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Als in der Seele ein Fenster offenblieb

Als in der Seele ein Fenster offenblieb

60 Jahre nach ihrer Konfirmation ging es für die Jubilare noch einmal in gut von Pfarrer Steffen Kroll dirigierten Zweierreihen in die Kirche von Hähnichen. Foto: Till Scholtz-Knobloch

53 Acht- und Neuntklässler der Polytechnischen Oberschule Hähnichen sowie Schüler aus Trebus ließen sich 1965 in Hähnichen konfirmieren. Dabei wollte die DDR doch möglichst vollzählig auf die Jugendweihe umerziehen. Dass ein ganzer Jahrgang nicht mitzog, kostete den Schuldirektor seinen Posten. Zur Diamantenen Konfirmation trafen sich die Rebellen von einst wieder.

Hähnichen.
Pfarrer Steffen Kroll zählt im Konfirmationsjahrgang 2025 sieben junge Leute, dabei reicht sein Einzugsgebiet heute im Westen bis Kosel und im Nordosten bis Daubitz. Zu Christi Himmelfahrt sollten sie sich auf dem Erlichthof in Rietschen vorstellen. Die Kirche in Hähnichen mit ihren Schäfchen in Spree, Trebus und Quolsdorf allein brachte es 1965 auf 53 Konfirmanden. Wolfgang Liebig aus Spree hatte zur Goldenen Konfirmation vor zehn Jahren immerhin 33 Jubilare zusammenbekommen, 2025 sind es nun immer noch 27 gewesen.

„Wie wird die Welt wohl aussehen, wenn diese sieben jungen Menschen ihr diamantenes Konfirmationsjubiläum 2085 feiern werden?“ Das fragte Steffen nun im Jubiläumsgottesdienst und stellte im Verglich zu den Sieben, die am 8. Juni um 10.00 Uhr nun auf ihren Weg ins Leben mit Gott geleitet werden, fest: „Wahrscheinlich bekommen diese sieben mehr Geschenke als Sie alle zusammen bekommen haben.“

Der aus Trebus stammende Helmut Weinhold ist zum Jubiläumsgottesdienst mit seiner Ehefrau Monika aus Trebendorf, die des Schleifer Sorbischen noch mächtig ist, aus Cottbus angereist und schlendert vor dem Jubiläumsgottesdienst noch etwas über den Friedhof von Hähnichen. Hier berichtet er: „Mein Opa war hier Kirchenältester und auf alle Fälle war es damals ein schöner Aufruhr – so viele Konfirmanden und so wenige gingen zur Jugendweihe. Aus Hähnichen ist wohl einer zur Jugendweihe gegangen. Daraufhin hatten sie den Schuldirektor abgesägt“, fasst er noch einmal das Ergebnis davon zusammen, dass sich Jugendliche und Eltern geschlossen zeigten und nicht mitspielten, die nun propagierte Jugendweihe anzunehmen. Aus Trebus und Kosel habe er 26 Mitschüler gehabt, „davon sind nur zwei zur Jugendweihe gegangen und der Rest nicht. Vorher gab es großes Theater, da sollten wir das Gedicht „Die schlesischen Weber“ (Anmerkung: von Heinrich Heine) aufsagen. Wir haben aber verweigert die zweite Strophe aufzusagen:

Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten / In Winterskälte und Hungersnöthen / Wir haben vergebens gehofft und geharrt / Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt / Wir weben, wir weben!

Und als wir das taten war Polen offen! Da kam der Schulrat und die obersten ’Parteiniks’ und haben in der Klasse Theater gemacht.“ Auf die Frage, wer treibende Kraft gewesen sei, Schüler oder Elternhäuser meint er: „Das kann ich gar nicht so sagen, mein Vater war in der SED, wir haben aber einfach zusammengehangen wie die Kletten – und das ist im Grunde bis heute so.“

„Wir haben schon gewusst, was wir machen“

Isolde Hempel, geborene Seidel und Monika Koch aus Spree stellten vor dem Gottesdienst unmissverständlich klar: „Wir wollten alle die Konfirmation, auch weil der Pfarrer so ein Netter war. Der hat das verstanden mit uns zu arbeiten. Wir haben schon gewusst, was wir machen.“ Und Isolde Hempel fügt hinzu. „Wenn wir am Montag Konfirmationsunterricht hatten, haben wir am Dienstag eine Klassenarbeit oder so etwas geschrieben. Da haben wir ja am Montag nicht gelernt, weil wir ja dort waren.“ Quasi sei das als Strafe gedacht gewesen. Im späteren Lebensweg sei ihnen das alles aber nicht mehr angelastet worden, die ein oder andere Schwierigkeit rechnet sie dem Umstand zu, dass ihr Vater beim Volksaufstand am 17. Juni 1953 dabei war. „Aber den Schuldirektor hat es sehr betroffen, der musste weg.“

„Der Mut von 1965 sollte auch in die heutige Zeit transformiert werden“

Renate Münnich aus Löbau weiß jedoch zu berichten, dass Repressalien später kamen. Als sich ihre 1970 geborene Tochter in einer stomatologischen Praxis vorstellte, habe es gehießen, „wenn die keine Jugendweihe hat, dann passt sie nicht in unsere Gesellschaft.“ Der Betreffende sei dann übrigens der der erste gewesen, der in der Wendezeit rübergegangen sei. Gabi Herrmann, heute aus Horka, hingegen hat im Berufsleben als Schuhverkäuferin keine Nachwirkungen gespürt.
Wolfgang Liebig aus Spree ist als Organisator der Zusammenkunft stolz: „Mit dem damaligen Fiasko für den Staat haben wir 1965, vier Jahre nach dem Mauerbau, Mut bewiesen und Zeichen gesetzt und das sollte auch in die heutige Zeit transformiert werden, dass es heute genau darum geht, sich über Dinge den Kopf zu machen, selbst eine Meinung zu bilden und danach auch zu handeln und sich nicht von äußeren Einflüssen lenken lassen um damit ein unzufriedener Mensch zu werden.“ Dass er heute noch zur Kirche gehe, „da ist Pfarrer Kroll schuld, denn er setzt interessante Akzente im Gottesdienst.“

Kroll bezog sich im Jubiläumsgottesdienst auf Marcel Proust und seine Suche nach der verlorenen Zeit. Proust habe den Ansatz verfolgt, dass man sich stets ein Stücken Himmel freihalten solle. So halte man sich auch in der Seele ein Fenster offen und das Bewusstsein, dass es mehr als das eigene Leben gibt, einen Himmel der behütet. Es sei klug immer wieder mit Gott zu rechnen – 1965 hat das in Hähnichen mit Unterstützung aus Spree, Trebus, Kosel und Quolsdorf geklappt.

Till Scholtz-Knobloch / 30.05.2025

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