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Staatsvertrag kurz vor der Verhandlungsreife

Staatsvertrag kurz vor der Verhandlungsreife

Zu den Gründervätern des Serbs-ki Sejm zählt unter anderem Martin Walde (l.). hier mit Wahlleiter Hagen Domaschke. Foto: Archiv

Der Serbski Sejm – das Parlament der Sorben und Wenden – strebt eine Körperschaft des öffentlichen Rechts nach dem Vorbild der Kirchen an. Dabei stellt es sehr selbstbewusste Forderungen an den Bund sowie die Länder Sachsen und Brandenburg.

Region. Vor etwas mehr als zwei Jahren ging ein in Teilen des sorbischen Volkes seit langem gehegter Wunsch in Erfüllung: Der Wunsch nach einer eigenen, demokratisch legitimierten Vertretung in Form eines Parlamentes – auf sorbisch „Sejm“. 19 Mal haben sich die 23 gewählten Abgeordneten mittlerweile getroffen, zuletzt und wohl auch in der näheren Zukunft virtuell. In ihren Beschlüssen ging es unter anderem um den Erhalt des Dorfes Mühlrose, um die Anerkennung des Sorbischen als zweite Fremdsprache im Abitur oder auch um die Strukturreformen der katholischen und evangelischen Kirchen.

Beschlüsse sind nur intern wirksam

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Martin Schneider Foto: privat

Allein: Den Beschlüssen fehlt es bis jetzt noch an Bindekraft. „In der Tat sind sie nur intern wirksam“, bestätigt auch Martin Schneider. Der 46-jährige Ingenieur aus dem Bautzener Ortsteil Niederuhna ist als Mitglied des Ausschusses für Verfassung und Recht maßgeblich an der Ausarbeitung des Staatsvertrages beteiligt, der den Serbski Sejm zur Legislative einer Körperschaft des öffentliches Rechts machen würde. Dies ist ein Ziel, das die Initiatoren von Anfang an verfolgen, denn nur so kann der Serbski Sejm über den eigenen Dunstkreis hinaus wirksam werden. „Ziel ist ein weitreichendes Mitspracherecht in allen Belangen, die das sorbische/wendische Volk betreffen, vor allem in den Bereichen Kultur und Bildung, Nutzung natürlicher Ressourcen und Strukturwandel“, erklärt Wahlleiter Hagen Domaschke kurz vor der Wahl, an der etwa 900 Wahlberechtigte teilgenommen hatten. Wahlberechtigt war jeder, der sich als Sorbe/Wende bekennt. „Wir sind jetzt bald so weit, dass wir mit einem entsprechenden Vorschlag auf den Staat zugehen können“, legt Martin Schneider dar. „Der Staat“ – das sind in diesem Falle die Bundesländer Sachsen und Brandenburg sowie die Bundesrepublik Deutschland selbst, die als Vertragspartner in Frage kommen. „Der Entwurf lehnt sich in Aufbau und Inhalt an bestehende Staatsverträge mit den Volkskirchen als Körperschaften öffentlichen Rechts an“, so der Abgeordnete. Ebenso wie die Kirchen auf der Basis ihrer Verträge viele Dinge autonom regeln, sollen auch die Sorben wichtige Belange selbst entscheiden können.

Stiftung für das sorbische Volk als Exekutive

Dazu gehört – neben den bereits benannten Themenfeldern – auch die Forderung, dass die Verfügungsgewalt über die vom Staat bereitgestellten Mittel von der Stiftung für das Sorbische Volk unmittelbar an das sorbisch/wendische Volk übergeht. „Wir wollen die Stiftung nicht abschaffen; sie könnte die Rolle der Exekutive innerhalb der Körperschaft übernehmen“, meint Martin Schneider. Derzeit würden die Entscheidungen über die Verwendung der Mittel im Stiftungsrat hauptsächlich von Deutschen getroffen – für ihn und seine Mitstreiter ein „untragbarer Zustand.“ Konsequent weitergedacht, müsste auch eine eigene sorbische Gerichtsbarkeit als Judikative – die dritte Säule der demokratischen Gewaltenteilung – aufgebaut werden. Diese findet sich – analog zu Sport und Kirchen als „Schiedsgerichtsbarkeit“ bezeichnet – tatsächlich im Entwurf wieder.

Bevor der Serbski Sejm mit seinem Vertragsentwurf in die Verhandlungen geht, haben seine Vertreter Gespräche mit vielen sorbischen Vereinen, Institutionen und mit der Domowina als Dachverband geführt. Das Fazit zu letzterem Gespräch fällt für Martin Schneider mit etwas Distanz gemischt aus: „Die Gespräche selbst waren sehr gut und von Offenheit geprägt. Allerdings ist die Domowina immer noch ein sehr dickes Brett, das es zu bohren gilt.“ Noch immer gebe es große Unsicherheit über die eigene Rolle, falls es tatsächlich zur Gründung der Körperschaft öffentlichen Rechts kommt. Der Domowina-Vorsitzende Dawid Statnik hatte den Serbski Sejm zur Mitarbeit in der Domowina eingeladen und nach dem Treffen erläutert: „Die sorbische Zivilgesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt, keineswegs ausschließlich von Vereinen, ist im Dachverband organisiert. Einen anderen Weg wird es nicht geben, wenn wir nicht die Gemeinsamkeit der sorbischen Gemeinschaft aufs Spiel setzen wollen. Denn Spaltung war in der Geschichte immer zum Schaden des sorbischen Volkes.“ Ein Beitritt zur Domowina kommt für Martin Schneider jedoch nicht infrage: „Nach den demokratischen Prinzipien sind die Domowina und der Serbski Sejm zwei Institutionen, die voneinander getrennt bleiben müssen.“ Mitglied in der Domowina könne höchstens der Smy e.V.als Förderverein des Sejm werden, was jedoch ebenfalls als problematisch angesehen wird.

Verzicht auf eigenes Territorium

Auch in den Verhandlungen mit Bund und Ländern wird der Serbski Sejm wohl dicke Bretter bohren müssen, denn die Formulierungen und Forderungen sind sehr selbstbewusst. So ist unter anderem die Rede von einer „finanziellen Entschädigung und Wiedergutmachung für über 1.000-jährige gewaltsame Eroberung, Enteignung, Unterdrückung, Fremdbestimmung, Zwangsumsiedlung und Assimilation/Germanisierung.“ Auch verzichte das sorbisch/wendische Volk „zugunsten der territorialen Integrität der Bundesrepublik Deutschland und des Friedens zwischen allen Lausitzern auf die Durchsetzung seines Rechts auf ein eigenes Territorium.“ Für Martin Schneider könnte der Staatsvertrag, wenn er denn zustande kommt, weit über das Verhältnis zwischen Sorben/Wenden und Deutschen hinaus reichen: „Er kann als Blaupause dienen, nach der auch andere Völker, die kein eigenes Staatsterritorium haben, die Beziehungen zu den Staaten, in denen sie leben, regeln.“

Uwe Menschner / 24.01.2021

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