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„Das Gute hat man bei ihr schon früh gesehen“

„Das Gute hat man bei ihr schon früh gesehen“

Ilse Katzer sagt Nachbarin Andrea Beyerlein über den NSK einfach einmal Danke für Hilfe im Alltag. Heute bringt Andrea Beyerlein nur ein paar Kleinigkeiten im Korb vorbei. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Als Engel das Alltags erweisen sich gerade Menschen, die uneigennützig Älteren zur Seite stehen. Andrea Beyerlein aus Groß Radisch ist so eine Hilfe, die ihrer 84-jährigen Nachbarin Ilse Katzer immer wieder im Alltag unter die Arme greift und nach dem Rechten schaut. Ohne Geld – einfach, weil eine Gesellschaft so am besten funktioniert und man zudem menschliche Wärme auch zurückbekommt.

Groß Radisch. Ilse Kratzer aus Groß Radisch ist für ihre 84 Jahre erstaunlich fit. Vor allem ist sie geistig voll auf der Höhe und steigt schon zur Begrüßung beim Besuch vom Niederschlesischen Kurier voll in die Tagespolitik ein: „Na, wird’s der März?“, fragt sie gleich nach dem Handschlag beim Weg an den Küchentisch.

Und auch in der folgenden Stunde steht das Hier und Heute ständig im Mittelpunkt, wenn fast ohne Unterlass das Telefon klingelt und sie den Plausch über Politik, Zeitgeschehen und Neuigkeiten aus dem Ort nur damit abwimmelt, dass ja gerade Besuch da sei.
Vor 24 Jahren ist sie bereits in Rente gegangen. Einen Zusammenhang stellt sie dennoch her. „Heute tun mir ganz schön die Arme weh“, klagt sie und führt dies auf ihre schwere Arbeit einst im Waggonbau Niesky zurück, wo sie für Lackierarbeiten an den Drehgestellfedern zuständig war. Das hat Ilse Katzer dennoch auch heute nicht davon abgehalten, eine Torte zu backen. „Meine Spezialität ist Buttercremetorte“, sagt sie. Heute backt sie für einen ihrer neun Urenkel. Auch wenn fast die gesamte Nachkommenschaft im Westen gelandet ist, kann sich die rüstige Seniorin, die bei fast allen Veranstaltungen des Seniorenkreises der Kirchengemeinde in Groß Radisch teilnimmt, immer wieder ins Spiel bringen.

Doch wenn die familiäre Präsenz vor Ort verloren gegangen ist, ist es dennoch gut jemanden in der Nähe zu wissen, der täglich vorbeischaut, nach dem Rechten sieht und zugreift, wenn die Arme nicht mehr so wollen, wie der rüstige Kopf.

Nachbarin Andrea Beyerlein ist eine solch gute Seele, die vielfach auf dem Land noch zur Seite steht, in der Anonymität der Städte hingegen schon die große Ausnahme wäre.

Dabei ist Andrea Beyerlein, die wenige Häuser weiter wohnt, selbst bereits EU-Rentnerin. Sie hat zwei Kinder und zwei Enkel – immerhin leben auch die in Groß Radisch. Andrea Beyerleins Mutter ist früh gestorben, so dass sie selbst schon früh die Last spürte den Laden zusammenzuhalten.

In die Verantwortung für Ilse Kratzer ist Andrea Beyerlein schon in jungen Jahren hineingewachsen. Noch als Ilse Katzers Mann lebte, saß das Ehepaar Katzer häufig im Trabbi von Andrea Beyerlein. „Oft ging es zum Einkauf oder zu Ausflügen nach Polen“, erinnert sich Beyerlein, die mit einem Einkaufskorb für Ilse Katzer nun dazugestoßen ist.


„Mein Mann hatte ja erst mit über 60 Jahren seinen Führerschein gemacht“, sagt Ilse Katzer. „Sie hat schon als junges Mädchen immer gefragt, ob sie uns helfen könnte, z.B., ob sie uns mit dem Auto mal wieder mitnehmen könnte“, blickt Ilse Katzer die Jahrzehnte zurück, in denen Andrea Beyerlein auch ohne verwandtschaftliche Beziehung immer irgendwie zur Seite stand. „Das Gute, was sie in sich hat, das hat man bei ihr schon früh gesehen“, betont Ilse Katzer. „Sie hat schon meine Großeltern verpflegt und das immer ohne Geld“.

Der Trabbi ist lange ausrangiert, doch auf dem Beifahrersitz ihrer Helferin sitzt Ilse Katzer heute immer noch. Mal geht es zum Einkaufen oder zu Besuchen von Freunden in Altenheime nach Niesky oder Görlitz, mal zum Arzt. „Andrea ruft jeden Tag abends an, manchmal trinken wir auch einfach einen Grog zusammen“, sagt Ilse Katzer. Und wenn sie sich die Last ersparen will, ein Mittagessen zu kochen, gehen beide gerne auch in den Dorfladen „Einkehr bei Franz“ zu „Bruni“ (Brunhilde Woite), wo es auch einen Mittagstisch gibt. Nur eine Verrichtung im Haus von Ilse Katzer hat Andrea Beyerlein noch nicht gemacht – den Anschluss der Gasflaschen. Das Technische ist eben nicht so ihr Metier – ihre Stärke ist die die weibliche Intuition der Nähe und des Machens, was sonst so zu tun ist! Die Ofenheizung bekommt Ilse Katzer z.B. alleine an, die Kohle hingegen befördert Andrea Beyerlein ins Haus.
Und auch wenn Ilse Katzer trotz ihres Alters fest im Hier und Jetzt steht, so steht Andrea Beyerlein auch immer für ein Gespräch über Erinnerungen an früher bereit. Und da hat Ilse Katzer einiges zu berichten.

Ehemann Achim war seit seiner Jugend beim SV Gebelzig aktiv, sie begleitete ihn häufig zu den Fußballspielen heim wie auswärts. Und auch den Künsten war ihr Mann zugetan. Er spielte als Geiger in der Görlitzer Fledermaus, daheim am Akkordeon und natürlich auch in der regional sehr bekannten Combo „Unisono“, so dass auch immer wieder musikalische Abende anstanden. Letztlich hatte ihr Geburtshaus, in dem sie bis heute lebt, als Gasthof und Fleischerei einst sogar einen Tanzsaal. Anekdoten versüßen die Erinnerungen, da Gatte Joachim einen Zwillingsbruder hatte.

Aber auch vom Großstadtleben Berlins schwärmt sie und blickt gerne auf ihre Zeit in der Hauptstadt zurück, wo sie in jungen Jahren zur Kinderbe-treuung war. Zudem gibt es dort auch weiterhin Verwandtschaft. Auch wenn die Leute heute weniger Geselligkeit suchen würden, meint sie: „Heute ist die Welt anders schön“. Mit großen Reisen in die Welt soll hingegen Schluss sein. Vier Jahre nacheinander war sie nun mit einer ihrer Enkelinnen und Familie auf Aida-Kreuzfahrt. 2020 will sie sich diesen Kraftakt nicht mehr antun.
Daheim bei einem Kreuzworträtsel ist ja auch gemütlich, obwohl sie einwirft: Ich hab ja keene Zeit“. Einem Mittagsschlaf kann sie so auch nichts abgewinnen. Es wäre wohl auch zu nervenaufreibend – denn wie in dieser Sekunde – klingelt ja dauernd das Telefon...
 

Till Scholtz-Knobloch / 29.02.2020

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