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Über das wütende Schielen nach Bautzen

Über das wütende Schielen nach Bautzen

Historiker Dr. Lars-Arne Dannenberg präsentiert am Bautzner Kornmarkt dem Niederschlesischen Kurier das Oberlausitzer Hausbuch 2019 und den Jubiläumsband zum 10. Görlitzer Kreisjubiläum, die federführend von ihm stammen. Foto: TSK

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Robert Lorenz (links) bei der Buchvorstellung „Schlesische Metamorphosen“ im Schlesischen Museum im Gespräch mit NSK-Redakteur Till Scholtz-Knobloch; in der Mitte Stadtführer und Publizist Thomas Maruck. Foto: Klaudia Kandzia

Das Jubiläumsjahr „10 Jahre Landkreis Görlitz“ neigt sich dem Ende zu. Im Bücherherbst 2018 gibt es nun interessante Reflexionen, die der Selbstfindung und dem Gemeinschaftsgefühl in der Region auf der Spur sind.

Region.
Der Titel ist mit Bedacht des regionalen Ausgleichs gewählt. „Streiflichter zwischen Bad Muskau und Zittau“ mit dem kleiner geschriebenen Untertitel „10 Jahre Landkreis Görlitz“ heißt die frisch aus der Presse gekommene Festschrift, mit der nicht nur die Kreisbewohner das kulturelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche, touristische und sportliche Leben des Kreises erkunden oder in Naturkunde und Geschichte schwelgen können. Und letzteres ist ja bekanntlich nicht ganz einfach in einer Region mit unterschiedlichen Prägungen, die vor zehn Jahren eben nicht entlang des sächsisch-preußischen Nordwest-Südostschnitts durch die Oberlausitz erfolgte, sondern auf Dresdner Geheiß, in nord-südlicher Ausrichtung.

Das Autorenkollektiv um Historiker Dr. Lars-Arne Dannenberg vom „Zentrum für Kultur//Geschichte“ hatte also keine leichte Aufgabe, in der dieser in seiner geschichtlichen Einleitung jedoch einen Anknüpfungspunkt anbietet. „Der heutige Landkreis Görlitz hat seine Wurzeln im Mittelalter, als die Markgrafen von Brandenburg 1268 die spätere Oberlausitz entsprechend dem in Brandenburg bewährten Vogteisystem in die Länder Bautzen und Görlitz teilten.“ Entlang des Löbauer Wassers geteilt, käme die Aufteilung – wenn auch ohne Löbau – der heutigen Kreisgrenze sehr nahe. Eine beigefügte historische Karte untermauert die These. Der Kreis habe damit gewissermaßen eine auch 750-jährige Geschichte, wie auch Landrat Bernd Lange im Vorwort aufgreift.

Robert Lorenz musste seine Expertise als Ethnologe mit seiner Doktorarbeit erst nachweisen. Als solcher konnte er sich von alten Dokumenten lösen und in Gesprächen mit der Bevölkerung deren eigene heimatliche Verortung erforschen.

Ebenfalls als bekennender Oberlausitzer widmete er sich nach einstigen Forschungen zum Volkstum in Klitten nun dem Thema „Schlesische Metamorphosen“ nach 1990. Dem Schlesischen „Revival” war er in Interviews mit damaligen Akteuren und Beobachtungen bei Volksfesten, Heimatabenden und Fußballspielen auf der Spur und setzte diese mit historischen Gegebenheiten von Görlitz und der östlichen Oberlausitz ins Verhältnis. Bei der Buchvorstellung „Schlesische Metamorphosen“ im Schlesischen Museum Anfang November definiert er die Arbeit als „Friedensangebot“ zwischen Oberlausitz- und Schlesienverfechtern, denn er habe die besondere Gefühlslage des Landstrichs nachvollziehen können und wolle den Menschen ihr Schlesiertum nicht streitig machen. „Eigentlich hat sich nur die Strategie der Menschen hier geändert“, betont er mit Blick darauf, dass man in Görlitz und Umgebung den eigenen Habitus in seinen Randlagen immer durch ein Alleinstellungsmerkmal verteidigt habe. Ob nun vor dem Krieg als Oberlausitzer im preußischen Schlesien oder heute als Schlesier in Sachsen. Immer schwinge dabei der Kaufmannsstolz der Stadt Görlitz mit, die stets mit dem größten Bahnhof oder dem größten Konzertsaal zwischen Dresden und Breslau herausragt und sich gegenüber ihren Zentren positioniert. Schmunzelnd gibt Lorenz zu Protokoll: „Eigentlich ist man als Auswärtiger geneigt zu sagen: Nun kommt mal wieder runter. Görliwood usw.“ Das klingt aus seinem Mund in keiner Weise böse, denn den Stolz der Neißestadt und seines Hinterlandes hat er intensiv aufgesogen und kann den Schmerz über den Verlust der einstigen Bedeutung nachvollziehen.

Herausgekommen ist dabei ein Werk, dass ohne allzu komplizierte wissenschaftliche Schnörkel als „Handbuch des Verstehens der Görlitzer“ für Touristen ebenso hervorragend geeignet ist, wie für Alteingesessene, die ein Art regionales Lesebuch vor sich finden, in der man der eigenen Sozialisation über Jahrzehnte nachspüren kann und in vielen Passagen geradezu literarischen Lesegenuss erlebt.

Aber sind die Menschen entlang der Lausitzer Neiße nicht auch „Bezirksdresdner“ geworden – Beispiel: Der große Dynamo-Anhang? „Fans von Budissa Bautzen rufen ’Sachsen’ als Schlachtruf, das wird ein Görlitzer nie tun, egal wie sehr er Dynamofan ist. Das Denken auch im Görlitz der DDR war: Wir sind die Nr. 2 nach Dresden mit Straßenbahn, Industriebetrieben, Kultur, Theater usw.“ und er fügt an: „Und jetzt soll das Bautzen sein? Das hat die Seele tief gekränkt. Dieses wütende Schielen richtig Bautzen habe ich bei meinen Forschungen ganz oft erlebt.“ Und so könne er durchaus nachvollziehen, dass der Stadionsprecher von Gelb-Weiß Görlitz die „Gäste aus der Oberlausitz in Niederschlesien“ begrüßt, was er bei einem Spiel gegen Neugersdorf erlebt habe. Ähnlich amüsant sei für ihn, dass man auf der einen Seite des Königshainer Autobahntunnels in Schlesien, auf der anderen Seite in der Oberlausitz sein solle. „Die Gleichzeitigkeit vermisse ich schon“, sagt Lorenz, der seit 1. Oktober am Sorbischen Institut Bautzen tätig ist und seine Dissertation so auch ungewöhnlicherweise im Domowina-Verlag veröffentlicht hat.

Wissenschaftler der Region kennen sich natürlich untereinander. Und so verwundert es auch nicht, dass sich im Abschnitt über Gelb-Weiß Görlitz in der eingangs beschriebenen Kreischronik mit Texten u.a. von Lars-Arne Dannenberg ein Foto mit dem Spielplakat vom Spiel des Niederschlesischen FV 09 Gelb-Weiß gegen den FC Oberlausitz Neugersdorf findet. Bildunterschrift: „Ein ’Länderspiel’ in der Landesliga“, womit man nach dem Absturz der Gelb-Weißen unweigerlich wieder beim neidischen Schielen auf Bautzen landet.

Das hat über lange Jahre auch die Sicht von der Neiße auf das regionale Jahrbuch „Neues Oberlausitzer Hausbuch“ bestimmt, das immer im Ruf stand bautzen- und oberlandlastig zu sein. Lars-Arne Dannenberg, der Texte hierfür zusammenstellt, möchte auch hier den Blick weiten. Auf der Titelseite 2019 ist der Berzdorfer See zu finden. „Wir bemühen uns immer stärker auch die Oberlausitz in den sie umgebenden Beziehungsrahmen zu setzen“, betont er. 

Neben kalendarischen Informationen, Mundartgedichten, kulturellen und historischen Beiträgen aus der gesamten Oberlausitz finden sich darin eine Kriminal- und Liebesgeschichte aus dem 18. Jahrhundert in Stift Joachimstein. In der Reihe „12 für‘s Jahr“ geht es dieses Mal um Oberlausitzer Berge, um die sich allerlei Sagen und Mythen ranken. Des weiteren werden heute vergessene Zeugnisse zur sorbischen Kultur und Geschichte in Wort und Bild vorgestellt. Der Blick auf die Nachbarn Brandenburg/Preußen, Schlesien/ Polen und Böhmen/Tschechien solle weiter ausgebaut werden. 2019 geht es z.B. um das „Heim ins Reich“ des Sudetenlandes 1938 bis 1945.

Der „Niederschlesische Kurier“ verlost fünf mal ein Exemplar des Neuen Oberlausitzer Hausbuchs 2019. Schreiben Sie bis Mittwoch, 14. November unter dem Stichwort „Oberlausitzer Hausbuch“ eine E-Mail an: verlosung@LN-Verlag.de. Die Gewinner werden ausgelost und bekommen die Bücher danach zugesandt.

Till Scholtz-Knobloch / 12.11.2018

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