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Schulen wegen Corona zu – Eltern werden zu Hauslehrern

Schulen wegen Corona zu – Eltern werden zu Hauslehrern

Noch bevor zur Wochenmitte alle Bildungseinrichtungen im Land dicht gemacht wurden, blieb dem 16-jährigen Florian schon am Montag der Zutritt zum Schulgelände verwehrt. Grund waren zwei nachgewiesene Corona-Infektionen. Foto: privat

Region. Nur kurze Zeit nachdem das neuartige Coronavirus die Oberlausitz erreichte, hat es die Region voll im Griff. Um eine zügige Ausbreitung des Erregers zu verhindern, wurden zur Wochenmitte auch hierzulande Bildungseinrichtungen geschlossen und Kitas dicht gemacht. Betroffen ist darüber hinaus die Kindertagespflege. Ob wie angedacht alle Einrichtungen mit Ende der Osterferien wieder öffnen können, darüber herrscht zum jetzigen Zeitpunkt noch völlige Ungewissheit. Zunächst muss abgewartet werden, ob die getroffenen Maßnahmen ihre erhoffte Wirkung zeigen, meinen Experten. Doch wie gehen Eltern mit der für sie vollkommen neuen Situation um? 

Der bei einem Bautzener Montageunternehmen für die Buchhaltung und das Personalwesen zuständige Steffen Lehmann hat zwei Kinder im Alter von 13 und 16 Jahren. „Da wir als Eltern noch Arbeiten gehen, ist das tägliche Mittagessen schon eine kleine Herausforderung. Teilweise können sich meine Kinder aber selbst etwas kochen oder meine Frau bereitet am Vortag für sie eine Mahlzeit zu.“ Schwieriger könnte es im Fall der Schulaufgaben werden, um deren Erledigung die Lehrer in der unterrichtsfreien Zeit bitten. „Da sehe ich ganz klar die Schulen mit in der Pflicht, dass die Kinder ihre Aufgaben und den Lernstoff über das Internet abrufen können, was teilweise sehr schwierig ist, da die Server der Bildungseinrichtungen beziehungsweise die Internetverbindungen überlastet sind. Wir selbst haben bei uns im Ort nur LTE anliegen. Da zeigt es sich, wie wichtig der Breitbandausbau für das ländliche Gebiet ist. Selbst kontrolliere ich nach Feierabend, was meine Kinder tagsüber für die Schule gemacht haben.“ 

Ähnlich ergeht es dieser Tage Melanie Kotissek aus Bautzen. Sie ist Mutter von zwei 11 und 16 Jahre alten Jungs. „In nächster Zeit wird vom Nachwuchs viel Disziplin abgefordert“, sagt sie. In ihrer Stimme schwingt dabei etwas Erleichterung darüber mit, dass die Kinder zu Hause doch schon ganz gut allein zurechtkommen. Florian, dem älteren der beiden, werde in dem Zusammenhang eine besondere Verantwortung auferlegt. Er soll dafür sorgen, dass sein Bruder die ihm aufgetragenen Schulaufgaben auch tatsächlich erledigt. „Ich werde darauf Acht geben“, versichert der junge Mann, der sich selbst gerade auf die Abschlussprüfungen vorbereitet. „Und wenn er Unterstützung benötigt, dann helfe ich ihm selbstverständlich.“ Florian geht davon aus, alles unter einen Hut zu bekommen. Und dass die Schulen zur Prüfungszeit wieder geöffnet sein werden, daran will er keinen Zweifel lassen. „Ich denke, dass das Ganze bis dahin verfliegt.“

Auch Kirsten Schönherr, Geschäftsführerin der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft BWB, hat sich neben dem straffen Arbeitspensum nun täglich um den 12-jährigen Nachwuchs zu kümmern, der in der Spreestadt eine Oberschule besucht. „In der Mittagspause schaue ich nach meinem Kind, damit es etwas zu essen bekommt. Die Zeit davor und danach kann es sich allein beschäftigen.“ Die Schule sorgt dafür, dass es daheim nicht langweilig wird. „Wie seine Mitschüler hat auch mein Sohn übers Internet Aufgaben bekommen, die zu erledigen sind. Dafür sollen sie sich vier Stunden am Tag Zeit nehmen. Dass er das auch ordentlich macht, darüber vergewissere ich mich nach der Arbeit.“ Mit einem Schmunzeln in der für viele Menschen schwierig gewordenen Zeit fügt sie hinzu: „Ich denke, mit dem Unterrichtsstoff der sechsten Klasse kann ich noch mithalten. Unabhängig davon werden wir gemeinsam auch hin und wieder vor die Tür gehen und eine Runde mit dem Fahrrad drehen.“

Dass manche Lehrer ihre Schützlinge in der für Eltern recht schwierigen Zeit, in der sie Arbeit und Kinderbetreuung irgendwie unter einen Hut bekommen müssen, nahezu mit Lernstoff und Aufgaben überhäufen, damit hätte eine 33-jährige Bautzenerin nicht gerechnet. Ihr sieben Jahre alter Sohn, der die erste Klasse in der Fichtegrundschule besucht, soll bis zur Wiederaufnahme des Schulunterrichts unter anderem 20 Aufgabenblätter ausfüllen, neun Seiten in der Fibel lesen, mehrere für ihn bis dato unbekannte Buchstaben pauken und anwenden sowie zahlreiche Seiten in den Deutsch- und Mathearbeitsheften bearbeiten. „Mein Mann und ich, wir arbeiten zu verschiedenen Tageszeiten beide halbtags – kommen nicht darum herum, einen festen Stundenplan aufzustellen“, zieht sie für ihre Situation die entsprechende Schlussfolgerung. „Wir werden vormittags zwei Stunden unterrichten und das gleiche Pensum an den Nachmittagen erfüllen.“ Dabei wird nicht nur die Bautzenerin vor eine echte Herausforderung gestellt: „Mein Kind empfindet die unterrichtsfreie Zeit als Freizeit. Da fällt es schwer, den Nachwuchs so zu motivieren, gemeinsam mit uns den Lernstoff zu pauken. An einer Strategie, wie sich das besser lösen lässt, müssen wir noch feilen.“

Für Handwerker Mike Hauschild ist die momentane Situation kein Zuckerschlecken. Nicht nur er hat neben mehreren Baustellen den Nachwuchs zu Hause zu betreuen. Auch in der Belegschaft gibt es Mitarbeiter, die sich um bis zu drei Kinder zu kümmern haben. Sie stehen dem Fliesenlegermeister zeitweise nicht zur Verfügung. „Die Regierung fordert kulante Arbeitgeber, ist aber nicht in der Lage zu sagen, woher das Geld für die Löhne kommen soll“, moniert er. Die bereits vorgenommenen Ankündigungen „Wir werden unkompliziert unterstützen“ bezeichnet er daher als populistisch. „Schon bei den Hochwasserkatastrophen stellte sich das als pures Geschwätz heraus. Sollen die Mitarbeiter unbezahlt zu Hause bleiben? Die Miete bezahlt dann wer? Wer jeden Monat ein bedingungsloses Einkommen hat, kann große Reden schwingen. Ich fordere von der Regierung, dass über die Kreditanstalt für Wiederaufbau jedem Betrieb die Lohnkosten in voller Höhe für zwei bis drei Monate als Vorschuss gegeben werden. Nach der überstandenen Krise können wir dann entscheiden, ob die Zahlungen als Kurzarbeit, Überbrückungs- oder Liquiditätskredit oder nicht rückzahlbaren Zuschuss eingeordnet werden.“ Damit könnten alle normalen Zahlungen an die Krankenkassen und Finanzämter unverändert weiterlaufen.

Steffen Lehmann verfolgt die jüngste Entwicklung mit großer Sorge: „Viele Freunde und Bekannte haben noch kleine Kinder, wo zum Teil eine Betreuung schwierig wird.“ Er rät allen Betroffenen: „Möglichst mit den Arbeitgebern reden und eine gemeinsame Lösung finden, dass eine Betreuung der Kinder möglich ist. Firmen sollten durch den Ausfall der Arbeitskräfte jedoch keinen allzu großen Schaden erleiden.“ Sollte er selbst seinem Job vorerst nicht mehr nachgehen können, steht für ihn fest: „Dann werde ich die Zeit mit meinen Kindern auf meinem Grundstück verbringen und auch bestimmt wieder sehr oft Karten mit ihnen spielen.“ 

Doch nicht jeder muss auf Grundlage einer Allgemeinverfügung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt zwangsläufig sein Kind zu Hause behalten. Die Kommunen wurden angehalten, für sogenannte systemrelevante Berufe eine Notbetreuung in den Schulen und Kitas vorzuhalten. Eine Übersicht der Personenberechtigten und das dazu auszufüllende Formblatt sind online abrufbar unter www.bildung.sachsen.de. 

„Die Schließung von Schulen und Kitas auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes ist nötig, um die Ansteckungsmöglichkeiten weiter zu reduzieren“, erklärte Gesundheitsministerin Petra Köpping zu Wochenbeginn „Auch wenn Kinder offensichtlich nicht so stark erkranken, sind sie doch Infektionsbrücken zu ihren Eltern und Freunden. Diese Brücken müssen wir abbrechen, um das Virus auszuhungern. Ich hoffe auf das Verständnis aller für diese Maßnahme.“ Für die Zeit der Schulschließungen wird den Schülern durch die Bildungseinrichtungen Lernstoff bereitgestellt, damit die freie Zeit als Lernzeit genutzt werden kann, schob Kultusminister Christian Piwarz nach. Er dankte den Lehrern, die durch elektronischen oder analogen Wege mit ihren Schülern im Austausch bleiben. Die Abiturprüfungen und Prüfungen an den Oberschulen seien nach derzeitigem Stand nicht in Gefahr. Die ersten Prüfungen beginnen nach Ostern.

Roland Kaiser / 21.03.2020

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