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Technische Helfer gegen Wegwerfgesellschaft

Technische Helfer gegen Wegwerfgesellschaft

Für Hans-Jürgen Müller (links) und Rudolf Just ist ein defekter Kassettenrekorder eine der eher einfacheren Übungen. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Jeden letzten Donnerstag im Monat gibt es auf dem Gelände der Görlitzer Rabryka in der Bautzener Straße 32 ab 17.00 Uhr das Reparatur-Café. Die Instandsetzung von Haushaltsgeräten oder Unterhaltungselektronik trotzt der auf Wegschmeißen konzipierten Konsumgesellschaft und könnte damit ein noch wertvollerer gesellschaftlicher Beitrag werden, wenn die coronageschwächte Wirtschaft in die Knie geht.

 

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Markus Hacker (rechts) koordiniert das Team. Ihn kann man unter Tel.: 03581/8931928 und markus@second-attempt.de erreichen.

Görlitz. Es ist kurz nach 17.00 Uhr und schon stehen den heute fünf technikaffinen freiwilligen Reparateuren zwei Dutzend Leute mit teils technischem Gerät unter dem Arm in einem schummrigen Werkraum auf dem alten Gelände der Rabryka – dem alten Waggonbaugelände – gegenüber.
Einer ruft in die Stille der Vorbereitung an den Werktischen: „Heute soll auch noch eine Waschmaschine reinkommen“, doch diese wird auch eine Stunde nicht da sein. Die Atmosphäre erinnert an mit Benzin- und Ölgerüchen getränkten Garagen mit Regalen voller Schrauben, in denen sich mancher bastelbegeisterte Ehemann zurückzieht, um den Anweisungen der Ehefrau im Haushalt zu entfliehen.

Es ist Winter und Corona hat Deutschland noch nicht im Griff. Der Ofen wird angefeuert und wird die feuchtkühle Luft im Laufe des Abends noch in eine fast heimelige Atmosphäre verwandeln. Blicke der mehrheitlich älteren Herren, die hier das Zepter schwingen, verraten, dass es nun auch losgehen könnte und Renate Weihrauch aus Görlitz, die bereits am längsten wartet, erkennt, dass sie nun ihr technisches Problem darstellen kann. Ihr ist der Zugang zu ihrem E-Mail-Konto verloren gegangen. „In meinem Alter kommt man nicht mehr mit allen technischen Neuheiten klar, trotzdem nutze ich die aber gerne“, begründet sie den Grund für ihr Kommen, nachdem sie bei einem PC-Kurs von der Vielseitigkeit der ehrenamtlichen Helfer in der Rabryka erfahren hatte. Der erste Fall des Abends stammt also gleich aus der ganz modernen, sehr komplexen Welt und wird heute noch so einige Tüftelei erfordern.

Aber was sind das für Menschen, die hier ihren technischen Sachverstand im Dienst an anderen einbringen? Oft zu Fragen, bei denen Verkäufer in technischen Kaufhäusern irgendwann sagen: „Eine Reparatur wäre zu aufwendig und teuer, Sie müssten wohl schon ein neues Gerät kaufen.“

Rudolf Just aus Görlitz ist gelernter Feinmechaniker. Er war früher in der Görlitzer Feinoptik tätig und als sich die Zeiten änderten Taxifahrer. „Eigentlich wollte ich Rundfunkmechaniker werden, aber die Voraussetzungen waren sehr hoch“, berichtet er. Von dem Reparaturteam hat er im Internet gelesen. „Es hat mich beim Lesen gleich gekitzelt, dass es hier Menschen gibt, die mit ihrem Hobby etwas Sinnvolles machen. Es ist doch einfach ein schönes Gefühl zu helfen. Außerdem: Zuhause sitzen ist nicht mein Ding“.

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Noch muss in alter Weise im Winter der Ofen angefeuert werden. Foto: Till Scholtz-Knobloch

In die konzentrierte Atmosphäre mischt sich der Satz eines Kollegen: „Aufwand und Nutzen hin oder her. Die Maus kann weg!“ Nachhaltigkeit und das Gefühl, sorgsam mit Ressourcen umzugehen, müssen dem Realismus nicht im Wege stehen, wenn eine vergleichsweise günstige Komponente nicht mehr will. Und in der Tendenz zeichnet sich auch bei den meisten vorgetragenen Problemchen ab, dass Kleinelektronik und Haushaltstechnik hier im Vordergrund stehen.

Ein Mann hält einen Staubsauger unter dem Arm, dessen Massivität eine außerordentliche Saugleistung erahnen lässt. Doch im Angesicht der schweren Bauteile sagt er: „Ich bin nicht ungeschickt, aber hier habe ich vor der Stromzufuhr schon Respekt“, womit er im Team Zustimmung erfährt. Denn immer wieder schauen die Helfer quer, ob jeder auch gerade mit einer Arbeit beschäftigt ist, bei der er besondere Expertise einbringen kann. Der Teamgeist zählt und ein Rückzug vom Gerät ist kein Tabu, wenn es der Nachbar doch besser kann.

Für den Görlitzer Hans-Jürgen Müller ist die Aufgabe hier nicht neu. Er hat früher bereits bei einem ähnlichem Projekt in Zittau geholfen und ist mit Eifer sogar extra dorthin gefahren. Er war einst bei der Luftwaffe in Rothenburg zuständig für die Reparatur der Elektrik, später in Laage bei Rostock sowie bei Cottbus. Mit 53 Jahren sei er dann bei der Bundeswehr pensioniert worden „wie die das machen, aber dann fehlt schon etwas im Leben“, sagt er.

Nun sitzt er an einem ITT-Radiorekorder. „Ich habe so ein Modell noch nie in der Hand gehabt“, stellt er fest, ohne in Nervosität zu geraten. Doch hier geht es um reine Mechanik, eine eher leichte Übung. „Ich mache fast alles und gerade das Probieren ist ja interessant“, meint er. Eine ältere Dame ist ebenso mit einem Rekorder gekommen, allerdings bereits für Kassetten und CDs. Hans-Jürgen Müller stellt in Windeseile fest: „Tja, der Schieberegler stellt nicht klar zwischen beiden Funktionen hin- und her. Der könnte ausgeleiert sein oder durch Korrosion mitgenommen. Die Dame bekennt, ihr Rekorder wäre auf dem Müll gelandet, hätte sie im Niederschlesischen Kurier nicht vom Reparaturcafé in der Rabryka gelesen. „Ich habe noch eine alte Anlage aus DDR-Zeiten, mit der ich andere Probleme habe. Aber das war mir für heute zu schwer, die mitzubringen“. Der kleine Testfall ist schnell wieder behoben, so dass die Frage im Raum steht, ob sie auch den größeren Anlauf hier noch einmal wagt.

Am Nachbartisch steht derweil ein Toaster eines älteren Ehepaars. Auch dies scheint ein eher kleines Teststück für die Fertigkeiten des Helferteams zu sein, denn gleich kommt die Frage nicht auf die Ursache für das Versagen des Toasters, sondern nach einer Schreibmaschine, die zuhause geblieben ist. „Elektrisch oder mechanisch?“. „Ich hab beides.“ „Tja, fragen Sie mal an den Nachbartischen“, wird die nächste Suche nach dem richtigen Helfer eröffnet.

Und auch für die werden sich bald nun die Arbeitsverhältnisse verbessern und die Zeiten des Kohleofenanheizens im Winter der Vergangenheit angehören. Gleich nebenan werden auch die Reparateure im neuen, für über drei Millionen Euro hergerichteten Zentrum für Jugend und Soziokultur, der ehemaligen Furnierhalle an der Conrad-Schiedt-Straße 23, ihr Quartier beziehen können. Die Stadt Görlitz plant nach langen Verzögerungen die Eröffnung nun in der 37. Kalenderwoche Anfang September. Eigentlich wollte Rabryka-Betreiber, der Second Attempt e.V., schon Anfang April die Einweihung mit Hip-Hop, Breakdance und einem Bürgerforum feiern, doch im Corona-Jahr 2020 kam auch das anders. Und wegen des Umzugs fällt nun gerade der turnusmäßige nächste Termin am 27. August aus. Allerdings wird dafür am 17. Oktober ganztags auf dem Gelände sogar der „Tag der Reparatur“ gefeiert.

Till Scholtz-Knobloch / 22.08.2020

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