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80 Jahre nach Einschulung trafen sich Deutsch-Ossiger

80 Jahre nach Einschulung trafen sich Deutsch-Ossiger

Peter Donhauser trug die einstigen Mitschüler durch viele Erinnerungen von der Einschulung 1945. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Deutsch-Ossig/Kunnerwitz. Im Sommer 1945, als Europa noch die Trümmer des Zweiten Weltkriegs zählte, begann für viele Kinder ein neuer Lebensabschnitt– der Schulanfang und dies auch in Deutsch-Ossig, wo die neue Grenzlage besonders hart zu spüren war. Es war kein gewöhnlicher Beginn. Die Umstände, in denen der Unterricht aufgenommen wurde, spiegelten die tiefen Wunden jener Zeit: Flucht, Verlust, Improvisation – aber auch Hoffnung und Zusammenhalt.

Peter Donhauser trägt die Erinnerungen an seine Kindheit tief in sich. Heute in der Berlin lebend, ist er der Chronist seiner Generation aus dem mittlerweile abgebaggerten Dorf, von dem nur Fragmente auf touristische Nutzung am Berzdorfer See warten. Und in dieser Eigenschaft hatte er kürzlich mit seinen Aufzeichnungen und Fotos aus alter Zeit auch die tragende Rolle bei einem besonderen Jubiläum. Ein 80-jähriges Einschulungsjubiläum ist an sich die Ausnahme, doch von den 1945 eingeschulten Deutsch-Ossigern kam dennoch die Masse der noch lebenden Zeitzeugen in der Gaststätte zur Windmühle in Kunnerwitz zusammen. Peter Donhauser teilte seine Erinnerungen aber nicht allein mit seinen Mitschülern von einst, sondern gewährte auch der Redaktion Einblicke in seine Erinnerungen.

Im Februar und erneut im Mai 1945 sei sein Heimatdorf geräumt werden, und die Familie fand sich plötzlich auf der Flucht wieder. Die verlassenen Häuser und Wohnungen blieben nicht unberührt – Plünderungen waren an der Tagesordnung. Inmitten dieser Ausnahmesituation begann für ihn ein neuer Lebensabschnitt: der Start in die erste Klasse der Grundschule von Deutsch-Ossig.

Der Ort war während des Krieges nicht direkt zerstört worden. Doch die Spuren des Krieges wogen schwer. Panzersperren und Schützengräben durchzogen das Dorf, die Brücken über Neiße und Mühlgraben waren gesprengt worden – „nicht, weil es einen zwingenden militärischen Grund gab“, wie Peter Donhauser sich erinnert, sondern schlicht aus blinder Zerstörungswut. Die Umgebung war vermint, „und bei der Minenberäumung starben auch Kinder“.

Nach der Evakuierung des Ortes im Februar 1945 – ein weiteres Mal im Mai – kehrten viele Bewohner zurück in geplünderte Häuser. Was nicht von Flüchtlingstrecks mitgenommen worden war, fiel „zuerst deutschen, dann russischen Soldaten“ in die Hände. Selbst die Schule war zeitweise Flüchtlingsunterkunft.

In diesem Chaos organisierte der Lehrer Johannes Riedel den Neustart des Unterrichts. Im Sommer 1945 begannen die ersten Klassen wieder, ohne Tafel, mit improvisierten Mitteln. Der Andrang war groß. Mehr als doppelt so viele Kinder wie vorgesehen – über 260 statt der geplanten 120 – mussten untergebracht werden. Viele waren „Umsiedlerkinder“, aus den bisherigen deutschen Ostgebieten gekommen, wie man Vertriebene alsbald in den Zwängen der politischen Verhältnisse im Osten nannte.

Einige Familien versuchten, in der Fremde neu Fuß zu fassen. So etwa die Familie Weniger, die mit einem „luftbereiften Anhänger und zwei Pferden“ ein kleines Fuhrgeschäft aufbaute. In ihren Gesichtern spiegelte sich das Schicksal vieler: entwurzelt, verarmt, aber mit dem Willen zum Neuanfang.

Die Unterrichtsbedingungen waren denkbar schwierig. „Es gab zu wenige Lehrer, weil manche wegen ihrer Vergangenheit nicht mehr unterrichten durften.“ Der Unterricht fand oft in Schichten statt – „vormittags, nachmittags oder überhaupt nicht.“ Die Ausstattung war dürftig. „Hefte waren kaum zu bekommen, Papier nur auf Zuteilung. Geschrieben wurde mit Bleistift, später mit Tinte.“

Winter brachte besondere Härten. Manche Kinder kamen barfuß, andere blieben zu Hause, weil es „an warmer Kleidung, Schuhen oder dem Mut, sich dem Fremden zu stellen“ fehlte. Heizmaterial war knapp, „nicht alle Räume konnten erwärmt werden.“ Und doch begann der Unterricht – mit Schiefertafeln, mit gegenseitiger Hilfe, mit Erfindungsgeist. Als dann endlich die „Görlitzer Fibel“ kam, war das ein kleines Wunder.

Trotz dieser Umstände machten viele Kinder ihren Weg. Einige wurden Handwerker, andere Buchhalter, Lehrer, Krankenschwestern, Ingenieure. Einige brachen in die damalige Bundesrepublik auf, andere blieben in der DDR, notiert der 85-jährige Peter Donhauser.

Was blieb, war der Zusammenhalt. Die ehemaligen Mitschüler hielten über Jahrzehnte Kontakt, organisierten Klassentreffen – zuerst in Deutsch-Ossig, dann, nach der Devastierung des Ortes, an anderen Orten in der Umgebung von Görlitz. Die Einschulung 1945 wurde für viele zum Symbol: für das Durchhalten in schwieriger Zeit, für die Kraft von Bildung – und für den Wert von Freundschaft, die selbst durch Vertreibung und Zeitläufe nicht zerbrach. 

PD/tsk / 18.08.2025

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