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„Probleme mit uns lösen, nicht für uns“

„Probleme mit uns lösen, nicht für uns“

Uwe Hauschild kann sich gut in die Situation seiner Klientel hineinversetzen. Denn er ist selbst vor zehn Jahren erblindet. Nun berät er Menschen mit Behinderung in der Lessingstadt und vertritt ihre Anliegen gegenüber verschiedenen Institutionen. Foto:BD

Uwe Hauschild ist seit drei Jahren ehrenamtlicher Behindertenbeauftragter der Stadt Kamenz. Der 69-jährige, der selbst blind ist, kümmert sich um die Interessen von rund 1.200 Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen, die in der Lessingstadt wohnen. Damit diese besser am öffentlichen Leben teilnehmen können, wurde in den vergangenen Jahren schon einiges erreicht. Baustellen gibt es aber noch genug.

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Diese weißen Streifen, genannt „Bodenindikatoren“, am Bahnhof Kamenz weisen Blinden und Sehbehinderten den Weg. Foto: Beate Diederichs

Kamenz. Heute erlebt Uwe Hauschild eine Art Premiere. Eine Frau aus seiner Nachbarschaft, Mutter eines mehrfach behinderten Sohnes, ist in seine monatliche Sprechstunde im Kamenzer „Altstadttreff“ gekommen, um ihn um Rat zu fragen. „Sonst sitze ich meist alleine hier und nutze die Zeit, um am Laptop zu arbeiten. Denn die Mehrzahl derjenigen, die meine Hilfe brauchen, rufen mich einfach an.“ Die Nachbarin möchte wissen, wie sie einen Behindertenparkausweis bekommt. Uwe Hauschild empfiehlt ihr, sich ans Sozialamt in Bautzen zu wenden. Außerdem weist er sie darauf hin, dass sie in ihrer Situation Eingliederungshilfe beantragen könne, um zum Beispiel Unterstützung im Haushalt zu erhalten. Dieser Fall illustriert gut, wie Hauschilds ehrenamtliche Tätigkeit als Behindertenbeauftragter funktioniert: „Ich höre den Menschen zu und sage ihnen dann, an wen sie sich mit ihrem Anliegen wenden sollten.“ Daneben listet der der 69-jährige auf, welche Probleme Menschen mit Behinderungen aus seinem Umfeld haben. Diese trägt er dann an die Sozialdezernentin im Kamenzer Rathaus oder an den Landesbeirat für Inklusion behinderter Menschen heran. 

Sachsenweit beträgt der Anteil von Personen mit attestierter Behinderung rund sieben Prozent. So auch in Kamenz – wodurch man auf rund 1.200 Betroffene in der Lessingstadt kommt, die einen einschlägigen Ausweis haben. Uwe Hauschild ist einer von ihnen. Der zweifache Familienvater, der zu DDR-Zeiten an der Kamenzer Offiziershochschule und in Moskau studierte und nach der Wende zum internationalen Qualitätsmanager einer großen Spielzeugfirma aufstieg, erblindete während eines China-Aufenthalts 2015 – durch ein Glaukom, das er seit seinem siebenten Lebensjahr hatte. „Ich fiel damals in ein tiefes Loch und war sehr dankbar, dass mir meine Familie und der örtliche Blinden- und Sehbehindertenverband halfen.“ Mittlerweile hat Hauschild das Amt des 1. stellvertretenden Landesvorsitzenden im Verband inne. Als ehrenamtlicher Behindertenbeauftragter von Kamenz fungiert er seit drei Jahren. Dabei geht es vor allem um die Themen Barrierefreiheit und Teilhabe am öffentlichen Leben.

Was darunter genau zu verstehen ist, hängt davon ab, unter welcher Behinderung die entsprechende Person leidet. Sehbehinderte profitieren zum Beispiel von weißen Streifen mit Rillen und Noppen, sogenannten Bodenindikatoren, die entlang von Wegen angebracht sind. Die Farbe und der Kontrast zum Pflaster leitet Sehbehinderte. Blinde können die Richtung der Rillen oder Noppen mit dem Stock ertasten. In anderen Situationen müssen sich letztere auf ihr Gehör verlassen und brauchen daher akustische Informationen. Ein geschulter Tastsinn hilft, die Braille-Schrift zu lesen. Die beherrscht aber nicht jeder Blinde. „Es ist vorteilhaft, wenn man sie schon frühzeitig lernt. Für mich war es zu spät, sie mir noch anzueignen“, erzählt Uwe Hauschild. Apps und Geräte, die Infos versprachlichen, können für diese Zielgruppe sinnvoll sein. Hörgeschädigte wiederum brauchen visuelle Reize. Sie können einen warnenden Sirenenton nicht wahrnehmen, benötigen daher ein rotes Signallicht. Für Rollstuhlfahrer muss die Umgebung physisch barrierefrei sein, ohne hohe Kanten an Bürgersteigen oder mit Fahrstühlen statt Treppen. Den Menschen mit künstlichem Darmausgang sind stets zugängliche öffentliche Toiletten willkommen. Autisten – ein Grenzfall – dagegen profitieren von Ruhe ohne Ablenkungen, ohne Gewimmel. „Da jede dieser Zielgruppen ihre eigenen Bedürfnisse hat, sollte man ihr unbedingt zuhören. Ich denke, ich spreche für alle Menschen, für die ich zuständig bin, wenn ich sage: Probleme bitte nicht für uns lösen, sondern mit uns“, betont der Behindertenbeauftragte.

Was wurde in Kamenz vor diesem Hintergrund bereits mit Menschen mit Behinderung erreicht? An einigen Stellen findet man bereits die besagten weißen Streifen, unter anderem am Bahnhof und am Rathaus. Die neue Bushaltestelle mit der Straßenquerung am Gymnasium ist für Rollstuhlfahrer und Blinde problemlos nutzbar. Am Kreisverkehr Richtung Bernbruch sind Geh- und Radweg deutlich durch verschiedene Farben voneinander getrennt, was es leichter macht, sich zu orientieren. Auch das sanierte Lessing-Museum wird behindertengerecht sein. „Dort hat man uns von Anfang an einbezogen“, lobt Uwe Hauschild. Aber es bleiben immer noch Baustellen. Auf Anraten des Blinden- und Sehbehindertenverbandes entstand ein Behindertenparkplatz direkt hinter dem Rathaus. So kommt man leichter zu dem Rathaus-Zugang, der für Rollstuhlfahrer gedacht ist. Als Aufgabe bleibt aber, einen barrierefreien Zugang vom Markt zu schaffen. Hauschild wünscht sich von der Stadt, dass sie ein Konzept erstellt, welche Maßnahmen das Leben für Menschen mit Behinderung erleichtern können. So fehlten zum Beispiel teils die weißen Streifen dort, wo sie Bedürftige vom Bahnhof oder Busbahnhof Richtung Ampel und weiter zur Innenstadt leiten könnten. 

In Zeiten knapper Kassen, so berichtet es Uwe Hauschild, höre man als Behindertenbeauftragter oft: „Jetzt kommt ihr auch noch“ oder „Wir machen doch schon so viel für euch!“ Aus seiner Sicht profitieren jedoch auch Nichtbehinderte von den Verbesserungen für seine Zielgruppe. „Wenn ein Fahrstuhl eingebaut wird, können ihn doch alle nutzen, oder?“ Bezüglich seiner Sprechzeit hofft er, dass die ratsuchende Mutter vielleicht eine Trendwende eingeleitet hat und nun öfter Leute ihn im „Altstadttreff“ ansprechen. „Denn mir geht es vor allem auch darum, dass Menschen mit Behinderung es schaffen, ihre vier Wände zu verlassen und mit anderen ins Gespräch kommen.“

Uwe Hauschild hält seine Sprechstunde in der Regel am ersten Donnerstag eines Monats von 9 bis 11 Uhr im „Altstadttreff“ Kamenz ab.

Beate Diederichs / 14.12.2025

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