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"Jenke.Crime." bei Hubertus Becker in Görlitz

"Jenke.Crime." bei Hubertus Becker in Görlitz

Jenke von Wilmsdorff (links) kam für den Dreh seines neuen Pro-Sieben-Formats „Jenke. Crime.“ nach Görlitz, wo er den einstigen Schmuggler Hubertus Becker traf. Foto: Pro Sieben

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Hubertus Becker mit einem seiner Bücher am heimischen Schreibtisch in Görlitz. Auf dem Bildschirm eine Szene aus der Pro-Sieben-Dokumentation. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Hubertus Becker hat die westdeutsche Kriminalitätsgeschichte in spektakulären Fällen mitgeprägt. Sein Rentnerdasein verlebt er in Görlitz jedoch im Unruhestand. Als Autor hat Becker sein Leben reflektiert und ist als Literat anerkannt. Nun drehte Pro Sieben mit ihm eine abendfüllende Dokumentation.

Görlitz. Es ist Zeit zu gehen. Der marinierte Hering mit Pellkartoffeln muss noch auf den Tisch, denn gleich kommt Hubertus Beckers Freund Fabian „Bone“ Bonig vorbei, in dessen „Bone-Haus“ am Obermarkt sich einst die Görlitzer Boheme traf. Beide wollen sich zusammen die neue Reihe „Jenke. Crime.“ anschauen, in der Hubertus Becker die Hauptperson ist.

Erst einige Tage zuvor war Redakteur Jenke von Wilmsdorff – genau: der, den viele am besten aus der Therma-Care-Werbung kennen – in Görlitz, um den heute hier wohnenden verurteilten Drogenschmuggler, Geldwäscher und Hehler in seiner kleinen Wohnung in der Innenstadt zwischen seiner „Tontöpfchen-Sammlung“ zu besuchen, wie Spiegel auf seiner Homepage im Kulturressort am Mittwoch hervorhob. „Wie oft bei Jenke-Produktionen geht es auch beim neuen Pro-Sieben-Format ‚Jenke. Crime.’ gern mal vor allem optisch pathetisch zu“, aber die am Dienstag zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr ausgestrahlte Folge habe in der „derzeitigen Flut von True-Crime-Produktionen, nicht nur versucht, sich in das Hirn des Täters zu versetzen, sondern Jenke hat einfach direkt mit ihm“ gesprochen, so der Spiegel.

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Hubertus Becker mit einem Komplizen in den späten 70er Jahren

Foto: privat

Das Sprechen und Schreiben ist auch nach der kriminellen Karriere von Hubertus Becker dessen Stärke geblieben. Als junger Mann hatte er einen Freund nach Marokko begleitet – die Reise wurde zum Einstieg in den Schmuggel und nach nur einem Jahr war aus dem „Mitspieler“ Hubertus Becker der Chef geworden, der angesichts seiner französischen Sprachkenntnisse die Verhandlungen führte. Der heute 69-Jährige schmuggelte in den Siebzigerjahren Heroin aus China in die USA oder Kokain aus Kolumbien nach Miami. In der Münchner Schickeria war Becker gern gesehen, denn er konnte den immensen Drogenbedarf decken, der ihn reich machte. Er habe aus einer Truhe die Geldscheine in seine Jackentaschen gestopft und habe ein Luxusleben geführt, das später von einem Vierteljahrhundert Haft jäh unterbrochen werden sollte.

In München zeigt er Jenke von Wilmsdorff sein einstiges Penthouse, im Hunsrück, wo er herstammt, das Versteck der „Oetker-Millionen“ und vom „Rentner-Paradies“ Görlitz erfährt der Zuschauer erst völlig unvermittelt kurz vor Ende. Filmisch in Szene gesetzt flaniert der Autor „auf der Suche“ nach Becker durch die mondäne Augustastraße, wo Becker jedoch gar nicht lebt.

München, Miami, Ibiza, Görlitz. Eine illustre Reise, hatte Becker seine kriminellen Aktivitäten Ende der 70er Jahre doch von Ibiza aus geleitet, wo er 1977 am großen Haschisch-Schmuggel beteiligt war, der aufgrund der Mitwirkung der Opel-Erbin „Putzi“ von Opel unter dem Begriff „Opel-Affäre“ die Gazetten der Bundesrepublik füllte. In der Haft lernte er später Dieter Zlof kennen, der den Bielefelder Industriellen-Spross Richard Oetker entführt hatte. Becker half bei der Geldwäsche von Teilen des erpressten Dr.-Oetker-Lösegeldes und schaffte es damit erneut in die Schlagzeilen der Medien und wiederum in den Bau.

Wie die „Profilerin“ in „Jenke. Crime.“ bemerkte, kann „Becker Menschen beeindrucken und so quasi um den kleinen Finger wickeln“. Aus eigener Erfahrung – da ist etwas dran, denn Becker ist bei aller einstig entwickelten kriminellen Energie ein blitzschnell denkender Geist, der auch sein Tun in vielen Jahren Haft reflektiert hat und dem man gebannt zuhört. Er ist von der eigenen späteren Heroinsucht weggekommen, studierte im Knast Psychologie und Soziologie an der Fernuniversität Hagen und fing dort mit dem Schreiben an.

Er zieht seine Schublade auf und liest mir einen handschriftlichen Brief von Martin Walser vor. Wem wird eine gute Schreibe schon von einem Urgestein der Literatur attestiert? 1989 ließ Becker als Preisträger des Ingeborg-Drewitz-Literaturpreises für Gefangene aufhorchen – der Jury dieses Preises gehört er seit 2002 nun selbst an. Sieben Werke sind aus seiner Feder bislang erschienen, das letzte erst vorige Woche. Zur Frankfurter Buchmesse ist seine Tetralogie „Süden, Westen, Osten, Norden“ dann vollständig, die mit dem Begriff „Globale Nomaden“ überschrieben ist und sein Leben und das Leben zahlreicher Akteure aus Schmuggel und Jetset nachzeichnet. Andere Autoren bemühen die Fantasie, für Becker ist es ein Kramen im Fundus der Erinnerungen. Alles ohne jeden weinerlichen Ton, man fühlt sich eher auf einer Neckermannfahrt durch Deutschland und die Welt, die humoristisch reich bestückt ist. „Viele Leser haben mir geschrieben: Man lernt viele Länder kennen, findet bei Ihnen ganz beiläufig zugleich eine fesselnde Reisebeschreibung“, merkt er selbst zu seinem Stil an, der ihm zuletzt immer bessere Verkaufszahlen bescherte.

Die beste Werbung war nun der Besuch von Jenke von Wilmsdorff. Am Abend nach der Ausstrahlung zählte er am heimischen PC über 500 Freundschaftsanfragen. Aber wieso Görlitz? „Schicksal und Neugier“, sagt er. In Bacharach am Rhein habe er eine Frau kennengelernt, die im Jugendwerkhof Berlin-Hohenschönhausen von der DDR umerzogen wurde und im Stasi-Knast saß. Mit Becker ging sie in ihre Heimat zurück, die Oberlausitz. In Herrnhut wollte Becker in einem ehemalige Konsum eine Kulturzentrum für Senioren schaffen – für Skatabende, Musik oder Lesungen.

Die Beziehung hielt nicht, aber er fand Gefallen an der ganz anderen Welt des Ostens, in der man viel schneller Kontakt schließen könne und Menschen meist noch solidarischer miteinander seien. Er sei mit sich selbst heute im Reinen, habe Aufgaben und einen Schrebergarten am Siebenbörner. Lediglich, dass sein Sohn den Kontakt zu ihm weiterhin ablehne, schmerze ihn sehr. Seine Frau und die Kinder seien in seinem Leben doch zu kurz gekommen.

Till Scholtz-Knobloch / 08.05.2021

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Kommentare zum Artikel ""Jenke.Crime." bei Hubertus Becker in Görlitz"

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. Milli schrieb am

    Lieber Hubertus Becker, den 1. Teil Ihrer Reise "Globale Nomaden Süden" habe ich mit vollen, herzlichen Lachen gelesen. Es ist wunderbar geschrieben, so habe ich noch kein Buch gelesen. Ich hatte schon Bedenken selber im Kiff zu stehen. Jetzt habe ich alle Bücher von Ihnen bestellt, damit ich weiter lachen kann, vielleicht auch weinen, damit von den schöner interessanter Abenteuer nichts abhanden kommt. Ich kenne einige Länder aus meinen Reisen nach 1990 und kann ein wenig ahnen wie das alles so war.

    Diesen 1. Teil lese ich gleich nochmal um ein 2. Mal die Reisen zu genießen wenn vielleicht auch nicht alles sich ganz so zugetragen hat zum Ablachen ist es jedes Mal.

    Bleiben Sie gesund, schreiben Sie weiter so herrliche Bücher für alle verständlich. Es ist wunderbar das Sie jetzt Ihre richtige Bestimmung gefunden haben. Leider lebte ich in dieser Zeit in der verschlossenen langweiligen, eintönigen DDR. Ich wäre sicher bei den Reisen dabei gewesen.
    LG Milli

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