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Geteilte Meinungen zur Videoüberwachung

Geteilte Meinungen zur Videoüberwachung

Martin Reiner vom Kommissariat für schwere Eigentumsdelikte bemühte sich, den Zuschauern die Ergebnisse der Videoüberwachung nahe zu bringen. Foto: Matthias Wehnert

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Die Kamerasäule wirkt schon ziemlich dominant am Aufgang zur Altstadtbrücke. Innenminister Roland Wöller (links) und OB Octavian Ursu sind von ihrer Wirkung überzeugt. Foto: M. Wehnert

In der Europastadt sind die seit langem angekündigten Überwachungskameras offiziell in Betrieb gegangen. Die einen sehen einen Zugewinn an Sicherheit, die anderen einen Eingriff in die Menschenrechte.

Görlitz.
Seit der vergangenen Woche ziert ein etwa drei Meter hoher Metallzylinder mit mehreren quadratischen Öffnungen den südwestlichen Sockel der Görlitzer Altstadtbrücke. Hier befindet sich jetzt einer von vier Standorten für die Videoüberwachung in der Kreisstadt an der Neiße. „Wir wollen damit vor allem den überdurchschnittlich hohen Diebstahlszahlen in Görlitz etwas entgegen setzen“, erklärt Martin Reiner, Leiter des Dezernats zur Bekämpfung schwerer Eigentumskriminalität bei der Polizeidirektion Görlitz.

Doch hat das wirklich positive Effekte? Die Meinungen sind geteilt – in der Politik ebenso wie bei den Passanten an der Altstadtbrücke. „Ich arbeite selbst in der Strafgefangenenhilfe und kann mir vorstellen, dass das vor allem bei Erst- oder Zweittätern etwas bringt“, sagt Kai Bail, jedes einzelne Wort sorgfältig abwägend. „Doch in erster Linie dienen die Kameras sicher dem subjektiven Sicherheitsempfinden der Bürger.“ Das – glaubt man den offiziellen Verlautbarungen und der Polizeistatistik – schlechter ist als die tatsächliche Lage. Auch wenn die Statistik Jahr für Jahr deutlich macht, dass Görlitz den Schwerpunkt der Kriminalität in der Region Oberlausitz-Niederschlesien bildet. „Das ist mehr für den Showeffekt. Richtige Kriminelle lassen sich dadurch weder abschrecken noch erwischen. Sie drehen sich einfach weg oder gehen hintenrum“, meint Lukasz Gonczarewski, der auf der polnischen Seite der Stadt lebt.

Innenminister Roland Wöller ist von der Wirksamkeit der Maßnahme überzeugt: „Dank der hochmodernen Kameras wird es künftig besser und noch schneller möglich sein, nach Kriminellen zu fahnden und gerichtsverwertbare, objektive Beweismittel zu sichern“, betont er. „Die Grenzbrücken werden von Kriminellen oft als Fluchtwege genutzt.Ich bin überzeugt davon, dass wir die organisierte Kriminalität nur mit enger grenzüberschreitender Kooperation und mit modernster Technik bekämpfen können“, fügt Oberbürgermeister Octavian Ursu (CDU) hinzu. Dass es sich um moderne Technik handelt, steht außer Frage:

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Die Protagonisten der Videoüberwachung nähern sich über die Neißstraße der Grenze an. Foto: Matthias Wehnert

Die Kameras sind in der Lage, selbst bei schlechten Lichtverhältnissen Gesichter erkennbar zu machen. Allerdings, so versichert Innenminister Roland Wöller, werde nur im Bedarfsfall von den Bildern Gebrauch gemacht. So zum Beispiel, wenn dies unmittelbar zur Aufklärung einer Straftat beitragen kann. Anderenfalls werden die Bilder nach 96 Stunden gelöscht. Eine Dauerbeobachtung findet nicht statt. Der Grünen-Landtagsabgeordnete Valentin Lippmann sieht dennoch einen nicht gerechtfertigten Einschnitt in die Persönlichkeitsrechte der Passanten: „Grundsätzlich darf in Sachsen polizeiliche Videoüberwachung nur an sogenannten ’gefährlichen Orten’ oder an besonders gefährdeten Objekten vorgenommen werden. Görlitz ist aber kein gefährlicher Ort. Hier verbergen sich nicht mehr Straftäter oder werden nicht mehr Straftaten verübt, als anderswo. Ich fordere den Innenminister auf, die Videoüberwachung sofort zu stoppen.“

Der Görlitzer Linken-Landtagsabgeordnete Mirko Schultze hat sich an diesem Vormittag in betont legerer Kleidung – schwarzes T-Shirt, Jeans-Latzhose – auf die Brücke begeben, um sich vom Schaulaufen der Politprominenz, zu der er ja normalerweise ein Stückweit selbst gehört, ein wenig abzugrenzen. Schultze betont auch nachdrücklich, privat hier zu sein und nicht etwa als Politiker. Als solcher zählt er zu den bekennenden Kritikern der Videoüberwachung, der er sich jetzt auf dem Weg einer parlamentarischen Anfrage an die Staatsregierung von einer eher ungewöhnlichen Seite nähert: „Ist die Art der Überwachungssäule mit dem Denkmalschutz abgestimmt worden?“, will Mirko Schultze wissen. Schließlich hat gerade dieser in Görlitz schon weit weniger Stadtbild bestimmende Veränderungen ausgebremst. Ob denn künftig auch Werbeschilder von Gastronomen, die bislang als „zum Stadtbild unpassend“ abgelehnt worden seien, künftig eine Chance auf Genehmigung hätten?

Martin Reiner hat unterdessen andere Probleme. Er muss dem Publikum klar machen, dass die auf den Monitor übertragenen Bilder – die er selbst als „auf den ersten Blick grottenschlecht“ bezeichnet – bei der Fahndung tatsächlich helfen. Der Leiter des Kommissariats „schwere Eigentumsdelikte“ versichert, dass es sich bei der eingesetzten Technik um die „State of the Art“ (Das Beste vom Besten) handelt und dass es nur auf die Mindestpixelmenge ankomme. Tatsächlich sind manche Gesichter gut erkennbar, manche (vor allem aus Autos) kaum – was die Bilder tatsächlich taugen, wird wohl erst die polizeiliche Praxis zeigen.

Uwe Menschner / 17.08.2019

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Kommentare zum Artikel "Geteilte Meinungen zur Videoüberwachung "

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. Erhard Jakob schrieb am

    Nicht-Überwachung schadet doch nur den Opfern und nützt den Tätern! Genauso, wie der Datenschutz um Allgemeinen!

    Mich stört es nicht, wenn an sensiblen Stellen *Video-Überwachung* stattfindet.

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