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„Wir hoffen, dass der Krieg bald zu Ende ist“

„Wir hoffen, dass der Krieg bald zu Ende ist“

Angelina Burdyk aus Bischofswerda (5.v.l.) gibt derzeit einem Teil der Familie ihres Mannes ein Dach überm Kopf. Die Menschen waren aus dem Raum Odessa in die Lausitz gekommen. Foto: privat

Die militärische Auseinandersetzung in der Ukraine führt dazu, dass immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland und somit auch in die Oberlausitz kommen. In Bischofswerda gibt es jetzt einen Verein, der sich speziell um die Anliegen dieser Menschen kümmert. Angelina Burdyk hat diesen ins Leben gerufen. Im Gespräch mit dem Oberlausitzer Kurier erklärte sie, dass der Zustrom nicht nur Chancen mit sich bringt. Gleichzeitig warnte sie vor möglichen neuen Konflikten.

Frau Burdyk, wie erleben Sie die Auseinandersetzungen in Osteuropa?

Angelina Burdyk: Nach dem ersten Schock kam die Wut. Wieso musste man so lange die Ukraine mit Hoffnungen füttern und Putin damit provozieren? Jetzt pumpt man noch die Waffen in die Ukraine. Das bedeutet, dass die Kriegshandlungen verlängert werden, was wiederum noch mehr Opfer und noch mehr Zerstörungen zur Folge hat. Diese Überlegungen sind aber jetzt nicht populär. Alle wollen kämpfen und siegen. Als ob es in der Situation überhaupt einen Sieger geben könnte. An die Gefahr des nuklearen Krieges versuche ich nicht zu denken. Jeden Tag verfolge ich das Geschehen auf den staatlichen ukrainischen, russischen und deutschen Kanälen, höre einen ukrainischen Blogger, der im Livestream Hilfe für Opfer vor Ort organisiert und schreibe mit Freunden und Bekannten aus der Ukraine, um eine Vorstellung zu haben, was vor Ort passiert. Viele von unseren Bekannten und Verwandten sind momentan auf der Flucht. Eine Familie ist aber in Kiew geblieben, da in ihrem Fall die Ausreise kaum möglich ist. Auf dem Bahnhof herrscht Chaos. Ein Auto haben sie nicht. Ohnehin wäre eine Fahrt mit dem eigenen Fahrzeug lebensgefährlich.

Worauf richten Sie sich hierzulande ein?

Angelina Burdyk: Ich rechne mit schweren ökonomischen Folgen aufgrund der Sanktionen sowie mit neuen Herausforderungen in Bezug auf die Integration von Flüchtlingen. Anderseits sind die aus der Ukraine flüchtenden Menschen eine große Bereicherung für unser Land. Ich hoffe, dass viele in unserer Region bleiben wollen. Nichtsdestotrotz sind nach der ersten Euphorie auch Konflikte hierzulande möglich.

Wie meinen Sie das?

Angelina Burdyk: Leider habe ich Nachrichten über provokatives Verhalten von beiden Seiten erhalten. Das ist sehr traurig und sogar bedrohlich. Ein russisch-ukrainischer Konflikt auf deutschem Boden braucht niemand. Die zwei Völker haben sich bis vor acht Jahren nie groß differenziert. Letztendlich haben viele beide Nationen im Stammbaum vertreten. Ich persönlich habe Ukrainer, Weißrussen und Deutsche. Es gibt viele russische Bürger, die aktiv den geflüchteten Ukrainern helfen.

Sollte nicht vielmehr daran angeknüpft werden?

Angelina Burdyk: Leider habe ich für den Fall kein Zauberrezept. Ukrainern fällt es im Moment natürlich schwer, die Russen zu umarmen. Viele verstehen aber, dass die einfachen Menschen, insbesondere hier in Europa, nichts für den Krieg können. Auf jeden Fall soll man die Diskussionen mit Betroffenen vermeiden und möglichst deren Leid lindern. Vielleicht wäre es ratsam, Veranstaltungen zum Thema „Umgang mit geflüchteten Ukrainern“ für russischsprechende Menschen zu organisieren. Jegliche Hetze gegen Russen ist zu verurteilen.

Worin sehen Sie derzeit Ihre Aufgabe?

Angelina Burdyk: Ich stehe den Flüchtlingen mit Rat und Tat zur Seite, kann übersetzen und Informationen geben. Meine Telefonnummer bekommen die Menschen, die unterwegs nach Deutschland sind, von freiwilligen Helfern. Ihnen beantworte ich Fragen, schicke Zugverbindungen oder Adressen in Deutschland, wo sich eine Unterkunft finden lässt. Kürzlich habe ich mit einigen Mitstreitern einen neuen Verein gegründet. Der wurde auf den Namen „Neue Nachbarn“ e.V. getauft. Ursprünglich wollten wir Beratungsarbeit leisten und den Menschen in Bischofswerda und Umland mit Unterstützung von Migranten praktische Hilfe leisten. Wie es im Moment aussieht, geht es nunmehr in erster Linie darum, für die Flüchtlinge aus der Ukraine da zu sein.

Wie können die Menschen hierzulande dabei helfen, Leid zu mindern?

Angelina Burdyk: So wie es schon geschieht: Leute aus der Ukraine aufnehmen, ihnen beim Einrichten ihres Lebens hier helfen, sie trösten. Wichtig ist auch, und das möchte ich nochmals betonen, möglichst für eine friedliche Atmosphäre zwischen den russischsprechenden Menschen, die hier bereits leben, und den ankommenden Ukrainern zu sorgen. Nach dem Krieg sollte Europa beim Aufbau des Landes mitwirken.

Sie erzählten mir davon, dass Sie Besuch aus der Ukraine erwarten. Wie hat Ihre Familie die vergangenen Tage in der Ukraine erlebt und unter welchen Umständen ist sie nach Deutschland gekommen?

Angelina Burdyk: Unser Besuch ist am Freitag vergangener Woche eingetroffen. Das sind die Frauen von Cousines meines Mannes. Drei Familien, insgesamt sieben Personen – drei Mütter mit Teenagern. Mein Mann hat sie von der ukrainisch-ungarischen Grenze abgeholt. Alle stammen von Odessa und haben dort bis zuletzt gelebt. Keiner von ihnen wollte nach Europa ausreisen. Als die Bombardierungen begannen, sind sie zunächst von der Stadt aufs Land gezogen, um dort während der unruhigen Zeit zu verweilen. Nach der Bombardierung des Hafens von Odessa entschieden sie sich letztendlich für die Flucht. Ihre Männer, die wieder zurückkehren mussten, brachten sie zur Grenze.

Wie geht es für Ihre Familie jetzt weiter?

Angelina Burdyk: Natürlich sind jetzt alle sehr beunruhigt. Sie kommen aus gut situierten Verhältnissen und waren auch beruflich erfolgreich in der Ukraine. Am liebsten würden sie sofort wieder nach Hause fahren. Sie wünschen sich ihr altes Leben zurück. Es ist ihnen peinlich, auf Kosten anderer zu leben. Sie fragen ständig, wann und wo sie sich anmelden sollen und wann die Kinder wieder in die Schule oder zum Studium dürfen. Eine der Frauen ist Krankenschwester, eine andere Lehrerin. Sie denken daran, wie es beruflich mit ihnen weitergeht. Inzwischen haben wir sie bei der Ausländerbehörde in Dresden angemeldet und warten auf die Ladung zum Interview. Ich habe damit begonnen, mit denen, die wollen, Deutsch zu lernen. Einige der Kinder können die Sprache bereits einigermaßen. Wenn sie hier bleiben müssen, wünschen sie sich in Dresden zu wohnen – wegen der Uni und weil sie schon immer in einer großen Stadt lebten. Wir warten indes auf weitere Informationen und hoffen, dass der Krieg bald zu Ende ist.

Roland Kaiser / 14.03.2022

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