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Zittauer Sternstunde vor 20 Jahren

Zittauer Sternstunde  vor 20 Jahren

Das Große Zittauer Fastentuch im Museum Kirche zum Heiligen Kreuz ist ein Kunstwerk von europäischem Rang. Foto: René E. Pech

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Trotz des Regens bildete sich bei der ersten Präsentation des Großen Zittauer Fastentuches im Museum Kirche zum Heiligen Kreuz am 12. Juni 1999 eine riesige Warteschlange, die bis zum Klienebergerplatz reichte. Foto: Archiv/Städtische Museen Zittau

Eine Sternstunde in der Zittauer Stadtgeschichte jährt sich am Mittwoch, 12. Juni, 2019. Denn 1999 – vor 20 Jahren – wurde das Museum Kirche zum Heiligen Kreuz mit der Dauerausstellung „Großes Zittauer Fastentuch 1472“ eröffnet.

Zittau. An jenem denkwürdigen Tag regnete es in Strömen. Am Vormittag übergab der damalige Oberbürgermeister Jürgen Kloß dem Direktor der Städtischen Museen Zittau Dr. Volker Dudeck im Rahmen einer Festveranstaltung vor viel Prominenz symbolisch den Schlüssel der zu einem Museum für das Große Zittauer Fastentuch umgewidmeten Kreuzkirche. Danach waren alle interessierten Zittauer und ihre Gäste willkommen. Trotz des Regens bildete sich eine riesige Warteschlange, die bis zum Klienebergerplatz reichte. Die Klimaanlage im neuen Museum hatte ihre erste große Herausforderung zu bestehen, denn die relative Luftfeuchtigkeit durfte die 62 Prozentmarke nicht überschreiten, berichtet Dr. Volker Dudeck. Der damalige Direktor der Städtischen Museen kann sich noch gut an Auszüge seiner Rede anlässlich der Eröffnung des neuen Museums erinnern: „1939 veröffentlichte der große Humanist und Europäer Stefan Zweig ein kleines Büchlein, das er ,Sternstunden der Menschheit’ nannte. Ob wir heute eine solche Sternstunde erleben dürfen, wird man erst später mit Sicherheit sagen können. Aber eines ist wohl offensichtlich: Mit der symbolischen Übergabe dieses Schlüssels sind wir am Ziel eines langen und beschwerlichen Weges angelangt.“ Und weiter: „Das Große Zittauer Fastentuch hat nach einer unglaublichen Odyssee endlich eine dauerhafte Heimstatt gefunden. Aber während die Irrfahrt des sagenumwobenen Königs von Ithaka nur zehn Jahre dauerte, mussten 327 Jahre vergehen, ehe sie für unser Fastentuch zu Ende ging. Odysseus Heimfahrt war von vielen schweren Prüfungen gezeichnet. Er musste den menschenfressenden Kyklopen Polyphemos überlisten und die Zauberin Kirke bezwingen. Er hatte die Gefahren der Sirenen zu meistern und sich der sinnlichen Begehrlichkeit der schönen Nymphe Kalypso zu erwehren. Bei allem Respekt vor Homers Epos: Was waren diese Prüfungen im Vergleich zu den Gefahren und Widrigkeiten, die unser Tuch zu bestehen hatte?“

Je mehr Dr. Volker Dudeck auf diese Jahre zurückblickt, desto deutlicher wird ihm, „dass von dieser Bilderbibel eine ungeheure Kraft ausgeht, eine Kraft, wie sie wohl auch Odysseus gehabt haben muss, um all die Gefahren seiner langen Irrfahrt zu bestehen. Man mag sie göttlich, geheimnisvoll, magisch oder einfach nur mobilisierend nennen. Dass ich sie selbst so stark empfinden und auch lenken durfte, gehört zu den besten Erfahrungen meines Lebens.“ Alle, die damals dabei waren, werden kaum bestreiten, dass der 12. Juni 1999 wirklich eine Sternstunde war. „Das 20. Jubiläum mahnt uns, den vielen Menschen noch einmal Dank zu sagen, die uns auf dem Weg dorthin tatkräftig unterstützt haben und es zum Teil bis heute tun“, betont er.

Mit der mysteriösen Wiederauffindung des lange verschollen geglaubten Großen Zittauer Fastentuches hinter einem Bücherregal der Ratsbibliothek fand es 1840 Eingang in die Zittauer Sammlungen. Dass man es bereits damals als einen ganz besonderen Schatz betrachtete, ersieht man schon daraus, dass der „Königlich Sächsische Verein zur Erforschung und Erhaltung vaterländischer Altertümer“ das textile Kunstwerk 1842 nach Dresden holte und 34 Jahre lang im Palais des Großen Gartens ausstellte. In der kunstgeschichtlichen Literatur galt es lange Zeit als das Beispiel für Fastentücher schlechthin und fand Eingang in die kunstgeschichtliche Literatur bis hin in die allgemeinen Lexika. Ohne Kostbarkeiten wie das Diptychon „Kaiser Maximilian I. als Lebender und als Toter“ (um 1519), das Gemälde „Maria mit dem Jesusknaben und dem kleinen Johannes“ (Lukas Cranach-Schule 1554), die Kanne der Zittauer Maurerinnung (1562) oder das Kleine Zittauer Fastentuch (1573) gering zu schätzen, ist das Große Zittauer Fastentuch zweifellos das kostbarste Stück der Zittauer Sammlungen, sagt er. Als einziges seiner Art in Deutschland und wohl bedeutendstes von nur 18 vollständig erhalten gebliebenen Tüchern des sogenannten bilderreichen Feldertyps ist es zweifellos von europäischem Rang. In der Fachwelt wird es inzwischen mit dem berühmten Historienteppich von Bayeux verglichen, der auf 70 Metern die Eroberung Englands durch die Normannen im Jahre 1066 zeigt, betont er.

Nachdem die Leidensgeschichte des Großen Zittauer Fastentuches im Mai, Juni 1945 und die spektakuläre Restaurierung durch die Abegg-Stiftung in Riggisberg in den 1990er Jahren durch die Medien gegangen war, erfuhr das Thema „Fastentücher“ eine regelrechte Renaissance. Weitere verschollene Tücher wurden entdeckt, andere restauriert und neue geschaffen. Seit der Eröffnung des Museums Kirche zum Heiligen Kreuz – Großes Zittauer Fastentuch am 12. Juni 1999 erkannte die Sächsische Landestelle für Museumswesen den Städtischen Museen Zittau Bundes- und Landesbedeutung zu. Das Fastenvelum ist aber nicht nur der bedeutendste Schatz der Zittauer Museen. Es hat auch ganz wesentlich zur Bereicherung der Sammlungen beigetragen, wie Dr. Volker Dudeck sagt. Als die beiden Tücher nach ihrer Restaurierung in der Schweiz 1996 mit großem Medienecho in der Kölner Kirche und Kunststation St. Peter gezeigt wurden, zogen sie auch den Sammler Wolfgang Sternling in ihren Bann. In den Folgejahren nahm er regen Anteil an der Präsentation der Tücher. Die Erfolgsgeschichte bewog ihn, den größten Teil seiner Sammlung zum Thema Christuskreuz und Christusbild den Städtischen Museen Zittau zu schenken. Sie bereicherte den Fundus um mehr als 1.500 Kunstwerke, darunter Plastiken, Skulpturen, Malerei, Grafik und Goldschmiedearbeiten. Zum Jubiläum „450 Jahre Sammeln in Zittau“ übergab er im Frühjahr 2014 ein Dutzend einzigartige Ikonen aus Russland und Griechenland. Auch für die Hebung des Zittauer Epitaphienschatzes war die Strahlkraft der Fastentücher nicht unerheblich. Auch Georg Baselitz hätte sein Tuch „Anna selbdritt“ wohl kaum in der Zittauer Klosterkirche ausgestellt, wäre die Stadt nicht durch ihre Fastentücher weit über Deutschland hinaus bekannt geworden, so Dr. Volker Dudeck weiter.

Im September 1994 referierte Dr. Mechthild Flury-Lemberg in einem öffentlichen Vortrag zum Thema „Die Zittauer Fastentücher zur Kur in der Schweiz“. Dabei verglich die Leiterin der Restaurierungsabteilung der Abegg-Stiftung die Bedeutung der Tücher „für unsere Stadt mit der der Mona Lisa für Paris.“ Als am 6. Mai 1995 in Riggisberg die Sonderausstellung „Meisterwerke der Textilkunst“ mit den beiden restaurierten Zittauer Fastentüchern eröffnet wurde, war auch der deutsche Botschafter in der Schweiz zugegen. Sichtlich bewegt argumentierte der Diplomat gegenüber dem damaligen Oberbürgermeister Jürgen Kloß in ähnlicher Weise, wie das Mechthild Flury-Lemberg getan hatte. Auch er verwies auf die Chancen für die Entwicklung des Tourismus, die die Fastentücher für Zittau – ähnlich wie die Uta für Naumburg, der Isenheimer Altar für Colmar oder der Historienteppich für Bayeux – eröffnen könnten.
Mit diesen starken Magneten des Kulturtourismus kann sich Zittau noch nicht ganz messen, meint er. Immerhin nähert sich aber die Zahl der Gäste, die die Zittauer Tücher seit 1995 in Riggisberg, Köln, Wiesbaden, den beiden Präsentationen im Bürgersaal des Zittauer Rathauses und dann in der Dauerausstellung der Städtischen Museen gesehen haben, langsam der eine Million Marke. Und wie der Botschafter damals vorausgesagt hatte, wirken die Fastentücher auch als Wirtschaftsfaktor. Ökonomen rechnen mit 25 Euro, die ein Tagestourist an Umsatz bringt. Übernachtet er, werden 75 Euro angesetzt (sogenannte Umwegrentabilität von Kultureinrichtungen). Legt man lediglich den Satz eines Tagestouristen zugrunde, so setzten allein die seit 1999 gezählten 545.000 Besucher des Museums Kirche zum Heiligen Kreuz (davon kommen übrigens 20 Prozent aus dem Ausland) fast 14 Millionen Euro in der Stadt bzw. in der Region um. Das sind im Durchschnitt rund 700.000 Euro pro Jahr. Davon profitieren neben den Städtischen Museen vor allem Reiseveranstalter, Gästeführer, Hotels, Gaststätten, Souvenirläden und Tankstellen.

Mit Freundlichkeit und Kompetenz versehen die Mitglieder des Vorstandes, die Fastentuchführer, die Kassen- und Reinigungskräfte sowie die für die Pflege des Kirchhofes zuständigen Mitarbeiterinnen für geringen Lohn und mit vielen ehrenamtlichen Stunden ihren Dienst. Über den Museumsbetrieb hinaus organisiert der Verein Veranstaltungen – von der „Dreitücherfahrt“, der Reihe „Denk mal am Fastentuch…“ bis hin zu Konzerten und Vorträgen. Das 20-jährige Jubiläum wird laut Dr. Volker Dudeck aus terminlichen Gründen erst am 13. und 14. September mit einer Festveranstaltung sowie einer Konferenz begangen: „Angesichts des großen Engagements und der guten Erfahrungen, unserer Stadt bei der Sanierung und Umnutzung der Kreuz- und der Klosterkirche steht sie unter dem Motto ,Probleme und neue Wege bei der Nutzung von Kirchenräumen’“.

Steffen Linke / 11.06.2019

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