Direkt zum Inhalt springen
Info & Kommentare

Heidebogen wird zum Wolfs-Hotspot

Heidebogen wird zum Wolfs-Hotspot

Im Sommer 2018 zeigte der Schäfer Martin Just aus dem Gebiet des Rosenthaler Rudels Ministerpräsident Michael Kretschmer, welcher Aufwand für die Einhaltung des Mindestschutzes erforderlich ist.

Alternativer Text Infobild

Der Crostwitzer Schäfer Gerhard Schmidt (hier auf einer früheren Veranstaltung) macht immer wieder in seiner Berufstracht auf die mit dem Wolf verbundenen Probleme aufmerksam.

Östlich der sächsischen Landeshauptstadt gibt es jetzt vom Raschütz bis in den Hohwald flächendeckend Rudel mit zwei Dutzend Welpen. Von den Problemen haben die Rand-Dresdner bislang nur einen Vorgeschmack bekommen. 

Kamenz/Dresden. Der Zeitpunkt war günstig – oder ungünstig? – gewählt. Ausgerechnet am Dienstagmorgen waren auf einer Weide in Rauschwitz (Stadt Elstra) sechs gerissene Schafe entdeckt worden. Laut der Fachstelle Wolf des Landesamtes für Umwelt und Geologie weisen die Umstände auf den Wolf als Verursacher hin. Für Dienstagabend hatten die Landeszentrale für politische Bildung und die Kreisvolkshochschule Bautzen zu einer Diskussionsveranstaltung unter dem Thema „Wie viele Wölfe verträgt Sachsen?“ ins nahe gelegene Kamenz eingeladen. Zusätzliche Brisanz also für ein ohnehin emotionales und von teils existenziellen Ängsten und Sorgen belastetes Thema.

Wölfe nehmen Kurs auf Dresden

Wenn in der Vergangenheit von Wölfen in Sachsen und deren Begleiterscheinungen die Rede war, dann spielte sich das Geschehen zumeist in der Lausitz ab. Hatte doch hier – weit östlich der Landeshauptstadt – ab 2000 vom Truppenübungsplatz bei Nochten ausgehend die Besiedlung ihren Anfang genommen. Doch die Zeiten ändern sich. Ein Blick auf die Karte der aktuellen Territorien zeigt es: Die Landkreise Bautzen und Görlitz sind „dicht“. Jungtiere haben im angestammten „Wolfsland“ kaum noch eine Chance, eigene Rudel zu gründen. Sie müssen abwandern – und zwar in Richtung Westen. Die Folgen machen sich deutlich auf der Karte bemerkbar: Mittlerweile erstreckt sich das Besiedlungsgebiet bis unmittelbar an den östlichen Stadtrand von Dresden. Matthias Rau, Leiter der Fachstelle Wolf, fasst dies in Zahlen: „Aktuell gibt es Rudel im Raschütz mit zwei, bei Königsbrück mit einem, bei Laußnitz mit vier, in der Dresdner Heide mit vier, in der Massenei mit drei und bei Elstra mit fünf nachgewiesenen Welpen.“ Hinzu kommen Territorien in Nordsachsen zwischen Riesa und Delitzsch, im Hohwald und bei Stolpen/Hohnstein. Was beim Blick auf die Karte ebenfalls deutlich wird: Die Elbe bildet eine natürliche Barriere, die von den Wölfen (noch) nicht oder nur vereinzelt überwunden werden konnte. 

Probleme werden immer größer

Mag sich manch Dresdner über die wachsende Wolfspopulation vor den Toren der Großstadt noch freuen, so sieht die Stimmungslage in den unmittelbar betroffenen Gebieten anders aus. Und auch wenn der Schwerpunkt bei den Rissen von Nutztieren noch in der Lausitz liegt, so werden solche Vorkommnisse zunehmend auch aus dem Dresdner Heidebogen gemeldet: So gab es laut einer Mitteilung der Fachstelle Wolf vom 1. Juli „seit dem 29. Juni am Stadtrand der Landeshauptstadt Dresden täglich Übergriffe auf Schafe, bei denen insgesamt 12 Tiere getötet beziehungsweise verletzt wurden.“ Die Risse ereigneten sich laut der Mitteilung „nahe der Wohnbebauung“. Am 3. September fiel in Pappritz ein Alpaka „hinreichend sicher“ dem Wolf zum Opfer. Insgesamt wurden 2020 (Stand: 25. September) in Sachsen bislang 122 Nutztierrisse gemeldet, wovon 70 eindeutig dem Wolf zuzuordnen sind.

2019 wurden insgesamt 194 Fälle (135 eindeutig Wolf) gemeldet. Diese Zahlen scheinen zunächst auf eine leicht abnehmende Tendenz hinzudeuten, doch die Erklärung könnte auch anders lauten: „Ich habe es aufgegeben, meine Schäden zu melden, da der Aufwand und die Bürokratie den Nutzen bei weitem übersteigen“, erklärte der Schafhalter Rüdiger Schur aus Horka (Kreis Görlitz). Und er ist offenkundig kein Einzelfall: So gab es 2020 aus dem Territorium des zuvor besonders auffälligen Rosenthaler Rudels noch gar keine Meldung. Und das, obwohl das Rudel sehr wohl noch aktiv ist, wie der stellvertretende Bürgermeister der Gemeinde Puschwitz, Bernhard Ziesch, eindringlich vor Augen führte: „Der Wolf ist in unseren Orten täglich präsent, und wir haben keine Handhabe, uns zu schützen. Vor den Augen der Kinder, die frühmorgens zur Bushaltestelle gehen, wird mitten im Dorf ein Reh gerissen.“

Politische Lösung liegt in weiter Ferne

Die sächsische Wolfsverordnung erlaubt es, besonders renitente Wölfe „aus der Natur zu entnehmen“ oder einfacher gesagt abzuschießen. Nur wurde davon noch nicht ein einziges Mal Gebrauch gemacht. „Zuständig für die erforderliche Genehmigung ist der Landrat, doch er reicht den Antrag erst gar nicht ein, weil sofort gegen ihn geklagt wird“, so Bernhard Ziesch. Als es der Görlitzer Landrat Bernd Lange Anfang 2018 tatsächlich einmal versuchte, hatte er nach eigener Aussage 210 Klagen am Hals. Ein Problem, das Matthias Rau kennt und bestätigt. Etwas anderes allerdings bestätigt er nicht: „Es trifft nicht zu, dass die Bürokratie beim Schadensausgleich von Wolfsrissen zu groß ist. Zumindest seit der Einrichtung der Fachstelle Wolf geht das sehr zügig und unkompliziert.“ Eine politische Lösung könnte in der Übernahme des Wolfes aus dem Anhang IV in den Anhang V der FFH-Richtlinie bestehen, die weniger streng geschützte Arten enthält. Doch darauf macht der Leiter der Fachstelle Wolf wenig Hoffnung: „Darüber müssten sich alle 16 Bundesländer einig sein, und darauf besteht kaum Aussicht.“ Die hauptbetroffenen Länder Sachsen, Brandenburg und Niedersachsen kämpften bereits seit langem darum, stünden aber allein auf weiter Flur. Unterdessen dreht sich die Diskussion immer weiter im Kreis, und der Frust wird immer größer.

Service: Für die Meldung von Nutztierrissen hat die Fachstelle Wolf des Landesamtes für Umwelt und Geologie eine Hotline eingerichtet. Die Nummer lautet: 0800 5550666. 

Uwe Menschner / 05.10.2020

Was sagen Sie zu dem Thema?

Schreiben Sie uns Ihre Meinung

Die Mail-Adresse wird nur für Rückfragen verwendet und spätestens nach 14 Tagen gelöscht.

Mit dem Absenden Ihres Kommentars willigen Sie ein, dass der angegebene Name, Ihre Email-Adresse und die IP-Adresse, die Ihrem Internetanschluss aktuell zugewiesen ist, von uns im Zusammenhang mit Ihrem Kommentar gespeichert werden. Die Email-Adresse und die IP-Adresse werden natürlich nicht veröffentlicht oder weiter gegeben. Weitere Informationen zum Datenschutz bei alles-lausitz.de finden Sie hier. Bitte lesen Sie unsere Netiquette.

Kommentare zum Artikel "Heidebogen wird zum Wolfs-Hotspot"

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. Dieter Henners schrieb am

    Ich nehme einmal an, dieses Mitgefühl für die Nutztiere hört in dem Moment auf, da die ehemaligen "Familienangehörigen" gewinnbringend an die Weiterverarbeitung verkauft werden.

    Das Problem mit den Hybriden ist ein anderes, und die Wölfe mit jenen in einen Topf zu werfen ist eine unzulässige Vermischung. Die Wölfe der Lausitz ernähren sich zu 96% von Wildtieren. Wie viele Nutztiere ein Wolf reißt, hängt vom Anteil seiner Hundegene ab. Das Problem begann, als der Mensch halbverwilderte Streuner in der Natur geduldet hat. Lasst Eure Hunde nicht mehr frei herumstreunen und seid euch darüber im Klaren, dass das, was Ihr in freier Natur als "Wolf" zu sehen bekommt, mit großer Wahrscheinlichkeit ein Mischling ist.

    Ein reinrassiger Wolf meidet den Menschen, solange er nicht durch einen Vollidioten angeködert wird, der ein geiles Foto schießen will. Die Übernahme in Anhang V wird irgendwann ohnehin kommen, spätestens durch den Druck der Schreihälse auf die Politik, und ab dem Zeitpunkt wird der Jagddruck die vorwitzigen Wolf x Hund-Formen zurückdrängen. Solange sie sich frei bewegen können, sind Pferde gegenüber Wölfen ausgesprochen wehrhaft, und bei den kleineren Nutztierrassen wurde das Fluchtverhalten durch die Domestikation abgeschwächt. Was wollen wir also für die Zukunft unserer Tiere, natürliches Verhalten oder bequemes Handling? Es bringt die Diskussion überhaupt nicht weiter, wenn nur unsachlich auf die Tränendrüse gedrückt wird.

  2. Ulrike Lederer-Hartel schrieb am

    Diese Wolfspolitik ist an Perversion nicht zu überbieten und mit nichts zu rechtfertigen. Es ist erschreckend, dass die Politiker/innen immer noch an Schutzmassnahmen festhalten, auf Kosten der Steuerzahler übrigens, die die Wölfe/Hybriden selbst schon längst überwunden haben. Darüberhinaus erhalten viele Tierhalter entgegen den politischen Bekundungen keine Förderung und wenn, dann längst nicht kostendeckend. Wobei für viele Tierhalter ein monetärer Ausgleich einem Schlag ins Gesicht gleicht, denn für sie sind die Tiere Familienangehörige.

    Artgerechte Weidetierhaltung wird es bald nicht mehr geben. Das Steak auf dem Grill kommt dann aus einer Mastfabrik, was ja angeblich der Verbraucher nicht möchte. Ponys/Pferde werden nicht mehr artgerecht in Offenställen gehalten werden können, sondern nur noch in völlig hermetisch abgeschlossenen Stallungen, was sicherlich für das Steppentier Pferd alles andere als tierschutzgerecht ist.

Weitere aktuelle Artikel