„EU-Zerstörung“ wird von Polen gekontert

Die Präsenz von Polizei, Zoll und Grenzschutz an der Stadtbrücke steigt – hier bei einem Protest polnisch-nationaler Gruppen im Mai an der Stadtbrücke. Foto: Matthias Wehnert

Als die Tageschau die polnischen Kontrollen ab Montag vermeldete, tat sie dies am 1. Juli mit einem Foto aus Görlitz, während der Filmbeitrag aus Frankfurt (Oder) stammte. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Der innerstädtische Verkehr in Görlitz – insbesondere auf polnischer Seite – droht ab Montag der Dauerkollaps. Deutsche Kontrollen werden dann mit polnischen gekontert, weil Deutschland die eigentlichen Gründe für die Situation an den Grenzen nicht beseitigt.
Warschau/Brüssel. Polen wird ab Montag, dem 7. Juli, vorübergehend Grenzkontrollen zu Deutschland und Litauen einführen. Laut Ministerpräsident Donald Tusk soll „der unkontrollierte Strom von Migranten hin und zurück begrenzt werden“. Zugleich machte Tusk aber auch keinen Hehl aus der Retourkutsche: „Ich habe die deutsche Seite bereits im März vorgewarnt und mehrfach mit dem neuen Kanzler darüber gesprochen.“ Tusk erläuterte, dass Polen die einseitigen Grenzkontrollen bislang stillschweigend hingenommen habe. Doch mit der neuen Praxis, auch Menschen nach Polen zurückzuschicken, sei diese Zurückhaltung nicht länger vertretbar.
Normalerweise gibt es im Schengenraum, dem alle drei Länder angehören, keine stationären Kontrollen an den Binnengrenzen. Die Kontrollen müssen bei der EU-Kommission angemeldet und genehmigt werden. Die Bundesregierung hatte zuvor bereits Grenzkontrollen zur Abwehr irregulärer Migration angeordnet.
Zgorzelec’ Bürgermeister Rafal Gronicz hatte die deutsche Praxis kürzlich ebenso hart kritisiert und indirekt auch als Schauelement deutscher Innenpolitik kritisiert, als der darauf hinwies, dass auf der Stadtbrücke intensiv kontrolliert werde, während Menschen auf der Altstadtbrücke munter die Seiten wechseln. Erfahrungsgemäß war etwa auch der Grenzübergang Radmeritz (Radomierzyce)-Hagenwerder vom motorisierten Verkehr meist frei passierbar gewesen. Hingegen ist zu Hochzeiten auf polnischer Seite von Görlitz zuletzt oft kein Durchkommen gewesen. In einem Gespräch mit der Gazeta Wroclawska wies Gronicz darauf hin, dass rund 30 Prozent der Bevölkerung seiner Stadthälfte in Deutschland arbeiten. Durch die Kontrollen könnten sie nun erhebliche Schwierigkeiten beim täglichen Pendeln bekommen.
Er rechne mit langen Staus, insbesondere auf der A4. Bereits jetzt sei das innerstädtische Straßennetz, besonders am Solidarnoœæ-Kreisel, dessen Umgestaltung er seit 13 Jahren fordere, überlastet. Gronicz befürchtet, dass viele Fahrer die Autobahn meiden und stattdessen versuchen durch die Stadt fortzukommen, was die Situation weiter verschärfen würde. Vor diesem Hintergrund wünsche er sich Hinweise ab Breslau auf weniger stark befahrene Grenzübergänge wie Radmeritz oder Kleinschönau (Sieniawka). Bereits jetzt sei die Lage an Wochenenden angespannt – mit den neuen Kontrollen drohten künftig auch an Donnerstagen bis Samstagen Engpässe, da viele Polen dann für Einkäufe nach Deutschland fahren.
Gegen das Chaos an der Grenze machen derzeit selbst ernannte Bürgerpatrouillen mobil, von den sich Polens Innenminister Tomasz Siemoniak distanzierte: „Wir arbeiten nicht mit solchen Gruppen zusammen, die an der Grenze Unruhe stiften wollen“, erklärte er und rief stattdessen alle Interessierten auf, sich offiziell dem Grenzschutz anzuschließen.
Einen größeren Protest hatte es Sonntagmittag an der Stadtbrücke gegen illegale Migration gegeben. Der ehemalige Verteidigungsminister Mariusz Blasz-czak meldete sich über soziale Medien zu Wort. Interia.pl publizierte etwa, dass er Polens Regierung vorwarf, untätig zu sein und ihre Versprechen zur Sicherung der Grenze nicht einzulösen. Innenminister Tomasz Siemoniak widersprach dem, der polnische Grenzschutz handle im Rahmen seiner gesetzlichen Befugnisse und auf Grundlage klarer Anweisungen – es gebe keine politischen Eingriffe durch die Regierung Tusk. Auch Siemoniak betonte, dass sich jeder beim polnischen Grenzschutz für etwa 1.500 neue Stellen bewerben könne. Die Sächsische Zeitung konzentrierte ihren Blick hingegen offensichtlich verärgert auf Artur Bieleniski, den Landrat des Powiat Zgorzelecki (polnischer Landkreis Görlitz), der sich am Montag mit Niederschlesiens Woiwodin Anna Zabska im Landratsamt zur neuen Lage ab Montag ausgetauscht hatte. Bielinski beklagte nämlich, dass Deutschland Migranten verwöhne und so erst anlocke – man brauche es doch im Grunde nur so machen wie Polen. Deutschland mache hingegen mit den Grenzkontrollen die EU kaputt.
Der Druck auf die Regierung Merz in Berlin lastet also von immer mehr Seiten. Schon am 16. Juni hatte die Stadtverwaltung Zgorzelec eine Unterschriftensammlung angekündigt, um Beschwerde beim EU-Kommissar für Inneres und Migration bezüglich der seit Monaten andauernden, zunächst einseitig von Deutschland eingeführten Grenzkontrollen einzureichen. Stadt- und Kreisverband von Bündnis 90/Die Grünen beklagten diesbezüglich, dass diese Kontrollen die im Schengenraum garantierte Freizügigkeit erheblich einschränken und lange Staus Berufspendler, Schüler, Warenverkehr und den Alltag vieler Menschen im Grenzgebiet behindern. Die Grünen verbanden dies jedoch auch mit dem Hinweis, an der rechtlichen Zulässigkeit der Zurückweisungen, die im Rahmen dieser Maßnahmen erfolgen, bestünden Zweifel. Im Grünenbüro in der Jakobstraße 31 in Görlitz kann man sich an der polnischen Unterschriftensammlung beteiligen.
Wer seine Unterschrift ohne parteipolitische Konnotation leisten möchte, hat dazu im polnischen Bürgerbüro in der ulica Domanskiego 7 Gelegenheit. Dieses ist Montag, Mittwoch und Donnerstag von 7.30 bis 15.30 Uhr, Dienstag von 7.30 bis 17.00 Uhr und Freitag von 7.30 bis 14.00 Uhr geöffnet. Laut Anfrage der Redaktion bei der Stadtverwaltung Zgorzelec vom Mittwoch läuft die Petition auch unter veränderten Vorzeichen weiter.