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„Wir schaffen Perspektiven und verhindern Abwanderung“

„Wir schaffen Perspektiven und verhindern Abwanderung“

Der Astrophysiker Günther Hasinger, Domowina-Chef Dawid Statnik, DZA-Mitbegründer Christian Stegmann, Bürgermeister Hubertus Rietscher und Landrat Michael Harig (v.l.n.r.) an einer Probebohrstelle in der Gemeinde Ralbitz-Rosenthal. Foto: Paul Glaser

In Zeiten des Strukturwandels in den sächsischen Braunkohlerevieren ist das neugegründete Deutsche Zentrum für Astrophysik (DZA) wie das anvisierte Lausitz Art of Building (LAB) eines von sechs Bewerberkonzepten für die geplanten Großforschungszentren, von denen eines in der Lausitz entstehen soll. Sie sind damit Teil des wissenschaftsgeleiteten Wettbewerbes „Wissen schafft Perspektiven für die Region“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) in Kooperation mit dem Freistaat Sachsen und dem Land Sachsen-Anhalt. Der Oberlausitzer Kurier hat sich mit Prof. Dr. Christian Stegmann vom DZA unterhalten und ihn unter anderem zu der geplanten Baumaßnahme und den gesteckten Zielen befragt.

Herr Stegmann, wie wahrscheinlich ist es, dass das Deutsche Zentrum für Astrophysik einmal in der Lausitz verwirklicht wird? 

Christian Stegmann: Wir haben den Entwurf für das DZA in den vergangenen Monaten vom Bau-, Transfer- bis hin zum Personalkonzept weiter ausgearbeitet. Nun sind wir in der letzten Phase der Strategieentwicklung, die wir am 2. Mai einreichen müssen. Entschieden wird dann im Spätsommer. Ob wir unser Projekt umsetzen können, liegt in den Händen der Expertenkommissionen. Wir zumindest sind startklar.

Wie muss sich der Laie das Projekt in groben Zügen vorstellen?

Christian Stegmann: Mit einem Astrophysikalischen Zentrum wollen wir gesellschaftliche Herausforderungen und den Strukturwandel meistern. Die Idee klingt vielleicht erst einmal seltsam. Aber: Keine andere Wissenschaft hat das Leben der Menschen jemals stärker verändert als die Astronomie. Ohne sie gäbe es keine Cerankochfelder, keine Flachbildschirme, keine Gleitsichtbrillen und auch kein drahtloses Internet. Moderne Astrophysik ist eine Hightech-Wissenschaft. Unsere Teleskope sind riesige Anlagen, die auf der ganzen Welt verteilt sind; und sie messen auch unterirdisch, zum Beispiel tief im Eis der Antarktis. Dafür sind die empfindlichsten und genauesten Messtechniken notwendig. Wir müssen mit den vielen Daten, die wir empfangen und die ein Vielfaches des heutigen Internets ausmachen, umgehen. Das sind große Herausforderungen in Datenverarbeitung, Computing und Technologieentwicklung. Unser Ziel ist es, das sogenannte Green Computing als ressourcensparende Digitalisierung voranzutreiben. Dafür entwickeln wir neue Technologien. Das ist sehr anwendungsorientiert und nutzt der Gesellschaft von morgen. 

Und dazu bedarf es eines Großforschungsprojektes hierzulande?

Christian Stegmann: Bisher fehlt in der Bundesrepublik ein nationales Großforschungszentrum für Astrophysik, das vergleichbar ist mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum oder dem Deutschen Geoforschungszentrum. Unser Vorschlag ist daher eine gemeinsame Initiative der Astrophysik in Deutschland. Antragsteller sind viele namhafte Wissenschaftler, die von den großen deutschen Wissenschaftsorganisationen unterstützt werden. Die Federführung übernimmt dabei der wissenschaftliche Direktor der Europäischen Weltraumorganisation ESA, Prof. Günther Hasinger. Er soll Direktor des DZA werden. Wir wollen ein nationales Zentrum für Astrophysik mit den Schwerpunkten Technologie und Digitalisierung gründen – hier in der Lausitz. Denn Astrophysik ist Treiber des Fortschritts, den wir zur Bewältigung der großen Zukunftsfragen brauchen.

Und warum soll das DZA unbedingt zwischen Elbe und Neiße entstehen? 

Christian Stegmann: Durch unseren Erdboden laufen permanent seismische Wellen. Für unsere Forschung sind das erhebliche Störfaktoren. Auch zur Entwicklung von neuen Messgeräten sind besonders ruhige geologische Bedingungen notwendig. Die Lausitz sitzt auf einem Schatz: dem Granitstock. Hier gibt es seismische Bedingungen wie sonst kaum in Europa. Dazu kommen die Lage im Zentrum Europas sowie bereits bestehende Anknüpfungspunkte in der Technologieentwicklung und der Datenverarbeitung von der TU Dresden mit einem der größten Physikbereiche Deutschlands – bis zum Silicon Saxony mit zahlreichen Firmen in der Region. Nicht zuletzt haben wir Menschen kennengelernt, die in ihrer Region fest verwurzelt sind und gleichzeitig große Offenheit und Neugier mitbringen. Das alles macht die Lausitz zu einem idealen Standort für das DZA. Wir sind absolut sicher, dass unser Vorschlag auf sehr solidem Grund steht – wissenschaftlich, wirtschaftlich, gesellschaftlich und auch ganz konkret. 

Welche Baumaßnahmen in der Lausitz wären damit verbunden und wo sollen diese stattfinden?

Christian Stegmann: Für das Datenzentrum und das Technologiezentrum ist Görlitz als Standort vorgesehen. Der zweite Standort soll sich nach aktuellen Vorstellungen im Landkreis Bautzen befinden. Dort wollen wir ein Untergrundforschungslabor – das Low Seismic Lab – realisieren. Der genaue Standort dafür ist noch nicht entschieden. Das Labor soll in einem Bereich zwischen Hoyerswerda, Bautzen und Kamenz entstehen – und zwar in 200 Metern Tiefe im Granit. Das Labor wird umgeben sein von einem kilometergroßen Käfig, in dem im Abstand von mehreren hundert Metern Seismometer in den Granit eingebracht sind. Über unseren Antrag hinaus schlagen wir die Lausitz als Standort des Einstein-Teleskops vor. Das ist ein bereits geplantes europäisches Großprojekt. Wir halten die seismologischen Bedingungen hierzulande für deutlich besser als bei anderen vorgeschlagenen Orten und setzen uns dafür ein, dass es hier gebaut wird.

Was muss vorher getan werden, damit die Baumaßnahmen erfolgen können?

Christian Stegmann: Wir sind schon gestartet und haben die Mittel, die alle Projekte für die Antragsphase erhalten haben, in Probebohrungen investiert. Diese finden in Ralbitz-Rosenthal statt. Wir sind bereits in über 100 Metern Tiefe inmitten des Granits. Sollten wir den Zuschlag erhalten, starten wir mit vielen Schritten parallel. Mit einem Büro, das den Aufbau begleitet, können wir sofort loslegen. Günther Hasinger und sein Team sind in der Lage, in dem Fall sofort mit allen weiteren Schritten zu beginnen. 

Wie viele Arbeitsplätze sind mit dem Vorhaben verbunden?

Christian Stegmann: Damit wir forschen und neue Technologien entwickeln können, brauchen wir Menschen, die unsere Experimente bauen, ihren Betrieb verwalten und beim Transfer helfen. Auch an den bestehenden Forschungszentren arbeiten überwiegend Menschen aus dem nicht-wissenschaftlichen Bereich. Wir gehen davon aus, dass das DZA mindestens 3.000 Arbeitsplätze in die Region bringt, davon rund 1.000 am Forschungszentrum selbst. 

Und welche Jobs werden das am Ende sein?

Christian Stegmann: Unser Portfolio ist vielfältig. Wir bieten Jobs im wissenschaftlichen, aber noch deutlich mehr im nichtwissenschaftlichen Bereich. Dieser macht 65 Prozent unserer Stellen aus, von Technik, Konstruktion, Materialverarbeitung, Elektronik, Vermessung, Maschinenbau bis hin zu Buchhaltung, Einkauf und Sekretariat. Es ist sicher möglich, durch die Ansiedlung einer großen Firma viele Stellen zu schaffen. Forschung schafft aber nachhaltig Arbeitsplätze. Wir sorgen für Ausgründungen und Start-ups, sind Job-Motor, der weitere Arbeitsplätze nach sich zieht. Mit seiner einzigartigen Kombination von Forschung und Entwicklung im IT-Bereich, Sensortechnik und Materialforschung und seinem Bedarf an Fertigungsstätten wird das Zentrum ökonomische Impulse setzen. Wir verändern das Umfeld, schaffen Perspektiven, die Abwanderung verhindern und vor allem jungen Menschen ganz neue Möglichkeiten in der Region eröffnen. Deswegen setzen wir auch auf Bildung von der Kita an. Rund 100 Ausbildungsplätze sind am DZA vorgesehen. Auch eine Weiterbildung von Lehrkräften soll es geben. 

Von welcher Gesamtinvestition gehen Sie aus? 

Christian Stegmann: Für das Projekt stehen 1,1 Milliarden Euro aus Bundesmitteln zur Verfügung. 10 Prozent kämen beim Betrieb aus Mitteln des Landes Sachsen hinzu. Darüber hinaus werden wir viele Drittmittel erhalten. Und sollte das Einstein-Teleskop in die Lausitz kommen, steht ein großer Teil der 1,7 Milliarden Euro für dieses Projekt vor Ort zur Verfügung. Das hängt allerdings davon ab, ob es uns gelingt, europaweit andere so vom Standort Lausitz zu überzeugen, wie wir es sind. 

Welche Signale gibt es inzwischen aus den Reihen der Politik? 

Christian Stegmann: Aus unserer Sicht ist alleine die Entscheidung der Politik, den Strukturwandel auch durch die Ansiedlung von Forschungsinstituten zu unterstützen, ein wichtiges Signal. Forschungsinstitute verändern Regionen nachhaltig. Wir freuen uns sehr darüber, dass wir für unser Projekt von Bürgermeistern, Landräten, Stadträten, der sächsischen Europaabgeordneten und der Domowina Unterstützung erfuhren. In den vergangenen Monaten haben wir ein großes Netzwerk aus- und aufgebaut. Dass uns das gelungen ist, darüber sind wir sehr froh. Wie wichtig das auch für den Erfolg unserer späteren Arbeit ist, wissen wir aus Erfahrung. Vor allem motiviert uns das große Interesse der Bevölkerung. 

Inwieweit werden Umlandgemeinden von diesem Vorhaben profitieren? 

Christian Stegmann: Das DZA wäre ein Forschungszentrum mit internationaler Strahlkraft. Dies zeigen viele solcher Zentren in anderen Regionen. Nicht nur ich gehe davon aus, dass es zu internationaler Sichtbarkeit und Strukturwandel führen wird. Wir wollen, dass die Menschen in der Region stolz sein können und anderen erzählen, dass in ihrer Heimat Astrophysik von Weltrang betrieben wird – so wie die Genfer sicher auch stolz sind auf das CERN oder die Hamburger auf ihr DESY. 

Roland Kaiser / 26.04.2022

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