Direkt zum Inhalt springen
Info & Kommentare

„Politik muss mit klarer Perspektive antworten“

„Politik muss mit klarer Perspektive antworten“

Der Geschäftsführer der HVS-Geschäftsstelle Dresden, David Tobias, und sein Team haben ein Ohr für die Belange der Einzelhändler in der Oberlausitz. Kontakt: (0351) 867 06-0. Pressefoto

Der Handelsverband Sachsen (HVS) vertritt die Interessen auch zahlreicher Unternehmer in der Oberlausitz. In diesen Tagen übt er den Spagat. Auf der einen Seite stehen die Schutzmaßnahmen, die es zu beachten gilt, um das Corona-Virus einzudämmen. Andererseits pocht der HVS darauf, dass seinen Mitgliedern endlich unter die Arme gegriffen wird. Der Geschäftsführer der Geschäftsstelle Dresden, David Tobias, spricht im Oberlausitzer Kurier darüber, wie das gehen kann.

Wie steht es derzeit konkret um den Einzelhandel in den Landkreisen Bautzen und Görlitz im Zuge des coronabedingten Lockdowns?

David Tobias: Die Lage ist bedrohlich, die finanzielle Luft geht vielen Unternehmen aus.

Womit rechnet der Handelsverband Sachsen, sollte die Politik nicht zeitnah gegensteuern?

David Tobias: Sechs von zehn Innenstadtgeschäften droht das Aus. Da hilft es im Übrigen nicht, wenn der sächsische Wirtschaftsminister darauf verweist, dass das Insolvenzrecht bis Monatsende ausgesetzt ist. Das zeugt leider von betriebswirtschaftlicher Unkenntnis. Denn die Insolvenz nicht beantragen zu müssen ist das Eine, die tatsächliche Zahlungsfähigkeit aber das Entscheidende. Einfach ausgedrückt: Wenn das Konto leer ist, wovon wollen Sie beispielsweise die Miete und die Versicherung bezahlen? Dass über die Wirtschaftshilfen so lange diskutiert wird, dass das neue Hilfsprogramm noch nicht einmal beantragt werden kann, verunsichert nicht nur die Unternehmen. Auch Banken halten sich zurück, in diese Unsicherheit hinein zu finanzieren. Das bedeutet, es werden bis zur vollständigen Zahlungsunfähigkeit private Rücklagen und Altersvorsorgen aufgebraucht.

Inwieweit liegen dem HVS bereits Informationen über mögliche Geschäftsschließungen in Städten wie Bautzen, Görlitz, Kamenz, Bischofswerda, Niesky, Löbau und Zittau vor?

David Tobias: Das ist leider ein sehr intimes und emotionales Thema, was Kaufleute oft mit sich selbst und ihrer Familie ausmachen. Ich fürchte, viele Unternehmen werden schleichend leise vom Markt verschwinden, und das Erstaunen wird irgendwann vielerorts groß sein, weil uns lieb gewonnene Geschäfte einfach weg sind.

Was müsste die Politik tun, damit es nicht zu einem großflächigen Sterben im Einzelhandel kommt?

David Tobias: Den Vorschlägen des Handelsverbandes folgen und Finanzhilfen auf Basis der Roherträge zügig veranlassen.

Auf welche Unterstützung seitens der Politik kann der Einzelhandel jetzt schon bauen?

David Tobias: Das einzig wirksame ist das Kurzarbeitergeld, das aber für alle Branchen – auch die, die weiter tätig sind – zur Verfügung steht.

Inwieweit kommen die von der Bundes- und Landesregierung umworbenen Finanzhilfen auch tatsächlich in der Region an? Welche Erkenntnisse liegen dem HVS dazu vor?

David Tobias: Es ist bekannt, dass bei den bestehenden Programmen der Handel häufig durchs Raster fällt, weil die Zugangsvoraussetzungen praxisfremd festgelegt wurden. Dort wo Hilfen ausgezahlt werden, dauert es bekanntermaßen (zu) lang.

Welche Verluste lassen sich mit den in Aussicht gestellten Finanzspritzen ausgleichen?

David Tobias: Das ist einer der großen Streitpunkte. Es sollen Teile der Fixkosten sein. Jedoch wird nicht alles seitens der Politik als Kostenfaktor berücksichtigt, zum Beispiel die jetzt in den Geschäften befindliche Ware, die nur über hohe Abschläge noch verkauft werden kann. Der Engpass ist und bleibt die Liquidität – und die wird über die Fixkosten hinaus von Tag zu Tag aufgezehrt.

Wie bewertet der HVS eigentlich Initiativen, die trotz der erlassenen Corona-Schutzverordnung Läden wieder öffnen wollen?

David Tobias: Der Rechtsbruch ist kein Mittel und ich kenne persönlich kein einziges Geschäft, was davon Gebrauch machen möchte.

Was denken Sie, wie werden unsere Innenstädte nach dem jüngsten Lockdown ausschauen?

David Tobias: Das Jahr 2021 könnte für viele vom Lockdown betroffene Handelsunternehmen in der Insolvenz enden. Es ist an der Zeit, dass diese Frage endlich die Politik mit einer klaren Perspektive beantwortet. Außerdem wird meines Erachtens sträflich verkannt, welche volkswirtschaftlich bedeutsame Rolle der Handel als drittgrößte Wirtschaftsbranche und zweitgrößter Arbeitgeber spielt. Die Auswirkungen werden auch Dienstleistungs- und Handwerksbetriebe vor Ort zu spüren bekommen, die vom Handel als Auftraggeber leben.

Roland Kaiser / 18.01.2021

Was sagen Sie zu dem Thema?

Schreiben Sie uns Ihre Meinung

Die Mail-Adresse wird nur für Rückfragen verwendet und spätestens nach 14 Tagen gelöscht.

Mit dem Absenden Ihres Kommentars willigen Sie ein, dass der angegebene Name, Ihre Email-Adresse und die IP-Adresse, die Ihrem Internetanschluss aktuell zugewiesen ist, von uns im Zusammenhang mit Ihrem Kommentar gespeichert werden. Die Email-Adresse und die IP-Adresse werden natürlich nicht veröffentlicht oder weiter gegeben. Weitere Informationen zum Datenschutz bei alles-lausitz.de finden Sie hier. Bitte lesen Sie unsere Netiquette.

Weitere aktuelle Artikel