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Eine unangetastete Männerdomäne

Eine unangetastete Männerdomäne

Bernhard Ziesch aus Neu-Jeßnitz ist ein gestandener Osterreiter. Seit fast 50 Jahren verkündet er jeweils am Ostersonntag hoch zu Ross die Botschaft von der Auferstehung des Herrn. Foto: RK

Schon Ende des 15. Jahrhunderts klagten die Herren der Schöpfung aufgrund der ungewöhnlichen Sitzhaltung über Muskelkater in den Oberschenkeln. Zu dieser Zeit soll es zwischen Hoyerswerda und Wittichenau erste Osterprozessionen hoch zu Ross gegeben haben, besagt die Geschichte. In der Folge breitete sich der Brauch auf andere Gegenden aus. Bislang alles Männersache. Und daran wird sich so schnell auch nichts ändern.

Region.
Bernhard Ziesch ist hochgewachsen und von kräftiger Statur. Eigentlich wirft ihn so schnell nichts um. Doch kurz vorm Osterfest macht ihm ausgerechnet eines seiner Kniegelenke einen Strich durch die Rechnung. Ein 49. Mal steigt er deshalb nicht auf einen Pferderücken, seine Ärzte hatten ihm davon abgeraten. Die Jahre zuvor war er stets dabei – und zwar als einer von schätzungsweise 1.500 Osterreitern in der sorbischen Oberlausitz. Die letzte Unterbrechung liegt lange zurück, erinnert sich der 67-jährige Vater von zwei erwachsenen Söhnen. Das war damals der Armeezeit geschuldet, sagt er. Das Lausitzer Urgestein weiß um die Verbindung Mann und Pferd. Dass eine Frau zu damaligen Zeiten hoch zu Ross unterwegs war, sei nicht gerade typisch gewesen. Obwohl sich dies inzwischen grundlegend geändert hat: Auf den österlichen Brauch wirkte sich die Emanzipation bislang jedoch nicht aus. Und so berichtet Bernhard Ziesch in seinem behaglichen Heim von einer reinen Männerdomäne und gibt einen Einblick in das Geheimnis der Osterreiterprozessionen.

Für ihn nahm das Ganze mit zarten 14 Jahren seinen Anfang in Radibor – seiner Heimatgemeinde. Nach dem Umzug nach Neu-Jeßnitz ritt er einige Zeit im Kilometer entfernten Crostwitz, bis eines Tages der Reiterzug Storcha wieder zum Leben erweckt wurde. Seit da an führt ihn der Weg alljährlich wieder nach Radibor, auf dessen Friedhof inzwischen einige seiner Verwandten ruhen, erzählt der Tierfreund. Und so schloss sich für ihn der Kreis.

Jedes Mal aufs Neue bricht er von Dreikretscham aus auf, um mit dem Pferd, das er sich im Vorfeld geliehen hat, die vorgegebene Strecke zurückzulegen. Seit über einem Jahrzehnt ist das gängige Praxis im Hause Ziesch.

Traditionell wird am Mittag des Ostersonntags die Botschaft von der Auferstehung Christi hoch zu Ross in die Nachbargemeinde getragen. Dabei erklingt festlicher Gesang in sorbischer Sprache. Im Anschluss treten die Reiter mit den blumenverzierten Tieren den Rückweg an. „Da der Pferdebestand hier zu Lande begrenzt ist, muss sich jeder der Osterreiter auf eigene Kosten – meist eine dreistellige Summe – frühzeitig darum kümmern, dass er spätestens am Ostersonntag eine Stute oder einen Hengst im Stall stehen hat“, meint der erfahrene Prozessionsteilnehmer. „In meinem Fall ist es so, dass ich für diesen Anlass gemeinsam mit mehreren anderen Osterreitern die Tiere von ein und demselben Pferdehalter aus dem Raum Freiberg beziehe.“ Und so fahren wenige Stunden vor dem geschlossenen Ausritt fünf Transporter mit jeweils zwei Pferden in der Box vor.

In Dreikretscham, dem Sammelpunkt, finden die Vierbeiner zunächst einen Unterschlupf. „Da es sich von Jahr zu Jahr keineswegs um die gleichen Pferde handelt, müssen wir sofort nach deren Ankunft ein Vertrauensverhältnis zu ihnen aufbauen“, erklärt Bernhard Ziesch. Das gehe erfahrungsgemäß über eine freundliche Begrüßung, ein paar aufmunternde Worte, das Füttern und ein Streicheln am Hals, an den Ohren und am Kopf recht problemlos. Hufe auskratzen und das Striegeln des Fells tun ihr Übriges und dem Pferd gut. „Eines sollte jeder wissen, der sich als Neuling auf die Mission Osterreiten einlässt: Auf keinen Fall darf das Tier merken, dass man Angst oder Respekt vor ihm hat“, betont er. „Außerdem ist es ratsam, es niemals aus den Augen zu lassen. Der erste Kontakt bleibt der wichtigste. Wie bei uns Menschen entscheidet sich in dem Augenblick, ob man miteinander kann oder nicht.“ Angenommen, das Pferd will einmal doch nicht so wie sein Reiter, dann heißt es ruhig Blut bewahren, empfiehlt Bernhard Ziesch. Gleichzeitig kann er beruhigen: „Dass sich ein Reiter während der Prozession Blessuren holt, ist eher die Ausnahme.“ Die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls sei um ein Vielfaches höher, wenn man zuvor einige Proberitte unternimmt. Darauf verzichtete der Lausitzer in der Regel in den zurückliegenden Jahren.

Doch das Reiten ist nur die eine Seite der Medaille. Während die mit Gehrock und schwarzem Zylinder ausstaffierten Männer auf den gestriegelten und geschmückten Pferden unterwegs sind, werde darauf Wert gelegt, dass die Osterbotschaft eindrucksvoll und korrekt im Beisein der Schaulustigen, die aller Voraussicht nach auch diesmal die Straßenränder zu Tausenden säumen, wiedergegeben wird. Das bedeutet: Der Gesang und eine würdevolle Haltung müssen sitzen. Wer zu dem Tross neu hinzustößt, bekommt laut Bernhard Ziesch auf Wunsch Unterricht im Singen. Um eine Ausbildung im Reiten sollte sich möglichst jeder selbst kümmern. Darüber hinaus wird erwartet, dass alle Teilnehmer des Umzugs getauft sind, sie sämtliche kirchliche Feierlichkeiten während der Karwoche und der Ostertage wahrnehmen und darüber hinaus der sorbischen Sprache mächtig sind. „Rein aus der Tradition heraus lautet unser Auftrag, am Ostersonntag die Botschaft von der Auferstehung Christi glaubhaft zu verkünden. Nur dann wird uns das Publikum das Ganze abnehmen“, betont Bernhard Ziesch. Doch auch dieses möchte sich an die Spielregeln halten, bitten die Osterreiter. Immerhin handele es sich keinesfalls um eine spaßige Aktion, bei der man meint, eventuell Pferde erschrecken zu können. „In solch einem Fall würden wir durchaus Gefahr laufen, dass sich ein Unfall ereignet“, zeichnet der 67-Jährige ein mögliches Szenario. Vor diesem Hintergrund wirbt er einmal mehr um Verständnis bei den zahllosen Schaulustigen. Im Beisein von Generalvikar und Domdekan Andreas Kutschke soll alles wie nach dem Bilderbuch ablaufen. Der Vertreter des Bistums Dresden-Meißen wird die Radiborer Männer hoch zu Ross bei ihrer Prozession begleiten. 2018 ist er nunmehr zum siebten Mal bei den Osterreiterprozessionen dabei.

Die Wurzeln dieses Brauches reichen wahrscheinlich bis in vorchristliche Zeiten zurück. Durch Feldumritte glaubten unsere Vorfahren, die jungen Saaten vor der Missgunst des Bösen schützen zu können. Unter dem Einfluss des Christentums wandelten sich die Ritte wohl in christliche Prozessionen, die heute ein öffentliches Bekenntnis zum christlichen Glauben darstellen.

In der Oberlausitz existieren neun Osterreiterzüge, an denen überwiegend Sorben teilnehmen. Lediglich in der Wittichenauer Prozession gibt es seit etwa 110 Jahren auch deutschsprachige Mitwirkende.

Hoch zu Ross singen die Männer Lieder, die von der Auferstehung Christi künden. Unter dem Läuten der Kirchenglocken und mit Gesang führt die Prozession von der Heimatkirche aus um die Felder bis ins nächste Dorf. Außerhalb der Ortschaften sagt die Reiterschar den Rosenkranz und andere Gebete auf. In ihrer Prozession führen sie das Kreuz, Kirchenfahnen und die Statue des Auferstandenen mit – genauso, wie es die Reiter machen werden, die am Sonntag überall im Landkreis unterwegs sind.

Bernhard Ziesch indes nutzt die verordnete Zwangspause dazu, um den zahlreichen Besuchern, die sich an Ostern speziell das Spektakel in Bautzen nicht entgehen lassen möchten, bereits am Karsamstag im Haus der Sorben den Brauch zu veranschaulichen, damit sie pünktlich zur Prozession wissen, warum sich ausschließlich Männer auf den Rücken der Pferde schwingen und so singend und betend von Ort zu Ort ziehen.

Roland Kaiser / 31.03.2018

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