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Nach 40 Jahren stimmt jüngere Generation an

Nach 40 Jahren stimmt jüngere Generation an

Fabian Heiduschka (l.) hat gemeinsam mit seinem Großvater Michael Paschke bereits zweimal hoch zu Ross die Botschaft von der Auferstehung Jesu von Storcha nach Radibor getragen. Foto: RK

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So sieht es aus, wenn der Enkel mit seinem Opa am Osterreiten teilnimmt: Mit Zylinder, Gehrock, Reithose und Reitstiefel schwingen sie sich auf ihre Haflinger. Foto: privat

Beim Osterreiten am Ostersonntag werden sich entlang der Prozessionsrouten wieder zahlreiche Schaulustige einfinden. Die jüngsten Lockerungen im Zuge der nach wie vor andauernden Corona-Pandemie machen dies möglich. Im Westen von Bautzen kommt es dabei zu einem besonderen Ereignis. In Storcha übernimmt die jüngere Generation die Führung.

Göda. Sie sind geübt in dem, was am Ostersonntag in weiten Teilen der Oberlausitz zelebriert wird: Schon mehrmals haben der heute 70-jährige Michael Paschke und sein Enkel Fabian Heiduschka zusammen mit zahlreichen anderen Osterreitern die Botschaft von der Auferstehung Jesu in die Nachbargemeinde getragen. In ihrem Fall von Storcha ins etwa zehn Kilometer entfernte Radibor. Soweit nichts Ungewöhnliches. Für den Älteren von beiden ist es das diesmal jedoch schon. Der rüstige Rentner wird nach vier Jahrzehnten nicht mehr als Vorsänger den Zug der bunt geschmückten Pferde sowie der in Schwarz-Weiß gekleideten Männer auf den Rücken der Vierbeiner anführen. „Ich habe gehört, dass andere Reiter eine Träne im Auge hatten, nachdem sie ihr Amt aufgaben“, weiß Michael Paschke zu berichten. Er denkt, dass ihm das Gleiche passieren könnte. In dem Moment schießen ihm zahlreiche Erinnerungen in den Kopf – unter anderem die, wie er 1966, also inmitten des realexistierenden Sozialismus, zum Osterreiten dazu stieß, einer Tradition, die bereits seit Ende des 15. Jahrhunderts im Sorbenland tief verwurzelt ist. 

Michael Paschke denkt da-ran zurück, wer in schwierigen Zeiten den stolzen Reitern aus Storcha finanziell aus der Not half und an das erste Corona-Jahr, in dem, was selbst während der Kriege nicht passierte, die Zeremonie ersatzlos ausfallen musste. „Wir wussten uns aber zu helfen, um den Brauch am Leben zu halten“, meint er im Gespräch mit dem Oberlausitzer Kurier. „Dank einer mündlichen Information haben sich Osterreiter und deren Angehörige auf dem Friedhof zu einer Art Andacht getroffen. Dort spielten wir vom Band Lieder der Osterreiter vergangener Jahre, in denen das Gewieher von Pferden zu hören war, und wir sangen, sodass eine ähnliche Stimmung wie während der Osterprozession aufkam. Außerdem nahmen sieben Reiter aus Radibor den Fußmarsch nach Storcha auf sich, um mit uns die Auferstehung Jesu zu feiern.“

Diesen Augenblick wird der Lausitzer niemals vergessen. Genauso wenig wie das Osterreiten im vergangenen Jahr. Damals konnte es zwar bereits wieder stattfinden. Allerdings sorgte ein weiteres Virus für Unsicherheit. „Der Pferdeherpes-Erreger EHV-1 war in Deutschland ausgebrochen“, wirft Enkel Fabian ein. Der 21-Jährige studiert an der Uni Leipzig. Er will einmal Grundschullehrer werden und richtet dabei den Fokus auf seine sorbische Heimatsprache. Aufgrund der österlichen Vorbereitungen weilt der junge Mann derzeit an jedem Wochenende bei seinen Großeltern. Dazu gehört sonntags nach dem Gottesdienst das Singen in der Runde. „Aufgrund eines erhöhten Infektionsrisikos haben damals zahlreiche Pferdebesitzer ihre Tiere besser im Stall gelassen. Das führte wiederum dazu, dass das Osterreiten mit weit weniger Reitern auskommen musste.“

Viele von ihnen leihen sich ihre Vierbeiner für die alljährlich im Landkreis Bautzen über die Bühne gehenden Prozessionen aus. Fabian Heiduschka und sein Opa beispielsweise fahren bis nach Lichtenhain bei Sebnitz, um dort auf den hellbraunen Haflingern zu üben, die dann von ihren Eigentümern am Ostersonntag in den Gödaer Ortsteil transportiert werden. „Das ist sehr von Vorteil, wenn sich Tier und Reiter im Vorfeld kennenlernen“, betonen beide. „Wie oft ist es schon passiert, dass Reiter von den geliehenen Tieren abgeworfen wurden oder die Männer nicht aufsitzen durften, weil es vorher keinen Kontakt gab.“ Am Ziel angelangt, würden die robusten Gebirgspferde erst einmal eine Portion frisches Stroh und Wasser serviert bekommen. 

Gegen Mittag heißt es aufsatteln. Dann zücken die Storchaer Osterreiter ihr Gesangbuch, das im Übrigen Michael Paschke eigenen Angaben zufolge bereits 2008 erstellte. Es enthält neben sorbischsprachigen Liedern auch Gebettexte. Sie anstimmen wird Kito Mark, ein Kommilitone von Fabian Heiduschka. Er übernahm das Kantorenamt vom Großvater seines gleichaltrigen Freundes. „Das Ganze geschieht mittlerweile über Funk, damit alles etwas gleichmäßiger klingt“, erklärt Michael Paschke. 

Für ein gemeinsames Foto mit seinem Nachfahren holt er seinen treuesten Begleiter aus dem Schrank – einen schwarzen Zylinder. Dieser, die Reitstiefel, der Gehrock, die Reithose, das Pferdegeschirr und eine Pferdedecke seien recht kostenintensiv in der Anschaffung. „Wer keine Möglichkeit hat, eine solche Ausrüstung geschenkt zu bekommen oder zu erben, muss durchaus bis zu 1.000 Euro auf den Tisch legen“, lässt der Senior wissen. 

Fabian Heiduschka brauchte diese Summe nicht auszugeben. In wenigen Stunden wird sich der großgewachsene Mann in sein Festtagsgewand schwingen und die Kirche im Ort ansteuern. Sein Großvater allerdings reitet diesmal nicht mit. Vom Gotteshaus aus setzt sich der Prozessionszug 12.00 Uhr in Bewegung. Etwa zwei Stunden später werden die Storchaer Reiter in Radibor erwartet. Parallel dazu werden die Radiborer die Frohe Botschaft nach Storcha tragen, ohne dabei aufeinanderzutreffen. Das passiert nun schon seit 1882 in dieser Weise. Michael Paschke und sein Enkelsohn Fabian können mit Stolz sagen: Sie sind Teil einer sorbischen katholischen Tradition.

Roland Kaiser / 16.04.2022

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