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„Leider fahren manche nur zum Tanken rüber“

„Leider fahren manche nur zum Tanken rüber“

Dr. Agnieszka Gasior führt das Schlesische Museum Görlitz bereits seit 2 ½ Jahren als Direktorin mit einer ruhigen Hand und fachlich überzeugend. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Im September 2020 fragte der Niederschlesische Kurier rhetorisch über die damals neue Direktorin im Schlesischen Museum zu Görlitz, Dr. Agnieszka Gasior: „Bricht zwangsläufig eine polnische Ära an?“. 2 ½ Jahre später hat die Redaktion einmal persönlich zu Unterschieden nachgefragt, die andere Vorprägungen beiderseits der Grenze mit sich bringen.

Görlitz.
Im Grunde fängt das Dilemma schon bei den Schriftzeichen an. Unter den von den Softwareriesen dieser Welt auch dem Niederschlesischen Kurier zur Verfügung gestellten Buchstaben und Sonderzeichen finden sich sorbische, isländische, türkische.. aber nicht alle polnischen. Um kein Wischiwaschi abzuliefern, verzichtet die Redaktion daher gänzlich auf polnische Schriftzeichen. Dabei führt gerade das Schwänzchen (ogonek) unter dem a bei Agnieszka Gasior zu einer fundamental anderen Aussprache ihres Namens, der halbwegs wie „Gonschior“ klingt.

Die in Grünberg (Schlesien)/ Zielona Gora geborene Direktorin hebt hervor: „Man kann sich geschmeidig mit der Stadt vertraut machen. Ich entdecke immer noch vieles“, doch die Nähe zur Grenze sei auch persönlich ein echter Trumpf. Während man vom deutschen Kehl ins französische Straßburg mit der Straßenbahn fahren kann und auf der badischen Seite im Handel auch französische Zeitungen zu kaufen bekommt, gibt es an der Neiße bei ganz vielen ’Selbstverständlichkeiten’ an einer Grenze weiterhin den harten Schnitt, gibt die Redaktion zu bedenken. Gasior bleibt hier diplomatisch und betont: „Das Bekenntnis zur Europastadt empfinde ich weniger als Begeisterung und mehr als Aufgabe. Einige leben das, andere nicht. In Kehl blickt man auf eine längere Zeit des Zusammenwachsens.“ Wichtig seien Projekte, die auf Menschen einwirken. Als erstes selbst angestoßenes Projekt habe sie daher den Geschichtspfad erdacht. Eine App leite quasi dazu an über die Grenze zu gehen. „Wir haben Objekte auf beiden Seiten der Neiße in Verbindung gestellt, die historisch miteinander verwoben sind.“ Dinge nach dem immensen historischen Bruch 1945 auf anderer Seite ganz anders zu denken bringe mitunter sogar Vorteile mit sich, meint sie. Sie bedaure gleichwohl, dass es noch immer Menschen gibt, die außer zum Tanken nie über die Grenze fahren würden. Umgekehrt gebe es andere Merkwürdigkeiten

In Polen wirke eine starke Konsum- statt Kulturorientierung beim Motiv des Grenzübertritts. „Wir haben die Werbung in Polen auch daher sehr verstärkt, weil ökonomische Faktoren Einfluss haben. Sobald Tage mit freiem Eintritt anstehen, kommt der überwiegende Anteil der Besucher aus Polen.“ Mittlerweile würden bereits polnische Schulklassen aus Breslau oder Hirschberg (Jelenia Gora) ohne museumspädagogische Voranmeldung einfach so kommen. „Hier entwickelt sich etwas.“

Einen Paradigmenwechsel scheint es bei der starken polnischen Prägung des Hauses auch im Mitarbeiterstab dennoch zu geben. Im Gegensatz zur Zeit unter Vorgänger Dr. Markus Bauer stehen in Pressemitteilungen an die Redaktion deutsche Ortsnamen nun zumeist nur noch an zweiter Stelle in Klammern. „Ich sehe durch eine Veränderung der Reihenfolge keine Gefahr, dass die deutschen Namen aussterben. Die Frage, ’wie transportieren wir Information’ stellen wir natürlich.“ Für jüngere Besucher seien die polnischen Namen leichter zugänglich. Aber liegt hier nicht gerade ein Bildungsauftrag? Das Museum verdankt seine Existenz letztlich der Intention, kulturgeschichtlich den Stellenwert Schlesiens in der deutschen Geschichte darzustellen.

Agnieszka Gasior bekennt dazu: „Ja natürlich, dieser Aufgabe stellen wir uns auch. In der Präsentation ’Schlesien seit 1945’ sind in der polnischen Version natürlich die polnischen Namen zu finden, in der deutschen Version sind zunächst beide Namen genannt, dann operieren wir aber mit den deutschen Namen weiter.“ In der Praxis wird es gleichwohl häufiger auch schlurig. Jüngstes Beispiel: Das Projekt W/E LAB (West-East Laboratory) für junge Kunstschaffende mit einer zeitweiligen Künstlerresidenz im niederschlesischen Ort Kolonie Kuttenberg wurde einzig mit dem polnischen Ortsnamen Tarczyn angekündigt, wenngleich die Zugehörigkeit zur Stadt Lähn (Wlen) dann wieder den deutschen und polnischen Namen parallel nannte.

Gasior verkörpert dennoch aus einer konzentrierten Reflexion viel Elan. Aktuell arbeite man am Projekt Schönhof digital, durch das virtuelle Rundgänge durch das historische Museumsgebäude möglich werden. Auch VR-Brillen kommen zum Einsatz. 
Im Anschluss freue sie sich auf eine Schau von Neuerwerbungen. In Kooperation mit dem Oberschlesischen Museum in Oppeln (Opole) habe man aus einer Sammlung, die sich ehemals in Bad Carlsruhe (Pokój) befand unter anderem zwei Porträts der Gründer und eine Silberterrine erwerben können, „Objekte, die ich übrigens gerne in die Dauerausstellung integrieren würde.“ Neuzugang ist auch ein Porträt eines Breslauer Kaufmanns von 1850 von dem aus Lodenau stammenden Maler Adolf Zimmermann. „Das Bild war bereits einmal bei Bares für Rares, ist dann allerdings ’leider’ auf unglückliche Weise verschönert worden.“ Dank Spendern sei eine Renovierung erfolgt. Neben dem Riesengebirgsmuseum Hirschberg habe man aktuell eine enge Verbindung zum Laubaner (Luban) Museum. Voraussichtlich ab September solle die Riesengebirgsbahn im Fokus stehen, „nicht jedoch in Form einer Eisenbahnausstellung, sondern die Bahn wird hier Richtschnur sein. Lauban hat einst 90 Prozent der deutschen Taschentuchproduktukion gehabt, es geht in Hirschberg um die Spitzenproduktion unter Daisy von Pless oder am Zielpunkt Waldenburg (Walbrzych) noch einmal geballt um den industriellen Aufbruch“, während am anderen Ende mit Görlitz der Blick auf den Waggonbau falle.

Und wie wirkt sich derzeit das Einschlafen vieler Heimatstuben aus? So viele Archivalien kann doch kein Museum verkraften... Gasior freut sich an einem positiven Beispiel: „Ich begleite derzeit die Überführung der Heimatstube Löwenberg (Lwowek) in den Kreis Löwenberg. Vieles ist am Entstehungsort auch am besten aufgehoben.“

Till Scholtz-Knobloch / 15.04.2023

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Kommentare zum Artikel "„Leider fahren manche nur zum Tanken rüber“"

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. tomek schrieb am

    Es wird sicher verschiedene Gründe haben, warum viele Menschen nur zum Tanken nach Polen fahren.

    Da ist z.B. das Bild, das die ÖRR-Medien in Deutschland über Polen und seine Bürger zeichnen: für niedere Arbeiten mit Barackenunterbringung ( z.B. für die Spargelernte ) geeignet, aber nicht für "richtige" Arbeit. Arme unaufgeklärte, zurückgebliebene Katholiken, die dem Fortschritt feindlich gesinnt sind. Rechte Nationalisten, die nur die EU ausbeuten, etc., etc., etc..

    Dass Polen Deutschland in Sachen Bildung, Wirtschaftsentwicklung, Innovationen etc. bereits weit überholt hat, das will niemand in Berlin wahrnehmen. Dann gibt es auch Görlitzer Familien, die 1945 ihren Besitz auf der polnischen Seite verloren haben, oder die von dort vertrieben wurden, und für die ein Besuch auf der polnische Seite bis heute schmerzhaft ist.

    Es mag auch Deutsche geben, die eine unfreundliche Begegnung auf polnischer Seite erleben mußten, eben weil sie Deutsche sind. Darüber hinaus stehen sich die Katholiken und die Lutheraner nicht in allen Fragen unbedingt freundschaftlich gegenüber. Man bedenke hierbei nur, wie unterschiedlich die deutsche, protestantische Sicht und die katholische polnische Sicht auf den polnischen Nationalhelden und Heiligen Johannes Paul II sind.

    Aus der deutschen Hauptstadt wird man sicherlich keine positiven Signale dahingehend nach Görlitz senden, dass sich Görlitz, die "AFD-Hochburg Dunkeldeutschlands" auch noch mit dem "rückständigen nationalistischen Polen" verbrüdert. Persönlich freuen wir uns täglich über die Doppelstadt, und wir genießen ihre beiden Seiten nach Kräften. Ich kann nur empfehlen den Lebensmitteleinkauf auf der polnischen Seite auszuprobieren. Ganz abgesehen von der oft hervorragenden Qualität an Obst und Gemüse, der Verfügbarkeit von frischen Kaninchen und Enten fast das ganze Jahr hindurch ( und das äußerst bezahlbar! ), genießen wir die große Vielfalt an Waren, die es ( wahrscheinlich durch die Marktmacht einiger Konzerne in Deutschland ) nicht in die deutschen Geschäfte schaffen.

    Auch ansonsten lohnt sich der Blick über die Neiße: die verschiedenen Veranstaltungen rund um den Dom Kultury lohnen einen Besuch, die Freitagskonzerte mit freiem Eintritt, die Veranstaltungen in der Sporthalle, oder gehen Sie einfach in Zgorzelec ins Freibad.

    Die traurige Buslinie, die von den Herren Ursu und Gronicz groß verkündet und eröffnet wurde, ist aus meiner Sicht eine peinliche Angelegenheit, da keine Anbindung mit der Sporthalle, Zgorzelec Plaza, Kaufland, Carrefour, Castorama etc. gegeben ist. Es scheint nur eine Art Feigenblatt-Lösung zu sein. Der ÖPNV ist aus meiner Sicht der wichtigste Punkt, an dem zunächst anzusetzen wäre, um ein Zusammenwachsen der Stadthälften zu verbessern. Aber: da sind sicher ganz andere Interessen in Berlin und Warschau maßgeblich. Sind doch die jeweils zugrunde liegenden Menschenbilder der beiden Regierungen fast schon als gegensätzlich anzusehen.

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