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Auf Wunsch des Autors: „Ein Bauer schreibt“

Auf Wunsch des Autors: „Ein Bauer schreibt“

Gotthard Ender als junger Bursche in heimischer Flur Foto: privat

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Gotthard Ender in seinem Heimatort Tetta, dessen Geschichte er als Ortschronist bewahrt. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Tetta. „Im Jahr 1955 – ich war gerade 17 Jahre alt – starb mein Vater. Unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen und mit enormen Fleiß haben meine Mutter, meine 12-jährige Schwester und ich unsere 19 Hektar Landwirtschaft weitergeführt“, schreibt Gotthard Ender aus Tetta über die Zeit, in der die Kollektivierung der Landwirtschaft weiterhin vielen bäuerlichen Betrieben drohte, in seiner 2010 erschienenen Chronik „Dörfer im Umbruch – Die dörfliche Entwicklung in der östlichen Oberlausitz am Beispiel des Kreises Görlitz.“
Neben seiner dreibändigen Ortschronik oder der Festschrift „700 Jahre Buchholz“ verdichtet gerade dieses Werk die Sicht des Heimatchronisten, der nicht wie manche Vollzeithistoriker aus der kühlen Distanz seine Forschungen betreibt, sondern als jemand, der Zeit seines Lebens eng mit der heimatlichen Scholle verbunden ist und Geschichte mit eigenen Erfahrungen tradiert. Gotthard Ender ist damit einer derjenigen, die aus persönlichem Erleben und aus der Dorfgemeinschaft heraus, das Wissen über den eigenen Ort und die eigene Umgebung der Nachwelt erhalten und an denen Auszeichnungen für ein Ehrenamt häufig vorbeigehen, weil ihr Wirken nicht spektakulär erscheint. Dabei ist ihr Einsatz für den Zusammenhalt fest in Buchstaben gegossen und bleibt der Nachwelt erhalten. „Wer schreibt der bleibt“, heißt es letztlich.

Und so kann der Leser bei ihm z.B. erfahren, dass er im März 1960 weiterhin der Kollektivierung trotzte. In die Gaststätte „Deutsche Eiche“ in Tetta kam er lediglich zum telefonieren, als ihn 15 „Aufklärer“ sofort in ein Gespräch verwickelten. Ender beklagte ihnen gegenüber, dass sich hinter Löbau unter dem Druck schon drei Landwirte das Leben genommen hätten. Einer der Aufklärer habe ihm entgegnet, die Aussage könne als volksfeindlich verstanden werden und – wenn er der LPG nicht beitrete – gegen ihn verwandt werden. Im April ließ sich die Unterschrift nicht mehr vermeiden. Seine Mutter rief dabei: „Eins sage ich euch, es ist freiwilliger Zwang!“, doch die Anwesenden hätten dafür nur ein müdes Lächeln übrig gehabt, „sie zogen mit unseren Unterschriften ab“, schreibt Ender, der staatliche Vorgaben und die große Politik immer anhand lokaler Beispiele auf die Entwicklung seiner Heimat herunterbricht.

Wir sitzen daheim am Küchentisch, seine Ehefrau hat Streuselkuchen gebacken und seine Enkelin kommt mit ihrem Säugling auf dem Arm in die Küche. Ein Hauch einer heilen Welt liegt in der Luft, in der auf dem Land alle Generationen unter einem Dach ihr Leben gestalten. Wir sind im Nebengebäude der örtlichen Tierarztpraxis und Gotthard Ender berichtet. „Das was ich mache, hängt überhaupt viel damit zusammen, die Vergangenheit abzuarbeiten.“ Eigentlich habe sein Sohn Tierarzt werden wollen, doch er verstarb bei einem Mopedunfall. Dass ausgerechnet mit seinem Schwiegersohn ein Tierarzt auf den Hof kam hat Gotthard Ender sichtlich gerührt. Er habe als einfacher Mann über die Erforschung seiner Heimatgeschichte wieder ein Ziel im Leben gefunden.

So habe ihn auch besonders bewegt, dass Dr. Steffen Menzel als Präsident der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften ihn mit der Anwesenheit zu seiner Feier zum 80. Geburtstag beehrt habe. „Allein dieser Tag, an dem ich als einfacher Mann wissenschaftliche Wertschätzung auf eine so menschliche Weise erhalten habe, hat viele anstrenge Stunden vor den entstehenden Manuskripten vergessen lassen“, sagt der Chronist und selbst Mitglied der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, der auch als Referent auf Schloss Krobnitz, bei den Landfrauen in Melaune, in Weißenberg oder natürlich Buchholz immer wieder Geschichtsinteressierte fesselte.

Und in seiner Bescheidenheit und seinem Drang zur Feder schlägt er zum Abschied gleich auch noch eine Überschrift für den entstehenden Text über ihn vor: „Ein Bauer schreibt“. Hm, das klingt etwas profan, andererseits trifft es aber den Kern des Mannes sehr gut, der diesen Mittwoch bereits seinen 83. Geburtstag feiern konnte, denke ich und übernehme also den Vorschlag.

Till Scholtz-Knobloch / 10.03.2021

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