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Deutschland ist einfach ein Wanderland

Deutschland ist einfach ein Wanderland

Jens Neumann erläutert unterwegs auch Kulturgeschichtliches – hier den Burgwall der Besunzane in Nieda (Niedow) am Wittig (Witka-)Stausee am vergangenen Wochenende. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Die Freien Wanderer Niesky können bei ihren Wanderungen meist durch die Oberlausitz bis zu zwei Dutzend Interessierte zum Mitlaufen ganz ohne die Zwänge eines Vereins mit Mitgliedsbeiträgen und Sitzungen ermuntern. Ein Aufruf im Niederschlesischen Kurier führte nun gleich 89 Freunde des Wanderns zu einem von Jens Neumann vorbereiteten Ausflug zusammen.

Niesky. Auf dem Parkplatz vor der Sporthalle in Hagenwerder steht Jens Neumann und grübelt mit manchen Mitstreitern der Freien Wanderer Niesky über den Grund des Massenauflaufs. Normalerweise folgen seinen Aufrufen zu Wanderungen meist durch die Oberlausitz 15 oder 20 Freunde der Natur und Kulturgeschichte. Doch die Versammelten tragen mehrheitlich Wanderschuhe und sind teilweise mit Stöcken und Rucksäcken erschienen.
Da die Tour am 23. Februar ihren Ausgangspunkt im Görlitzer Ortsteil nimmt, löste der Niederschlesische Kurier mit seiner Ankündigung auch in der Görlitzausgabe der Zeitung letztlich einen kleinen Volkswandertag aus. Doch den geradezu in sich ruhenden 37-jährigen Nieskyer Antiquar kann die Aufgabe, die Schar zusammenzubringen, nicht in Panik versetzen. „Schön, dass Sie alle so zahlreich erschienen sind“, ruft er schmunzelnd in die Runde, die mittlerweile den vermeintlichen Organisator ausgemacht hat. Wer dicht neben ihm steht bekommt noch mit, dass Neumann zu seinem Nachbarn leise sagt: „Diesmal stimmt das ja wirklich“.

Neumann scheint neben einem Enkelkind in der Gruppe der vielleicht jüngste Wanderer des Tages zu sein und erklärt dem Niederschlesischen Kurier beim Marschbefehl: „Im ersten Moment habe ich schon einen großen Schreck bekommen. Zum Abschluss kehren wir ja in einer Gaststätte ein und jetzt muss ich natürlich abklären, ob die die nun 89 von uns schnell gezählten Wanderer überhaupt bewirten können“.
Schon kurz hinter der Neißebrücke richtet sich Jens Neumann erstmals auch kulturgeschichtlich an die Mitgänger, indem er am Stift Joachimstein einen selbst verfassten Abschnitt über die Geschichte des Stifts und die 1815 hier erfolgte Grenzziehung vorliest, die den Ort Radmeritz (Radomierzyce) zu einem Teil des preußischen Schlesiens machte, während das Stift gleich hinter der Wittig (Witka) bei Sachsen verblieb und folgend ein Symbol des Zusammenhalts des Oberlausitzer Adels wurde.
Doch das Interesse der Görlitzer richtet sich auch auf die Wandergruppe als solche.

„So etwas fehlt mir in Görlitz“, sagt eine Dame, die aus dem benachbarten Dorf Nieda (Niedów) stammt und an diesem Tag auch schauen möchte, wie sich ihr Heimatdorf seit ihrem letzten Besuch vor fünf Jahren verändert hat. Viele Jahre sei sie Teil einer Wandergruppe Görlitzer Lehrer gewesen, die heute in der Rente verstreut leben und nicht mehr zusammenfinden.

Auch Doris Bauermann nutzt den Schutz der Gruppe, um wieder einmal die Heimat auch östlich der Neiße zu erwandern. In Görlitz hatte ihre Mutter eine Drogerie und ihr Vater ein Fotogeschäft gleich hinter der Neiße. „Nachdem wir weg mussten, mussten wir dann miterleben, wie das Haus verfiel und wie letztlich ein Holunderbusch aus dem Dach herauswuchs.“ Sie habe alle Arten von Wanderungen, bin zu internationalen miterlebt. „Mit der Familie sind wir auch viel gewandert. Wandern kann man bei jedem Wetter und immer hat man schöne Erlebnisse“, doch der heutige Tag sei schon etwas besonderes für sie. „Bei Wanderungen unterhält man sich über alles Mögliche, vor allem aber über die Natur“. Sie sei daher auch in der Naturforschenden Gesellschaft und werde am Sonntag auch noch an den Ullersdorfer Teichen wandern. Der Rothenburger Bernhard Kassler pflichtet dem bei: „In der Zeitung stand es. Bewegung braucht man immer und das Wetter ist auch gut“, nennt er als Grund für seine Teilnahme.

Besonders gut kommt an, dass Jens Neumann das illustre Völkchen von Zeit zu Zeit – ohne dabei zu überfrachten – mit seinen Informationen zur Kulturgeschichte versorgt. Nach einer Rast am Wittig (Witka-) Stausee bremst er die Gruppe für einige Minuten an einem Hügel und erklärt, dass dieser einst einen Burgwall des Stammes der Besunzane getragen habe. Da er keine deutschsprachigen Informationen im Internet gefunden habe, habe er die zweisprachige Infotafel auf einer vorbereitenden Wanderung fotografiert. Man merkt Neumann die Freude an, die er bei der Vermittlung der Heimatkunde hat. Letztlich ist Neumann auch einer der fünf Autoren, des Buches „Mein Vergnügen“ über die Nieskyer Parkanlage „Alt-Monplaisir“, mit der er deren Vergangenheit den heutigen Bewohnern der Stadt näher bringen möchte und auch immer wieder zu deren gemeinsamer Pflege einlädt.

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Die Freien Wanderer Niesky mit dem riesigen Tross der Wanderfreunde am Schloss Lomnitz (Lomnica). Foto: Till Scholtz-Knobloch

Er selbst habe sich früher von der einstigen Nieskyer Wandergilde ferngehalten. „Es ist ja schwierig, gerade für jüngere, wenn man einen festen Kreis nicht kennt”. Mit den Freien Wanderern sind er und seine Mitstreiter letztlich in den Trend der Zeit vorgestoßen, auch ohne Verpflichtungen des Vereinswesens gemeinsam etwas zu erleben. „Hier kann sich jeder einbringen. Wir sind daran interessiert, dass sich Menschen mit Ideen für Touren auch selber engagieren“, betont er. Und da diese Herangehensweise sehr flexibel ist, wird der nächste Ausflug am 16. März ausnahmsweise als Fahrradausflug von Niesky über Waldsee und Horka über 25 km nach Biehain und zurück führen. Am 13. April gibt es eine „nicht ganz alltägliche Stadtführung mit ‘Meister Hans’ durch die Bautzner Altstadt, ehe vom Mai bis Dezember wieder „normale” Wanderungen stattfinden – ob nun um die Guttauer Teiche, zur Burg Tzschocha (Czocha), nach Waltersdorf oder Rammenau.
Joachim Morgenstern, der von der Wanderung ab Hagenwerder durch die Ankündigung im Niederschlesischen Kurier erfuhr und erstmals in dieser Runde dabei ist, gehört da noch der traditionellen Denkschiene an. Der aus Wittichenau stammende Rentner ist Mitte der 90er Jahre zum wieder gegründeten Riesengebirgsverein gestoßen. Nachdem er 1996 beitrat, war er 1997 bereits der Vorsitzende in Görlitz. „Ich wollte das eigentlich nur so drei Jahre machen, daraus sind dann letztlich 15 Jahre geworden“, sagt er. Auch ihn packt jedoch die Kulturgeschichte und so konnte er dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg für die dort bis zum 28. April zu sehende Ausstellung „Wanderland – eine Reise durch die Geschichte des Wanderns“ viele Exponate aus seiner eigenen Sammlung zur Verfügung stellen. Letztlich hat sich Morgenstern über sein Amt auch intensiv der Geschichte des Riesengebirges angenommen, ohne selbst Schlesier oder Böhme zu sein. Das Germanische Nationalmuseum kündigt übrigens einleitend seine Schau wie folgt an: „Wandern ist eine überaus populäre Freizeitbeschäftigung in Deutschland. Ist Wandern typisch deutsch? Seit wann wird gewandert und wie entwickelte sich diese kulturelle Praxis?”

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Die Karawane der Wanderer zieht vornehmlich durch die Landschaften der Oberlausitz. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Das Bedürfnis, der Heimat und der Natur in einer globalisierten und übertechnisierten Welt wieder näher zu kommen, scheint tatsächlich riesig zu sein – die Freien Wanderer greifen dies quasi im Trend der Zeit auf. Eigentlich fehlt es nur an mehr Menschen wie Jens Neumann, die eine Gruppe zu mobilisieren im Stande sind. Übrigens ging die Wanderung von Hagenwerder aus auch organisatorisch gut aus. Die Weinstube Hanna in Radmeritz konnte am Ende 80 vom Wandern hungrige Mäuler sättigen, nachdem Neumann einige Male von unterwegs „Zwischenstand” gegeben hat, dass nun tatsächlich bis zu 90 statt maximal 20 Wanderer kommen werden.

Till Scholtz-Knobloch / 03.03.2019

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