheitenpolitik im aufgeheizten nationalen Klima ausbreiteten, ehe Vereinsverbote im Nationalsozialismus griffen oder Industrialisierung und natürlich der Tagebau am sprachlichen Bestand zehrten“, meint Lorenz.

Letztgenannte Aspekte hätten dem sorbischen Sprachgebiet an seiner östlichen Flanke schwerer zugesetzt. Aber auch die Frage, welche Unterschiede die Zugehörigkeit zu Sachsen im Westen und Preußen im Osten mit sich gebracht habe, sei nicht unerheblich. „Aus der sächsischen Perspektive gab es schon ein anderes Verständnis, wenn etwa die Kurprinzen um 1900 noch Sorbisch gelernt haben. Außerdem waren die geistig-kulturellen Zentren der Sorben traditionell eher um Bautzen – in Richtung Niesky gab es so auch weniger sorbische Patrioten, die den langen Weg nach Bautzen auf sich genommen haben“, versucht Lorenz eine Deutung.

Auffällig ist, dass die auf Mukas Forschungen basierende Sprachkarte – letztlich eine historische Momentaufnahme der 1880er Jahre – doch einige Abweichungen zum heute zweisprachig ausgewiesenen Gebiet hat. An der westlichen Flanke, wo der engere sorbische Sprachraum sehr nah ist, sind manche Orte ohne zweisprachige Beschilderung. „Wieso Uhyst am Taucher nicht im sorbischen Siedlungsgebiet liegen soll ist mir schleierhaft“, beteuert der Wissenschaftler. Hingegen sind in Brandenburg Orte bis Lüb- benau zweisprachig beschildert, die schon zu Mukas Zeiten von ihm nicht mehr erfasst wurden, da sie damals bereits außerhalb des sorbischen Sprachgebiets lagen. Zur unterschiedlichen Handhabung zuckt auch Lorenz mit den Schultern. Er überlegt: „Vielleicht liegt es daran, dass der Prozess des Sprachwandels in der Oberlausitz noch läuft und das Thema damit vielleicht schmerzhafter ist.“ In der Niederlausitz fehle dieser Aspekt. „Es ist aber ein Potenzial, das die Region trotzdem hat. Es ist die eigene Geschichte, die der eigenen Vorfahren. Deswegen finde ich den brandenburgischen Ansatz sympathisch.“ Und so seien etwa in der Niederschlesischen Oberlausitz zweisprachige Ortsschilder um die Hohe Dubrau auch als ein Stachel zu betrachten, etwas zu tun. „Es ist eine Option.“ Oder gar eine Option, in einst sorbischen Orten wie Sproitz oder See die Frage zu stellen, ob man sich auch dort zweisprachige Schilder vorstellen könnte. Immerhin: „In Klitten fallen mir noch zwei, drei Leute ein, die Sorbisch zumindest noch können“, gibt Lorenz zu der Frage zu Protokoll, was denn faktisch am östlichen Rand geblieben ist.

Lorenz wird mit seiner Übersetzung der Statistik der Lausitzer Sorben auch selbst einen historischen Stempel hinterlassen. In einem langen Vorwort beschreibt er Mukas und seine Vorgehensweise und erläutert dem Leser zudem Mukas für seine Zeit nicht untypisches Kulturverständnis. „Sein Kulturbegriff ist seiner Zeit geschuldet, es ist ein Text des nationalen Zeitalters, zum Beispiel dass es keine Unschärfen gibt, sondern nur das Sorbische oder das Deutsche.“ So charakterisiere sich Mukas kulturkonservative Ansichten auch darin, dass er feststellte, die Industrie räume dem Sorbischen keinen Platz ein – von ihr müssten sich die Sorben folglich fernhalten. „Das ist aber überhaupt kein sorbischer Reflex, sondern die Volkskunde dieser Zeit an sich war sehr konservativ“, meint Lorenz. Doch genau damit beugt er sich letztlich selbst mit eigenem Reflex einer Erwartungshaltung seiner Zeit, über den die Nachwelt vielleicht auch anders urteilen könnte.

Dass Mukas Werk nun in einer überaus gelungenen Übersetzung vorliegt, ist indes ein echter Gewinn weit über die sorbische Gemeinschaft hinaus. In dem Zusammenhang lässt aufschrecken, dass sich jüngst abermals Übergriffe auf sorbische Jugendliche ereigneten. „Ob 2014, 2018, 2020 oder zu anderen Zeiten – das Muster und die Orte sind immer die gleichen“, weiß Domowina-Sprecher Marcel Brauman. „Es gibt offenbar einen harten Kern antisorbisch eingestellter Jugendlicher, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken. Die Domowina verurteilt diese Taten aufs Schärfste und erwartet konsequente Strafverfolgung.“ Indes stellt sich in Hinblick auf die Historie der Oberlausitz die Frage, ob die mutmaßlichen Täter nicht selbst einmal ihre Herkunft beleuchten sollten. 

Till Scholtz-Knobloch und Roland Kaiser / 17.02.2020

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