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Hat der Tourismus an der Grenze alle Tassen im Schrank?

Hat der Tourismus an der Grenze alle Tassen im Schrank?

Im Bunzlauer Keramikmuseum wurde den Journalisten aufwendig die Tradition der Stadt dargeboten. Doch viele Erwartungen der Gäste der Stadt werden nicht antizipiert. Foto: Matthias Wehnert

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Weit und breit sicher die urigste Burg der Oberlausitz ist Burg Tzschocha (Czocha) am Queis (der Kwisa) in der Woiwodschaft Niederschlesien. Foto: Matthias Wehnert

Mit welchen touristischen Pfunden grenzüberschreitend an der deutsch-polnischen Grenze in der Oberlausitz gewuchert werden kann, davon konnten oder sollten sich deutsche und polnische Journalisten auf einer gemeinsamen Erkundung der Grenzregion überzeugen, die das sächsische Innenministerium organisierte. Welche Tücken in der Praxis oft lauern, das hat dabei der Niederschlesische Kurier aufgespürt.

Region. Die uralte Bunzlauer Keramik wird mittlerweile auch von vielen Polen liebevoll „Bunzloki“ bezeichnet. Agnieszka Gernot, Pressesprecherin der Stadt Bunzlau (Boleslawiec) steht für diese Adaption der alten deutschen Tradition durch die heutige polnische Bevölkerung. „Ich habe als Bunzlauerin gemerkt, dass ich Gästen etwas über diese Tradition erzählen musste, obwohl ich selbst nicht viel darüber wusste“. Ihre persönliche Annäherung hat geklappt. Für ihren Mann hat sie kürzlich ein Sushi-Set selbst entworfen und geschaffen und eine Leidenschaft für die Keramik der Stadt entwickelt, die international nun als „Polish Pottery“ angepriesen wird. Den Ritterschlag dazu hat die Tippelware spätestens in dem Moment erhalten, als Polens First Lady Agata Kornhauser-Duda im Juli dem britischen Kronprinzenpaar William und Kate in Warschauals Gastgeschenk ein Bunzlauer Teeservice überreichte.

Seinen guten Ruf konnten die Bunzlauer Produkte spätestens 1851 auf der Weltausstellung in London bestätigen, wo die Erzeugnisse der Töpferei Johann Gottlieb Altmann mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurden. Bahnbrechend war 1897 die Gründung der international renommierten Königlichen Keramischen Fachschule, dessen gesamtes Lehrpersonal von der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin nach Bunzlau kam. Die Erfolgsgeschichte der Bunzlauer Keramik endete dann erst einmal mit dem Kriegsende und der Vertreibung auch der kreativen Köpfe. Eine Traditionslücke ließ sich erst mit vielen Jahren Rückschau auf neue Traditionen annähernd schließen. Nach dem Zusammenbruch des nationalkommunistischen Systems stellte sich die Stadt mit dem 1994 erstmals ausgerichteten Keramikfest dem Erbe auch touristisch offensiv. Seit 1999 wird das Fest jährlich im August gefeiert.

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Die Journalistengruppe hatte die Gelegenheit, im Kloster St. Marienthal bei Ostritz die Schätze der Bibliothek zu bewundern, die sonst verborgen bleiben. Foto: Matthias Wehnert



Die deutsch-polnische Journalistengruppe wird mit stolz vom Museum in die Touristeninformation geführt, die faktisch zu 95 Prozent ein Keramikverkaufsladen ist.
In das funktionale, erst in diesem Jahr eröffnete Gebäude ohne Charme abseits der Gästeströme haben sich immerhin einige Japaner verirrt, die zuvor am Stadtrand schon eine Manufaktur besucht hatten. Am zentralen Platz der Stadt, dem Ring (Rynek), sucht man den Stolz der Stadt jedoch vergeblich. Ein einziges Geschäft bietet hier u.a. Glaswaren aller Art an, doch das Gold der eigenen Stadt ist nicht dabei.
Der für Kultur zuständige Stadtpräsident (Bürgermeister) Kornel Filipowic betont gegenüber dem Niederschlesischen Kurier, wie wertvoll das „europäische Erbe“ der Stadt für diese sei. Auf die Nachfrage, wieso er durchgängig das Adjektiv europäisch genutzt habe und nie deutsch, meint er: „Das ist mir selbst nicht aufgefallen. Wir arbeiten eben mit so vielen europäischen Institutionen zusammen“. Die Frage, welche innere Intention Handelnde leitet bleibt jedoch offen.

Zuvor hatte der Tross der Journalisten die alte Grenzburg von der Oberlausitz zu Schlesien Tzschocha (Czocha) besucht. Extra für die Gruppe wurde als Führerin durch die beeindruckenden Gemäuer, die heute pfiffig auch mit Harry-Potter-Zauberaktionen für Kinder vermarktet werden, Patrycja Osciak angefordert.
Osiak schafft dabei auch nachvollziehbar Verständnis für polnische Pioniere, die Ende der Vierziger Jahre zwar auf dem Burggelände Mundraub begangen, in einer Zeit ohne gesicherte staatliche Strukturen jedoch in Achtung vor den Kulturgütern diese nicht einfach zerstört hätten. Doch wie typisch sind die Ausführungen Osciaks, deren Anforderung als externe Führerin darauf hinweist, dass man eigentlich standardmäßig nur auf Polnisch eingestellt ist?

Vor wenigen Jahren war ich als Deutscher unerkannt Teil einer polnischen Führung durch die Burg. Im Rahmen dieser wurde der einstige Schlossherr Ernst Gütschow, der Dresdner Generaldirektor der Zigarettenfabrik Jasmatzi, als „polnischer Geschäftsmann“ dargestellt. Derartige historische Verdrehungen waren vor 1990 üblich, wenn z.B. über einen Namen scheinbar slawischer Herkunft Geschichte konstruiert werden sollte.
In der Löwenberger (Lwow Slaski) Brauerei können die Journalisten keinen Brauvorgang erleben. Gebraut wird hier nämlich nur auf Bestellung. Das mag wirtschaftlich gerechtfertigt sein, erschwert aber auch eine touristische Verwertung. Im Querschnitt scheinen die auf deutscher Seite ausgewählten Ziele der Journalistengruppe wie der Berzdorfer See, das Kloster Marienthal in Ostritz oder Haus Schminke in Löbau besser auf internationale Gäste eingestellt, auch wenn es in den Reiseunterlagen im Kontext der Bauhausprotagonisten heißt, dass der bekannte Baumeister Hans Scharoun „an der Universität Wroclaw“ gelehrt habe.
Aber fast ebenso verkrampft wirbt ja auch Görlitz für sich als „Europastadt Görlitz/Zgorzelec“. Im Grunde wäre es doch 30 Jahre nach der Wende und zumeist vertrauensvoller Zusammenarbeit doch einmal an der Zeit, solche Ungereimtheiten abzulegen und in deutschsprachigen Verlautbarungen für die gesamte Stadt von der „Europastadt Görlitz“ zu sprechen, während man dann logischerweise auch in polnischsprachigen Texten konsequenterweise von der „Miasto Europejskie Zgorzelec“ schreiben müsste. Sprachlich hat man Görlitz so jedoch erneut teilbar gemacht.

Till Scholtz-Knobloch / 27.12.2019

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