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Mehr Verbündete in Polen als hierzulande

Mehr Verbündete in Polen als hierzulande

CDU-Landtagsabgeordneter Octavian Ursu (l.) und Stephan Rauhut (r.) trafen sich am 16. März in einem Café am Postplatz. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Der aus Görlitz stammende Vorsitzende der in Königswinter bei Bonn ansässigen Landsmannschaft Schlesien, Stephan Rauhut, möchte dem Auftrag des Verbandes getreu ein Büro in Schlesien eröffnen. Den Standort Görlitz unterstützt auch Rauhuts CDU-Parteifreund, der Görlitzer Landtagsabgeordnete Octavian Ursu.

Görlitz. Stephan Rauhut, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft Schlesien, und der CDU-Landtagsabgeordnete Octavian Ursu haben sich am 16. März in Görlitz getroffen. Hauptthema war die Absicht der Landsmannschaft Schlesien, in nächster Zeit ein Büro in Görlitz zu eröffnen.
„Wir wollen Präsenz in der Europastadt Görlitz/Zgorzelec zeigen, weil wir uns als europäische Brückenbauer verstehen“, sagt Stephan Rauhut. „Ich unterstütze das Vorhaben und das deutsch-polnische Engagement der Landsmannschaft Schlesien. Görlitz ist der ideale Standort, um sich grenzüberschreitend für den Erhalt der schlesischen Kultur und Traditionen einzusetzen“, ergänzt Octavian Ursu.
Stephan Rauhut wurde 1974 in Görlitz geboren und wuchs in der Goethestraße auf. Mit der Wende kam er 1989 ins niedersächsische Springe bei Hannover und später ins Rheinland. Mit seiner Wahl zum Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft vollzog diese 2013 eine deutliche Verjüngung an der Spitze. Rauhut ist der erste Vertreter der Nachkriegsgeneration in diesem Amt. Till Scholtz-Knobloch befragte Stephan Rauhut zu Partnern für das avisierte Büro und zur Positionierung der Landsmannschaft.

Herr Rauhut, Können Sie uns verraten, mit welchen Partnern genau die Landsmannschaft gemeinsam ein Büro in Görlitz eröffnen möchte.

Stephan Rauhut: Mit unserer Mitgliedsorganisation „Gemeinschaft evangelischer Schlesier“ haben wir Gespräche geführt. Darüber hinaus sind die Stiftungen Kulturwerk Schlesien in Würzburg oder die Stiftung evangelisches Schlesien involviert.
Die Idee ist, durch eine gemeinsame Niederlassung Kompetenzen zusammenzuführen und das schlesische Element in Görlitz zu stärken.

Sie stammen gebürtig aus Görlitz. Die DDR hat das schlesische Erbe der Stadt und seines Hinterlandes verleugnet. Wie haben Sie sich vor der Wende 1990 selbst Schlesien genähert?

Stephan Rauhut: Nicht nur in meiner Familie hat Schlesien immer eine Rolle gespielt. Meine Großeltern kamen als Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Kreis Bunzlau und landeten in einem anderen Teil Schlesiens – eben dem kleinen bei Deutschland verbliebenen um Görlitz. Vor uns Kindern konnten meine Eltern diese Identität nicht verbergen, auch wenn das Wort Schlesien hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen wurde. Immerhin war in der DDR das Wort Schlesien offen ausgesprochen ein Tabu. Gerade für Kinder hat Verbotenes jedoch besonderen Reiz. Für mich ist Schlesien daher immer auch eigene Geschichte und Gegenwart. Insgesamt betrachtet betone ich aber, dass nicht nur die Schlesier Schlesien verloren haben. Ganz Deutschland hat Schlesien verloren und damit einen ganz wesentlichen Bestandteil seiner selbst. Das Erbe Schlesiens und deren Weiterentwicklung geht also alle Deutschen etwas an.

Sie sind mit 43 Jahren ein junger Vorsitzender der Organisation, die viele als verstaubt ansehen und die mitunter als „ewig gestrig“ bezeichnen. Wie begegnen Sie solchen Vorbehalten?

Stephan Rauhut: Dieses Gerede vom Ewig Gestrigen haben wir doch der „DDR“ zu verdanken. Der Ruf, wonach die Landsmannschaft von ewig Gestrigen oder Revanchisten durchsetzt sein soll, ist in den Kellern der Staatssicherheit entstanden. Schon der Begriff Revanchismus ist ein Produkt geschickter PR-Arbeit des Ostblocks, die man über das entsprechende Milieu geschickt in den Westen hineingetragen hat. Denke ich an Persönlichkeiten wie Herbert Hupka oder Herbert Czaja ist mir das Gerede vom Revanchismus ein Rätsel. Es ging beiden um das Recht auf Selbstbestimmung der Völker und die deutsche Einheit, die andere schon abgeschrieben hatten. Alles was die Landsmannschaft in den letzten Jahrzehnten geleistet hat, trägt heute Früchte. Es waren die alten Vertriebenen, die Anfang der Achtzigerjahre zu Zeiten des Kriegsrechtes in der „Volksrepublik“ Polen mit Hilfstrans-porten hingefahren sind und den Menschen geholfen haben. Später ging es um die Rettung von Baudenkmälern. Und heute sind vielfältige grenzüberschreitende Kontakte entstanden, die akademischen, wirtschaftlichen und persönlichen Austausch ermöglichen. Heimat und ein gemeinsames Europa haben wir schon immer als Themen vertreten und wurden bestenfalls belächelt. Heute gibt es in Berlin wieder ein Heimatministerium. Für die Verständigung mit unseren östlichen Nachbarn gibt es keine besseren Experten als die Vertriebenenorganisationen.

Hat die Landsmannschaft eigentlich auch jüdische und polnische Mitglieder? Es gibt ja mittlerweile viele Polen, die sich mehr und mehr mit dieser Region identifizieren.

Stephan Rauhut: Durchaus gibt es polnische Freunde, die vermehrt anfragen und bei uns Mitglied werden wollen. Den reichen Schatz des jüdischen Anteils an der schlesischen Geschichte und Gegenwart würde ich gerne noch stärker betonen. Ein gutes Beispiel ist der im letzten Jahr mit dem Kulturpreis Schlesien des Landes Niedersachsen prämierte Film „Wir Juden in Breslau“ der Filmemacherin Karin Kaper.
Die Bundesversammlung der Landsmannschaft Schlesien ist bereits heute breit aufgestellt. Dennoch gibt es etliche schlesische Organisationen und Heimatgruppen, die außerhalb unserer Gemeinschaft ihr Dasein fristen. Ich will, dass wir stärker wieder die Anziehungskraft entwickeln, um mit einer breiten und starken Landsmannschaft in Deutschland, Polen und Europa auch in Zukunft Gehör zu finden.

Viele Polen in Schlesien haben in den letzten 25 Jahren nach den historischen Wurzeln dieses Landes gesucht und gefunden. Es ist eine starke schlesische Identität in Polen entstanden. Als Landsmannschaft Schlesien finden wir dort viele Verbündete – oft viel leichter als in der Bundesrepublik.

Wie beurteilen Sie als naher Beobachter die Entwicklung des Minderheitenrechts für die etwa 300.000 im heute polnischen Schlesien verbliebenen Deutschen?

Stephan Rauhut: Erstaunlicherweise kam man dieses Thema – wie übrigens auch Flucht und Vertreibung oder das deutsche Kulturerbe in Polen überhaupt – oft leichter in Polen besprechen als in Deutschland. Die kleinere litauische Minderheit in Polen hat ein umfassendes eigenes Bildungswesen vom Kindergarten bis hin zu Gymnasien. Wenn hier etwas ins Stocken gerät, ist das gleich Thema auf höchster staatlicher Ebene. Nach meinem Eindruck gibt es in Deutschland hingegen einen vorauseilenden Gehorsam, der dazu führt, dass die Beseitigung von Defiziten bei den Deutschen in Polen zu schwach angemahnt wird.

Tatsächlich haben wir gemeinsam mit den Organisationen der deutschen Volksgruppe in Schlesien bereits viel erreichen können. Großartig und beispielhaft sind die durch private Initiative entstandenen Schulen des Vereins „Pro Liberis Silesiae“ in Oberschlesien. Selbst polnische Familien wollen ihre Kinder in diese Schulen schicken.
Derzeit ist der Prozess etwas ins Stocken geraten. Davon dürfen wir uns aber nicht abbringen lassen. Leider wissen in der Bundesrepublik noch viel zu wenige Menschen, dass wir noch Landsleute mit deutscher Staatsbürgerschaft und Wahlrecht zu Bundestagswahlen in Schlesien haben. Es lohnt sich, bei einer Rundreise auch die Deutschen Freundschaftskreise der deutschen Volksgruppe einmal zu besuchen.

Till Scholtz-Knobloch / 27.03.2018

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