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Wenn der ehemalige Stasiknast zur Bühne wird

Wenn der ehemalige Stasiknast zur Bühne wird

Die beiden Projektverantwortlichen Ulrich Ingenlath (links) und Christian Schröter (rechts) werden am Tag der deutschen Einheit auch den „Briefkasten des offenen Wartens“ öffnen. Foto: Benjamin Vogt

„Stage of Memory“ bezeichnet sich selber als „Forschendes Theaterprojekt an historischem Ort“. Zum Tag der Deutschen Einheit präsentiert die Gedenkstätte Bautzen, was dabei herauskommt, wenn junge Menschen sich ihren Zugang zu schwierigen historischen Themen erarbeiten.

Bautzen.
Die deutsche Geschichte, besonders im 20. Jahrhundert, ist auch eine Geschichte der totalitären Systeme. Auch wenn nicht alles durch diese politische Vergangenheit geprägt war und ist, bleibt es doch immer wieder Auftrag an die gegenwärtige Gesellschaft, sich seiner Geschichte bewusst zu werden, vor allem, um gelingende Zukunft ermöglichen zu können. 

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Die Gedenkstätte Bautzen wird nicht nur am 3. Oktober durch das Projekt „Stage of Memory“ zur Bühne.: Benjamin Vogt

Einen wichtigen Beitrag für diese notwendige Auseinandersetzung leisten die Gedenkstätten. In Bautzen erinnert dabei „Bautzen II“ vor allem an die kommunistische Gewaltherrschaft. Diese ist noch nicht so lange her und dennoch wissen gerade viele junge Leute nicht mehr so recht, was es für Folgen haben konnte, wenn man in der DDR nicht auf Linie war.

Damit sich das ändert, gibt es seit einem Jahr das Projekt „Stage of Memory“ („Bühne der Erinnerung“). Bei diesem sollen Schüler nicht wie so oft nur erzählt bekommen, wie es denn so war, wenn man im real existierenden Sozialismus in Konflikt mit der Staatsmacht geriet, sondern sie sollen die Möglichkeit haben, diesem Thema kreativ nachzuspüren und sich so ihren eigenen Zugang zu diesem schwierigen Thema erarbeiten. Verantwortlich für das Projekt sind der Gedenkstättenpädagoge Ulrich Ingenlath und der Theaterpädagoge Christian Schröter. Die beiden Referenten legen dabei den Schwerpunkt nicht auf die klassische Führung, wo es mehr oder weniger darum geht, fertige Fakten zu präsentieren und Inhalte zu vermitteln, sondern wollen die Schüler dabei begleiten, sich intensiv mit dem Ort und dessen Vergangenheit auseinanderzusetzen. 
Konkret sind Diese dazu meist mehrere Tage in der Gedenkstätte, bewegen sich frei im Haus, haben Begegnungen mit Zeitzeugen, erhalten Informationen und können natürlich ihre eigenen Fragen stellen. Am Ende sollen sie ihre Erkenntnisse künstlerisch ausformen. Das kann durch ein kurzes Theaterstück geschehen, aber auch durch einen Kurzfilm oder eine Installation. „Wir wissen am Anfang nicht, was am Ende herauskommt“ sagt Christian Schröter. Denn im Gegensatz zu anderen Lernprojekten steht hierbei das Ziel nicht fest. 

Interessant wird es dabei, wenn Schüler nicht nur die eigenen Lebensaspekte mit in ihre Überlegungen mithineinbringen, sondern wenn sie auch ihre eigenen Fragen stellen. „Die jungen Leute stellen dann auch mal Fragen, die sich die Älteren nicht trauen würden“, erzählen die Referenten. Das stellt dann wohl auch manchmal die Zeitzeugen vor eine gewisse Herausforderung. Gerade wenn das eigene Leben mit dem der Häftlinge verglichen wird, ergeben sich auch mal eher private Fragen über den Alltag der Inhaftierten. 
Besonders freuen sich die beiden Pädagogen, wenn die jungen Leute zur Präsentation ihre Familien mit in die Gedenkstätte bringen. Gerade älteren Leute falle es oft nicht so leicht, sich mit diesem Thema zu beschäftigen „Die sind jetzt durch ihre Kinder oder Enkel das erste mal an diesem Ort“ erzählen die beiden Projektleiter. So wird die junge Generation für die ältere zum Anlass, ihre eigenen Erfahrungen zu reflektieren. Wenn daraus ein gegenseitiges Lernen wird, wäre dies doch ein gutes Ergebnis.

Am 3. Oktober von 13.00 bis 18.00 Uhr sollen nun einige Ergebnisse des Theaterprojektes präsentiert werden. Schüler der Oberschule Neukirch werden ihre erarbeiteten Szenen vorführen, ältere Aufführungen anderer Gruppen werden als Film gezeigt. Aber noch zwei weitere Projekte werden an diesem Tag vollzogen werden. So steht seit einiger Zeit ein eingepackter Trabant im Eingangsbereich der Gedenkstätte. Dabei handelt es sich um den „Briefkasten des offenen Wartens“. Hier können sich die Besucher ihre eigenen Gedanken zum Thema „Warten“ machen. Denn sowohl in Haft als auch in der DDR spielte „Warten“ eine große Rollen. Und viele warten auch heute noch auf so manches. Der Trabi selber soll dann am 3. Oktober geöffnet werden und alle Einwürfe werden als eine Art öffentliches Gästebuch ausgestellt.

Der dritte Programmpunkt soll ferner darstellen, was das Leben der Häftlinge im Alltag geprägt hat. Das besondere Augenmerk liegt hierbei auf den Versuchen der ideologischen Formung. Um 16.30 Uhr wird im historischen Kinosaal der Stummfilm „Die Mutter“ von Wsewolod Pudowkin nach einem Roman von Maxim Gorki aufgeführt. Musikalisch ausgestaltet wird dieser dabei von Richard Siedhoff am Klavier.

Die Leiterin der Gedenkstätte Bautzen, Silke Klewin, verweist darauf, dass es heute besonders darum geht, neue Zielgruppen mit auch neuen Blickwinkeln für die Gedenkstätte zu gewinnen. Bei dem Theaterprojekt findet sie besonders interessant, dass die Jugend auch grundsätzlichere Fragen mit bringen, die über das historische hinausgehen. „Stage of Memory“ ist bis jetzt auf zwei Jahre angelegt. Alle Beteiligten sind sich einig, dass es gut wäre, wenn es verlängert würde. Von den Schülern gibt es auf jeden Fall überwiegend positive Rückmeldungen. Auch die Zeitzeugen habe inzwischen Gefallen an dieser neuen Form der Wissensvermittlung gefunden. Und auch wenn sie Verständnis dafür zeigt, dass es gerade auch drängendere Fragen gibt als die erweiterte Förderung der Gedenkstätten, so steht doch für Silke Kelwin eines fest: „Gerade in unserer Zeit ist Bildung wichtiger denn je“.

Benjamin Vogt / 01.10.2022

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