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Friedliche Koexistenz in der Fußgängerzone?

Friedliche Koexistenz in der Fußgängerzone?

Kein Fahrrad weit und breit auf der Reichenstraße: Nachdem im Zuge eines Verkehrsversuches die entsprechenden Schilder angebracht worden sind, ändert sich das sicherlich. Foto: RK

37 Jahre, nachdem die Reichenstraße in Bautzen zur Fußgängerzone erklärt wurde, müssen sich Passanten wieder auf mehr Verkehr zwischen Korn- und Hauptmarkt einstellen. Die Stadt erlaubt Radfahrern vorerst testweise, die Verbindungsachse im Ortskern zu nutzen. Das kommt nicht bei jedem gut an.

Bautzen. Die Spreestadt hat einen Aufreger mehr: Nachdem die Verwaltung im Zuge eines fünfmonatigen Verkehrsversuchs das Radfahren auf der Reichenstraße und auf dem Hauptmarkt offiziell gestatten will, laufen Kritiker dagegen Sturm. Bereits im Bauausschuss wurde kontrovers darüber diskutiert, inwieweit ein solcher Vorstoß Sinn macht. Selbst dort, so heißt es aus gut unterrichteten Kreisen, gab es mehrere ablehnende Stimmen, die auf eine unnötige Gefahrenzunahme verwiesen. Bislang waren die beiden verkehrsberuhigten Orte im historischen Zentrum ausschließlich Passanten vorbehalten. Ausnahme bildeten Lieferfahrzeuge. Einzig allein sie durften in die Fußgängerzone rollen. Wer sich nicht an die Spielregeln hielt, riskierte eine Geldstrafe in Höhe von bis zu 30 Euro. Das alles soll nun testweise aufgeweicht werden.

Wunsch aus der Bürgerschaft wird Rechnung getragen

Stadtrat Heiner Schleppers, der selbst schon einmal zwischen Reichenturm und Rathaus von einer Pedalritterin aufs Korn genommen und von ihr auch noch beschimpft wurde, kann nur mit dem Kopf schütteln. „Es ist gut, dass es lediglich ein Versuch und nicht gleich die endgültige Regelung ist“, sagte der Bautzener dem Oberlausitzer Kurier auf Anfrage. „Warum das gerade jetzt erfolgt, entzieht sich meiner Kenntnis.“ Die Kommune argumentiert damit, dass viele Einwohner einen solchen Wunsch an die Verwaltung herangetragen hätten. „Der Versuch ist eine Reaktion auf einen Antrag aus der Bürgerschaft, der der Stadtverwaltung vorliegt“, beantwortete Rathaussprecherin Laura Ziegler die Frage des Stadtrates. Auch habe das Beispiel Prager Straße in Dresden eine gewisse Rolle bei der Entscheidung gespielt, die Reichenstraße bis zum 23. November für Radfahrer freizugeben. Dort arrangieren sich bereits seit etwa einem Jahrzehnt beide Verkehrsteilnehmergruppen so gut es geht. Jedoch bleiben Zusammenstöße nicht gänzlich aus. Allein 2015 wurden laut einem Zeitungsbericht in der Landeshauptstadt 73 Kollisionen zwischen Passanten und Radlern bei der Polizei angezeigt. Ein Teil davon trug sich in der beliebten Fußgängerzone zwischen Centrum Galerie und Hauptbahnhof zu.   

m Jahr darauf hatte der Gemeindliche Vollzugsdienst bereits 77 Radfahrer auf Gehwegen kontrolliert, bei denen es auch Zwischenfälle mit Fußgängern gab. In 55 Fällen wurde Anzeige erstattet, der Rest kam mit einem Verwarngeld davon oder wurde belehrt. „Wir bekommen vor allem Beschwerden zur Prager Straße“, erklärte damals Polizeisprecher Thomas Geithner in dem Zusammenhang. „Deshalb sind wir dort mit Fußstreifen unterwegs.“ Jahre später heißt es aus dem Dresdener Rathaus dazu: „Unsere Verkehrsexperten im Straßen- und Tiefbauamt schätzen ein, dass sich die Lösung an der Prager Straße bewährt hat.“ Es seien keine Änderungen geplant.

Bedenken auf Seiten der Kritiker

Auch in der Bautzener Fußgängerzone will die Polizei in den nächsten Wochen Präsenz zeigen. „Wir werden das Verkehrsprojekt begleiten und uns von Zeit zu Zeit ein Bild von der Lage in der Reichenstraße machen“, betonte Thomas Knaup von der Polizeidirektion Görlitz. „Etwaige Verstöße werden die Beamten entsprechend ahnden. Mit vorsichtiger und vorausschauender Fahrweise, gegenseitiger Rücksichtnahme und entsprechender Aufmerksamkeit aller Verkehrsteilnehmer sollte ein unfallfreies Auskommen möglich sein.“ Ähnlich sieht das Laura Ziegler. Ihr zufolge sind während der Testphase einige Regeln „zwingend“ zu beachten: „Der Radverkehr hat auf die Fußgänger Rücksicht zu nehmen. Der Fußgängerverkehr darf weder gefährdet noch behindert werden. Wenn nötig, muss der Radverkehr warten. Grundsätzlich darf nur Schrittgeschwindigkeit gefahren werden. Darüber hinaus besteht im Rahmen des Versuches die Möglichkeit, von der Reichenstraße aus in die Theatergasse und die Hauensteingasse zu fahren. Umgekehrt ist das nicht erlaubt.“ Und weiter: „Trotz aller Vorschriften sollten wir genügend Vertrauen in die Radfahrer haben.“ Genau in dem Punkt hat nicht nur Heiner Schleppers so seine Bedenken. „Wie die Kommune das sicherstellen will, das keine Fußgänger angefahren werden, weiß ich nicht. Der bis jetzt geduldete Radverkehr in dieser Fußgängerzone, dazu gehört auch der Hauptmarkt, stellte die Stadt schon vor große Probleme. Es wird einfach peinlich werden, wenn Radler der Meinung sind, mittendurch fahren zu können. Wir stellen somit auch die Stadtführer vor Probleme. Einen Radverkehr auf der Reichenstraße erachte ich als überflüssig.“ FDP-Mann Mike Hauschild springt dem Stadtratskollegen von der CDU-Fraktion zur Seite: „Wie schlecht sich Radfahrer in Bautzen an Regeln wie Schrittgeschwindigkeit und gegenseitige Rücksichtnahme halten, kann man täglich in der Seminarstraße am Theater erleben. Dass dieser Unsinn nun tatsächlich erlaubt wird, war bei der Vorstellung im Ausschuss nicht abzusehen.“ Der Liberale gab weiterhin zu bedenken: „Bautzen ist keine Radfahrerstadt. Die 18.000 Einpendler pro Tag werden auch nicht mit dem Rad kommen, wenn die Stadtverwaltung die Autos ganz verbietet.“ Linken-Stadtrat Steffen Grundmann hingegen sieht die entspannte Atmosphäre durch Pedalritter beeinträchtigt: „Sinn einer Fußgängerzone ist ja auch, dass die Passanten möglichst ungestört die Ladengeschäfte wahrnehmen können. Vor Ort sind zudem viele Familien unterwegs und Kinder, die herumtollen. Wir laufen Gefahr, dass uns diese Entspanntheit verloren geht.“ Einen entscheidenden Vorteil, als Radfahrer die autofreie Verbindungsachse zwischen Korn- und Hauptmarkt zu nutzen, kann der Bürgervertreter indes nicht erkennen: „Radler müssen sich darüber im Klaren sein, dass man auf diese Weise keine Zeit gewinne – die Rücksichtnahme und einen vorsichtigen Fahrstil vorausgesetzt. Wenn ich es eilig habe, würde ich dafür entweder die Hintere Reichenstraße oder die Kesselstraße nutzen.“

Dickes Lob aus Reihen der Fahrradlobby

Seine Überlegungen gehen in die Richtung, einen Radverkehr in der Fußgängerzone lediglich außerhalb der Haupteinkaufszeiten zu gestatten. „Dass Radfahrer abends oder sonntags auf der Reichenstraße zur Kasse gebeten werden, war bisher schon unverständlich.“ Die Linken sehen an dieser Stelle noch so einigen Diskussionsbedarf.

Für Martin Ritscher vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) steht schon jetzt fest: „Wir begrüßen den Verkehrsversuch. Jeder Schritt zu einer erhöhten Fahrradfreundlichkeit der Stadt Bautzen verbessert deren Attraktivität und hilft dabei, motorisierten Verkehr zu vermeiden. Dies wirkt sich unmittelbar auf die Lebensqualität der Kommune aus. Die Öffnung der Reichenstraße verbessert zugleich die Zugänglichkeit der Läden auf der Straße für Radfahrer und erhöht damit die Attraktivität als Einkaufsort. Dies kommt den Radfahrern entgegen und den Einzelhändlern gleichermaßen. Nachteile könnten dann entstehen, wenn sich Radfahrer nicht an die mit der neuen Regelung verbundenen Verkehrsregeln halten.“ Diese dürfen sich in der Reichenstraße nur mit Schrittgeschwindigkeit bewegen, betonte noch einmal der Ortsgruppenchef des Interessenverbandes. „Dies bedeutet keine deutlich erhöhte Geschwindigkeit gegenüber dem bisher erlaubten Schieben des Rades. Unfälle mit Passanten können deshalb nur dann entstehen, wenn sich Radfahrer nicht an die Regeln halten oder Passanten unbedacht und schnell die Richtung wechseln. Wir gehen davon aus, dass die Einhaltung der Regeln überwacht wird.“ Doch auch anderswo in Bautzen sieht der ADFC Handlungsbedarf. Martin Ritscher: „Bei fehlenden oder zu schmalen Schutzstreifen beziehungsweise zu schmalen Radwegen entlang der Tzschirnerstraße oder in Höhe der Autobahnbrückendurchfahrt in Burk, auf alten Hochbordradwegen, bei denen die Benutzungspflicht bislang nicht aufgehoben wurde – das betrifft beispielsweise den Ziegelwall und die Muskauer Straße –, bei nicht mehr erkennbaren Markierungen, bei ungenügend ausgebauten Rückführungen von Radwegen auf die Straße unter anderem vor der Schwimmhalle, an schlecht erkennbaren beziehungsweise gefährlich ausgeführten Pollern und Umlaufsperren und auch da, wo andere Verkehrsteilnehmer Regeln missachten und so den Radverkehr behindern.“ Damit spielte er auf die Missachtung des rechtsseitigen Parkverbotes an der Seminarstraße an.
Zurück ins Herz der Altstadt: Dass Pedalritter die Reichenstraße nunmehr ganz legitim befahren können sollen, stößt ebenso auf Zustimmung bei Citymanagerin Gunhild Mimuß. Sie erhofft sich dadurch eine Attraktivitätssteigerung des Bautzener Zentrums. „Ich gehe davon aus, dass sich die Besucherfrequenz erhöht. Einkäufe lassen sich nun einmal mit dem Fahrrad besser transportieren. Seitens der Händler wurden jedenfalls keine negativen Kommentare oder Anfragen an mich herangetragen.“ Grünen-Stadtrat Claus Gruhl indes vermag die ganze Aufregung um dieses Thema nicht nachzuvollziehen. „Radfahrer in Fußgängerzonen sind in vielen Städten völlig normal, und mir sind keine chaotischen Zustände bekannt geworden. Auch im Vorfeld der Öffnung der Einbahnstraßen wurden Horrorszenarien heraufbeschworen. Passiert ist am Ende – nichts“, meinte er. „Bei vielen Bautzenern gehen die Uhren eben langsamer, immer ein bisschen hinterher. Jüngst wurde in der Haushaltsberatung von der Mehrheit auch das Geld für neue Radstellplätze gestrichen. Mein Gott, es ist ein Versuch. Was soll schon passieren? Das kann man doch auch gelassener sehen.“ So wie Roland Fleischer von der SPD: „Fußgängerzonen mit Radfahrverkehr ist in einigen Städten erprobt, funktioniert und trägt zur Befriedigung der verschiedenen Interessen bei. Ich sehe hier kein Problem für Bautzen. Bei solchen Zonen hat immer der Fußgänger Vorrang, ist als schwächerer Verkehrsteilnehmer zu schützen und muss dementsprechend stets besonders beachtet werden.“

Die Meinungen der Bürger sind gefragt

Kritik hin, Lob her: Der Versuch startet, sobald die Verkehrszeichen „Radverkehr frei“ angebracht sind. Er endet am 23. November 2018. Im Anschluss will die Verwaltung den Versuch auswerten. Ergebnisse sollen bis zum nächsten Frühjahr vorliegen. Laura Ziegler: „Diese bilden die sachliche Grundlage, um über die Freigabe der Fußgängerzone für den Radverkehr grundsätzlich entscheiden zu können.“ In diesem Zusammenhang bittet die Verwaltung darum, dass Bürgerinnen und Bürger ihre Erfahrungen einfließen lassen. Anmerkungen werden bis zum 30. November 2018 unter der E-Mail-Adresse verkehrsplanung@bautzen.de entgegengenommen.
Das letzte Wort in der Angelegenheit haben schließlich die Stadträte. Sie entscheiden darüber, ob die Regelung dauerhaft etabliert wird oder nicht.

Roland Kaiser / 16.07.2018

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