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Immer noch ruinöse Häuser in Görlitz

Immer noch ruinöse Häuser in Görlitz

Verhüllt wie ein Kunstwerk von Christo verbirgt sich dahinter ein bauliches Sorgenkind. Das Gebäude Sohrstraße 9 musste im Auftrag der Stadt gesichert werden, um Passanten vor herabfallenden Teilen zu schützen. Die neuen Eigentümer haben Besserung zugesag

Görlitz. Görlitz hat sich im Laufe der vergangenen 26 Jahre mächtig herausgeputzt. Doch nicht überall. In manchen Stadtvierteln bröckelt noch immer Putz von den Wänden, sickert das Wasser durch undichte Dächer, faulen Zwischendecken durch, sind Häuser einsturzgefährdet. Rund 35 Prozent der vorhandenen Bausubstanz ist unsaniert.

Karla Bürger hat ihrem Ärger in einer Mail an die Redaktion des „Niederschlesischer Kurier“ Luft gemacht: „Ich möchte mal wissen“, schreibt die Görlitzerin, „warum sich in unserer schönen Stadt noch immer so viele Wohnhäuser in ruinösem Zustand befinden. Zum Beispiel in der Rauschwalder Straße.“ Ja, es stimme, dass es trotz aller Anstrengungen noch immer einen nicht unerheblichen Anteil unsanierter Häuser in der Neißestadt gibt, meint Hartmut Wilke. Der Leiter des Amtes für Stadtentwicklung weiß jedoch rund zwei Drittel der vorhandenen Gebäude auf Vordermann gebracht. Circa 35 Prozent seien dagegen noch nicht saniert. Und davon wiederum etwa zehn Prozent könne oder müsse man als ruinös bezeichnen. Was aber nur ein Schätzwert sei, betont Wilke. Genaue Zahlen darüber gebe es nicht. Auch weil „ruinös“ eine recht subjektive Bezeichnung ist und es keine konkreten Maßstäbe dafür gibt.

Es stimmt aber auch, dass es in Görlitz nur ganz wenige Straßenzüge gibt, deren Gebäude in den vergangenen Jahren durchgängig einer Verjüngungskur unterzogen wurden. Die Kunnerwitzer Straße ist ein Beispiel dafür. Die Zahl der Straßen mit einem unsanierten Hausanteil sei weitaus höher, ist sich der Stadtentwickler bewusst. Laut Wilke gibt es keine Konzentration der Sorgenkinder, vielmehr verteilen sie sich über die gesamte Innenstadt. Im westlichen Teil könne die Rauschwalder Straße als negatives Beispiel dienen, fast um die Ecke machten die Gebäude in der Landeskronstraße und am Lutherplatz wieder eine deutlich bessere Figur. Ähnlich sieht es in der östlichen Innenstadt aus: In der Augustastraße sind fast alle Gebäude saniert, in der Konsulstraße gibt es noch erheblichen Nachholebedarf. Die James-von-Moltke-Straße ist gar zweigeteilt: Im Süden herrscht ein schlechter Zustand unter den Gebäuden vor, im Norden glänzen viele Häuser schon in frischen Farben. „Wir wissen nicht genau, warum sich solche Unterschiede ergeben“, so Wilke.

An ungeklärten Eigentumsverhältnissen scheitert die Sanierung allerdings nur noch in Ausnahmefällen. Vielmehr müsse man differenzieren, wer die Eigentümer sind und was sie wollen, erläutert der Stadtentwickler. „Es gibt Hausbesitzer, die führen die Immobilie schon in der dritten, vierten Generation. Für die ist das ein Stück Familiengeschichte. Sie sind aber nicht oder nur unter größten Schwierigkeiten dazu in der Lage, die Erneuerung des Gebäudes einzuleiten.“ Dann gebe es die „anonymen Eigentümer“ – jene, die sich die Immobilie als Geldanlage zulegen, was aber nur dann funktioniert, wenn sie saniert und vermietet ist. „Insgesamt ist das Feld der Eigentümer äußerst breit. Jeder Fall muss für sich betrachtet werden.“

Die Stadt hat nur begrenzte Möglichkeiten einzugreifen. Die Gesellschaften STEG und SEGes wirken als Sanierungsträger, helfen bei der Beantragung von Städtebaufördergeldern, vermitteln den Zugang zu freien Banken, stellen Kontakte zu Planungsbüros her. Doch leisten können muss es sich der jeweilige Eigentümer natürlich selbst. Ist dies nicht der Fall oder kommt eine Sanierung aus anderen Gründen nicht zustande, ist die Immobilie möglicherweise ein Fall für die beiden im Rathaus angestellten Baukontrolleure. Die streifen kontinuierlich durch die Stadt und haben die Gefahren bei baufälligen Häusern im Blick. „Wir versuchen da sehr zeitnah zu reagieren“, erläutert Hartmut Wilke. Wird ein Problem festgestellt, bekommt zuerst der Eigentümer Bescheid und wird aufgefordert, innerhalb von zwei Wochen für Abhilfe zu sorgen. Gibt es keine Reaktion, leitet die Stadt eine so genannte Ersatzvornahme ein und beauftragt eine Firma mit den Sicherungsmaßnahmen – die dann als Belastung im Grundbuch stehen.

Fälle von Notsicherungen kommen in Görlitz ziemlich häufig vor. Etwa alle zwei Wochen gehen Schreiben an die betreffenden Eigentümer raus, um lose schwingende Fenster zu arretieren, bröckelnden Putz ganz abzuschlagen oder Dachziegel vor dem Herunterfallen zu bewahren. „Meist sind es nur kleine Sachen, die aber trotzdem Schaden machen können“, erklärt der Bauexperte. Ein größeres Problem war und ist die Situation an der Sohrstraße 9. Dort musste in Richtung Emmerichstraße eine Teilsperrung verhängt werden, weil Statiker eine mangelhafte Standfestigkeit des Gemäuers diagnostiziert hatten. Nach einem Eigentümerwechsel will sich der neue Besitzer nun um die Sicherung kümmern.

Werden kleine Schäden nicht schnell behoben, wachsen sie sich zu größeren Katastrophen aus. So zum Beispiel in einem Haus an der Jakobstraße. „Ausgangspunkt war dort ein undichtes Dach. Dann hat es hinein geregnet. Durch die Feuchtigkeit ist die oberste Decke durchgefault, später hat es Durchbrüche bis ins Erdgeschoss gegeben. Damit fehlten plötzlich auch Versteifungselemente und die gesamte Statik geriet ins Wanken“, legt Wilke den Finger in die wunde Stelle. „Steht das Gebäude in einer Häuserzeile, ist das meist noch zu verschmerzen. Schlimmer wird es, wenn es ein Eckhaus betrifft, dann gerät die Statik völlig aus den Fugen.“
Bis auf Weiteres wird die Stadt jedoch mit solchen Szenarien leben müssen. „Wir wollen das zwar nicht, können aber nur begrenzt an den Stellschrauben drehen“, dämpft der Stadtentwickler Hoffnungen an eine durchgängig sanierte Gebäudesubstanz. „Das beste Mittel ist die Nutzung der Häuser. Dagegen steht die große Zahl der Immobilien und die nicht in notwendigem Maße steigende Bevölkerungszahl.“

Frank-Uwe Michel / 08.05.2016

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