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Lausitzer sehnen sich nach der Freiheit

Lausitzer sehnen sich nach der Freiheit

Nach getaner Arbeit mit Kollegen oder Freunden an der Bartheke ein Bierchen zischen, davon träumen in Zeiten der Corona-Krise nicht wenige. Wann das allerdings wieder möglich sein wird, ist in diesen Tagen völlig offen. Foto: PR (Symbolbild)

Region. Wie realistisch ist es, dass die Menschen auch in der Oberlausitz nach dem 3. Mai  weitere Freiheiten zurückbekommen und wenn ja welche könnten das sein? Auf diese Frage gibt es nach den jüngst beschlossenen Lockerungen der Corona-Schutz-Verordnung im Freistaat Sachsen zunächst keine klare Antwort aus Dresden. „Alles ist davon abhängig, wie sich die Infiziertenzahlen bis dahin entwickeln“, verlautete dazu auf Anfrage aus dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt (SMS). Im Vergleich zu anderen Regionen in Deutschland verhielten die sich mit Bezug auf die Landkreise Görlitz und Bautzen zuletzt eher moderat.

Die aktuellen Daten im Überblick

Im Einzugsbereich der Görlitzer Kreisverwaltung wurden zwischen dem zurückliegenden Wochenende und Dienstag, 21. April, erstmals nach Ausbruch der Pandemie keine weiteren Corona-Fälle gemeldet. Auch im Nachbarkreis Bautzen stagnierten die Zahlen zu Wochenbeginn nahezu. Dort haben sich seit Beginn der Virus-Krise, Anfang März, 329 Menschen mit dem mutmaßlich aus China nach Europa eingeschleppten Erreger infiziert, zehn Patienten starben bisher. Im Landkreis Görlitz werden 14 Todesopfer beklagt. Jedoch steckten sich hier bis jetzt gerade einmal 243 Personen mit dem Virus an. Landesweit waren bis Dienstagmittag 4.342 Sachsen aller Altersgruppen positiv auf Corona getestet worden. Hingegen gilt ein Großteil der im zurückliegenden Vierteljahr am SARS CoV-2-Erreger Erkrankten mittlerweile als geheilt. Fachkreise hatten dem Virus diese Bezeichnung gegeben, da dieses ähnliche Züge aufweist wie sein Vorgänger, der vom Herbst 2003 bis Sommer 2004 besonders in Asien in Erscheinung trat und rund 800 Menschen das Leben kostete.

Mit Schutzmaßnahmen in eine andere, neue Normalität

Unterdessen fällt im Vergleich mit der in diesen Tagen zu Ende gehenden Grippesaison auf, dass die Zahl der Corona-Infizierten lediglich einen Bruchteil der bekanntgewordenen Influenza-Erkrankungen darstellt. Ministeriumsangaben zufolge sind von September 2019 bis zu Wochenbeginn sachsenweit 20.582 Menschen an der nicht weniger gefährlichen Grippe erkrankt. 50 Menschen starben daran. Dagegen werden 119 Todesfälle beklagt, die mit einer Corona-Infektion in Verbindung gebracht werden. Das Haus von Gesundheitsministerin Petra Köpping versicherte in dem Zusammenhang, dass in seiner geführten Statistik alle Sterbefälle erfasst werden, die auf einem positiven SARS-CoV-2-Befund beruhen. Dennoch muss auch ihre Behörde einräumen: „Wie hoch konkret die Rolle der Infektion am Eintreten des Todes ist, lässt sich nicht ermitteln.“ In Hamburg beispielsweise gibt es in dem Punkt offensichtlich mehr Klarheit. Ein Pathologe sagte kürzlich dem „Hamburger Abendblatt“ mit Blick auf die Situation in der Hansestadt, dass die von ihm untersuchten Todesopfer alle so schwere Vorerkrankungen gehabt hätten, dass sie, „auch wenn das hart klingt, alle im Verlauf dieses Jahres gestorben wären“. Das SMS wiederum räumte ein, dass ihm keine Angaben darüber vorliegen, inwieweit in Sachsen ebenfalls coronabedingte Obduktionen in den zurückliegenden Wochen erfolgten. Dabei könnten gerade diese Aufschluss darüber geben, inwieweit das Virus tatsächlich todesursächlich war. In vielen Fällen jedoch dürfte eine Infektion mit dem Corona-Erreger unproblematischer verlaufen als an der Influenza-Grippe zu erkranken. Darauf hatten Experten bereits des Öfteren hingewiesen.

Maskenpflicht in immer mehr Bereichen

Am Ende sorgt die fehlende Gewissheit darüber, wie sich umfangreichere Lockerungen der Corona-Schutz-Verordnung auf das Gesundheitswesen hierzulande auswirken könnten, in den Reihen der Staatsregierung zu einem für immer mehr Menschen nervenaufreibenden Zögern. Zumindest der von den in Bautzen sitzenden, obersten Verwaltungsrichtern vor wenigen Wochen festgelegte Ausgehradius von bis zu 15 Kilometern ist seit Montag hinfällig, wie das SMS bestätigte. Auch wird es den Sachsen fortan wieder gestattet, die eigene Wohnung ohne triftigen Grund zu verlassen. Der Aufenthalt im Freien nur alleine, mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis des eigenen Hausstandes ist erlaubt. Um die Gefahr einer weiträumigen Ausbreitung des Virus zu reduzieren, bleiben die Bürger jedoch weiterhin aufgefordert, generell auf private Reisen, Ausflüge und Besuche – auch von Verwandten – zu verzichten. Das gelte selbst für überregionale tagestouristische Ausflüge, hieß es.

In Nahverkehrsmitteln und Geschäften sind zudem Mund-Nasen-Schütze zu tragen. Dort herrscht ab sofort eine Maskenpflicht. „Diese findet ihre Rechtsgrundlage in der Rechtsverordnung des SMS vom 17. April 2020“, erklärte eine Ministeriumssprecherin. „Diese gilt bis zum 3. Mai 2020. Danach wird erneut entschieden.“ Als Rechtsgrundlage für die Rechtsverordnung diene wiederum das Infektionsschutzgesetz. Mittlerweile machen Krankenhäuser und einzelne Behörden ebenfalls davon Gebrauch. Warum das Ganze zu einem Zeitpunkt kommt, an dem die Zahl der Genesenen die der Erkrankten inzwischen überwiegt, dazu teilte das Ministerium mit: „Zu Beginn der Ausbreitung in Deutschland und Sachsen gab es noch keine freie Zirkulation des Virus, Ansteckungen konnten konkreten engen Kontakten zugeordnet werden. In der Zeit der Ausgangsbeschränkung waren die Kontakte der Bevölkerung sehr eingeschränkt. Der ÖPNV wurde nur vereinzelt genutzt. Mit der Lockerung steigen die Kontakte der Menschen untereinander, Mindestabstände können mit Bezug auf Nahverkehrsmittel gegebenenfalls schlechter eingehalten werden.  Die Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen müssen daher mit zusätzlichen hygienischen Maßnahmen begleitet werden. Die Pflicht des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung im ÖPNV und Geschäften ist eine davon.“

Zahlreiche Klagen gegen Corona-Verordnung und protestierende Bürger

Wann aber werden wir wieder frei und unbeschwerter leben dürfen? Die Antwort liegt unbestritten in einem Impfstoff, mit dem die Welt das für sie bis zu dessen Ausbruch völlig fremde Corona-Virus wirkungsvoll bekämpfen könnte. Doch der lässt weiter auf sich warten. Deshalb warnen einige Politiker und Gesundheitsexperten, sollten sich die Menschen jetzt nicht an die Regeln halten und zu große Lockerungen erfolgen, bereits vor einer weiteren, viel umfangreicheren Ansteckungswelle im Herbst. „Wir hoffen, dass diese ausbleibt“, verlautete hingegen aus dem SMS. Gleichzeitig gestand die Behörde ein: „Konkrete Strategien können erst nach Auswertung der aktuellen Welle erarbeitet werden.  Für sachsenspezifische Belange ist das Ministerium mit den führenden sächsischen Infektologen im Kontakt.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte indes einen zweiten Shutdown nicht ausschließen, sollte sich die Lage nach dem Sommer erneut zuspitzen. Der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort wiederum sagte ebenfalls dem „Hamburger Abendblatt“: „Keine der Zahlen, die wir kennen, rechtfertigt die Angst, die in Deutschland vor dem Virus geschürt wird.“ Er habe den Eindruck, dass die Angst sich allmählich verselbstständige.

Genau gegen eine solche Entwicklung setzen sich immer mehr Menschen im Freistaat zur Wehr. Sie pochen darauf, dass das Land möglichst bald zur Normalität zurückfindet und nicht länger Grundrechte beschnitten werden. Beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht (SächsOVG) in Bautzen stapeln sich die Klageschriften. „Es sind elf Normenkontrollanträge gegen die Corona-Schutz-Verordnung in der Hauptsache anhängig, über die das Gericht in erster Instanz entscheidet“, erklärte Thomas Tischer, Richter am SächsOVG und stellvertretender Pressesprecher. „Zusätzlich gingen zehn Normenkontrollanträge im einstweiligen Rechtschutz ein, wovon sieben Anträge bereits entschieden sind.“

Unabhängig davon hinterfragt eine Gruppe engagierter Bürger aus dem Raum Zittau, wie sie sich selbst nennt, Maßnahmen wie digitales „Contact Tracing“ und die von Gesundheitsministerin Petra Köpping erlassene Einweisung von Quarantäneverweigerern in die Psychiatrie, die nach einem Sturm der Entrüstung von ihr wieder kassiert wurde. Versammlungsverbote und die bis vor Kurzem noch untersagte Ausübung der Religionsfreiheit seien nur einige weitere Beispiele, die „durchaus Sorgen aufkommen lassen“.

In Bautzen wiederum hat sich ein CDU-Stadtrat an die Rathausspitze mit der Bitte gewandt, sie solle die bestehenden Corona-Verordnungen in ihrer Gültigkeit und Verhältnismäßigkeit in Frage stellen. In einer E-Mail schrieb er: „Unterlassen Sie bitte alle noch örtlich weiter verschärfenden Maßnahmen, die in Ihrem Ermessensrahmen liegen. Die Bautzener Bürgerschaft wird es Ihnen danken, dessen bin ich mir gewiss.“ Hintergrund ist das am 15. April veröffentlichte epidemiologische Bulletin auf der Internetseite des Robert Koch-Institutes (RKI). „Eine Überlastung unseres Gesundheitssystems ist daraus für mich nicht ableitbar“, sagte der Mediziner.

Das SMS verteidigte die bisherige Vorgehensweise: „Da es sich um eine extrem dynamische Entwicklung handelt, wurden einige der Maßnahmen wie die Schul- und Kitaschließungen recht kurzfristig veranlasst. Andere Maßnahmen wiederum beruhen auf dem nationalen Pandemieplan und hatten demzufolge mehr Vorbereitungszeit.“

So begann das Corona-Drama

Nach Angaben des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt (SMS) wurde der Freistaat offiziell am 7. Januar 2020 im Rahmen einer behördeninternen Bund-Länder-Beratung zur epidemiologischen Lage durch das RKI über eine Häufung von Lungenentzündungen unbekannter Ursache im chinesischen Wuhan informiert. Demnach hatte das WHO-Landesbüro in China seit dem 31. Dezember 2019 Kenntnis über diese Entwicklung. Des Weiteren sei die Vermutung zur Sprache gekommen, dass die Erkrankungsfälle im Zusammenhang mit auf besagtem Markt gehandelten Tieren beziehungsweise Tierprodukten stehen könnten, was inzwischen über Ländergrenzen hinaus angezweifelt wird. Zum damaligen Zeitpunkt seien Experten davon ausgegangen, dass die Erkrankung nicht von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Weitere Maßnahmen außer einer Beobachtung der Lage seien daher nicht angemessen gewesen.

Das SMS und die Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen befinden sich eigenen Angaben zufolge seit der Beratung im Januar im regelmäßigen Austausch mit dem RKI und den Kollegen der anderen Bundesländer. Das RKI habe bereits kurz darauf eine Koordinierungsstelle eingerichtet und ebenfalls noch im selben Monat erste Informationen und Empfehlungen veröffentlicht, an denen sich der Freistaat fortlaufend orientiert habe. Seit dem 16. Januar werde beim SMS zudem ein Lagetagebuch geführt. Am 6. März wurden die ersten Corona-Infektionen im Landkreis Bautzen registriert. Der Nachbarkreis Görlitz meldete Tage später vereinzelte Krankheitsfälle. Als Ursprung dafür hatten die Gesundheitsämter Südtirol angeführt, wo das Virus zu dem Zeitpunkt bereits grassierte.

Roland Kaiser / 21.04.2020

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