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Dicht an der Leiche und Yvonne Catterfeld

Dicht an der Leiche und Yvonne Catterfeld

Hautnah an den Stars: Yvonne Catterfeld mit Niederschlesischer-Kurier-Redakteur und Komparse Till Scholtz-Knobloch. Foto: Daniel Arnold

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Neben der aktuellen Leiche fanden die Archäologen im Bonehaus am Obermarkt 26 auch einen 500 Jahre alten Schädel. Foto: Daniel Arnold

Görlitz. Eine Pressemitteilung zur Komparsensuche las sich wie ein kollektiver Aufruf. Ob jung oder alt, eigentlich suchte die Agentur Halleipzig Laiendarsteller jeder Art. Nach einem Anruf und dem Ausfüllen eines per Mail zugesandten Dokuments bin ich und mein achtjähriger, gleich mitangemeldeter Sohn Willi, bereits als Bewerber gespeichert. Nach wenigen Tagen erreicht mich knackig effektiv eine kurze Mail, dass Willi am 13. Oktober in der Antonstraße mit anderen Jungs vor der Kamera Fußball spielen soll. Für ihn brauche ich unterschriebene Unbedenklichkeitsbescheinigungen von der Schule, seiner Kinderärztin und dem Jugendamt. Mit der Terminorganisation und dem Abklappern der Stationen ist ein Tag gut ausgefüllt und ich denke gar nicht mehr an meine eigene Bewerbung.

Wenige Tage darauf kommt dann doch ein Anruf, dass ich mich die Tage doch bitte zu einem Casting im Parkhotel einfinden solle. Ich bin gleich morgens um 7.00 Uhr an der Reihe vorzusprechen. Nach dem Ausfüllen neuerlicher Formulare mit Steuer-ID, Konfektionsgrößen oder Kontaktmöglichkeiten bittet ein sich später als Co-Regisseur entpuppender Mitarbeiter darum, dass ich mich kurz vor laufender Kamera vorstelle. Mit einem hinzugebetenen Bewerber soll ich im Anschluss zwei Szenen improvisieren.

Zum einen einen Redakteur, der Kommissar Butsch hinterherruft, nach einem Leichenfund Infos rauszurücken, zum anderen einen Archäologen, der einem Auto entsteigt, Kisten mit Einsatzmaterial zum Tatort schafft und an diesem eine parallel gefundene 500 Jahre alte Leiche freilegt.

Die Komparsenagentur hat also tatsächlich einen Blick für Typen, denn sie wusste zwar, dass ich Redakteur bin, nicht jedoch, dass ich auch Geschichte studiert habe. Wieder gehen einige Tage ins Land, in denen ich mich eigentlich schon darauf eingestellt habe, dass andere ihre Aufgabe vielleicht besser erledigt haben. Doch dann werde auch ich für den 4. und 5. Oktober gebucht.

Am Mittwoch bin ich für 9.00 Uhr zum Obermarkt bestellt, wo ich mit Alltagskleidung ausstaffiert werde, die meinem sonstigen Stil in keiner Weise entspricht. Nicht so schlimm, denn der Großteil davon wird von einem blauen Kunstfaseroverall verdeckt, der mir zunächst lässig auf Hüfthöhe festgebunden wird. Der Dreh findet am bekannten Bürgerhaus „Brauner Hirsch“ am Untermarkt statt, wo ich mit einem Großteil der etwa zwei Dutzend im Erdgeschoss wartenden Komparsenkollegen ins Gespräche komme. Während jedoch „Bauarbeiter“ und „Polizisten“ von Zeit zu Zeit zu den Szenen hinzugerufen werden, ist mein erster Auftrag gegen 12.00 Uhr der Gang zum Cateringwagen am Obermarkt.

Hier kann ich zwischen Spaghetti Aglio e Olio und Züricher Geschnetzeltem wählen und fühle mich erstmals irgendwie dazugehörig. Beim weiteren Warten gibt es auch keinen Zwischenstand, für wann mit dem Einsatz zu rechnen ist. Am späten Nachmittag endlich darf ich die schweren Metallkoffer zur Hand nehmen und in mehreren Einstellungen aus dem vorgefahrenen Pickup aussteigen, die Kisten entladen und an Yvonne Catterfeld vorbei in den Gang zum Hinterhof huschen. Die Szene wird von allen Seiten gedreht. In einer Einstellung endet Götz Schuberts Weg hinter der Tür, hinter der wir Archäologenkomparsen schon verschwunden sind. Diesen „Erstkontakt“ mit uns lockert er dadurch auf, dass er bei der mehrmaligen Wiederholung einzeln auf uns zeigt und sagt: „Lebt, lebt auch noch, lebt ebenfalls noch“. Dies entzieht sich ja bereits dem Blickwinkel der Kamera.
Weit dichter dran bin ich dann am Donnerstag. Wir sind nun im Kellerraum der beiden Leichenfunde. Im dritten Teil von Wolfsland stoßen die Archäologen nämlich neben der 500 Jahre alten Leiche auch auf einen aktuellen Toten. Der ortskundige Fernsehzuschauer wähnt die Forensiker, Kommissare und Archäologen nun also in den Gemäuern am Untermarkt, während wir uns tatsächlich jedoch im mittlerweile leerstehenden sogenannten Bonehaus neben der Verrätergasse befinden. Da heute so wenige Komparsen benötigt werden, sind wir nun ganz dicht dabei.

Separate Verpflegungsstationen gibt es hier nicht. So komme ich beim Schnittchenessen auch kurz mit Jan Dose ins Gespräch, der den Spurensicherer mit dem bezeichnenden Namen Jakob Böhme spielt. Angesichts der vielen Beteiligten wird es aber ohnehin fast kuschelig, wobei „Bitte Ruhe, Dreh“-Rufe immer wieder manchen Plausch unterbrechen.

Ich schleiche mich oft leise hinter einen Kontrollmonitor, wo der Tonmeister per Funk Kontakt zum Kameramann im Keller sucht, um die aktuellen Einstellungen zu besprechen. Zahlreiche Unterbrechungen – auch aufgrund des Geklappers im Dachstuhl wegen Sturm Xavier – führen dazu, dass ich erst am späten Nachmittag in den Keller darf. Auf wenigen Quadratmetern sind hier fast zehn Schauspieler und Komparsen und eine etwa gleich große Anzahl an Filmleuten zusammengepfercht. Götz Schubert stürmt die folgende Stunde mehrmals in das Gewölbe und amüsiert sich über die Historiker und ihren „Krempel“, während er seine aktuelle Leiche auf einem Seziertisch in Augenschein nimmt.

Ich bin währenddessen dabei, mit Pinseln „meine“ Leiche am Boden freizulegen. Yvonne Catterfeld erklärt Götz Schubert unendliche Male, dass neben der neuen Leiche eine Zigarettenschachtel und ein 2012 an einer Löbauer Tankstelle gekauftes Pornoheft lag. Eilig stürmt Götz Schubert anschließend hinaus, wobei er über die Gebeine „meiner“ historischen Leiche stolpert und von mir Kopfschütteln und ein genervtes „Man, man, man“ erntet. Nach einer Weile machen sich Gerüchte breit, dass der Dreh noch bis etwa 22.00 Uhr Uhr dauern könne. Doch gegen 19.00 Uhr entscheidet sich das Filmteam anders. Auf weitere Einstellungen aus entgegengesetzter Richtung wird verzichtet, womit in den Kellerszenen von mir wohl nur die Rückseite zu sehen sein wird. Zum Abschluss des Tages fülle ich den mittlerweile dritten Honorarvertrag mit einem Bruttostundenlohn von neun Euro pro Stunde aus. Das Abenteuer ist beendet, aber ein wenig Spaß folgt noch beim abendlichen Chat mit Freunden. Jeder muss zunächst meine nervige Phrase lesen, „Man, man, man, war das hart am Set“. Schon am folgenden Tag bin ich wieder in der „realen Welt“ und denke mir: „Die vom Film kochen auch alle nur mit Wasser.“

Till Scholtz-Knobloch / 16.10.2017

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