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Die Angst vor der Angst der Gäste

Die Angst vor der Angst der Gäste

Unter Tränen lachen: Sehnsüchtig zeigte Jürgen Bergmann im Mai auf das polnische Neißeufer, wo ein Teil von Turisede damals fast unerreichbar lag. Foto: Archiv

Die Geheime Welt von Turisede im östlichsten Zipfel Deutschlands darf wieder Besucher empfangen. Dennoch ist bei weitem noch nicht alles so, wie es sein sollte.

Neißeaue. Vogelgezwitscher war im Frühjahr dieses Jahres der vorherrschende Klang in der Geheimen Welt von Turisede, auch bekannt als Kulturinsel Einsiedel. Normalerweise treten hier zu dieser Zeit bereits andere Geräusche in den Vordergrund: Stimmen von Kindern und Erwachsenen. Musik von einer der 18 über das Gelände verteilten Bühnen. Vielleicht auch mal Hundegebell. Jürgen Bergmann konnte die veränderte Geräuschkulisse durchaus genießen: „Wir haben hier eine einzigartige Fauna, einen unglaublichen Reichtum beispielsweise an Vogelarten.“ Doch zu viel Stille mag der Gründer und künstlerische Leiter der Kulturinsel im östlichsten Zipfel Deutschlands dann doch nicht „hören.“ Immerhin gibt es sie jetzt wieder, die Stimmen, wenn auch nicht in dem Umfang wie in den vergangenen Jahren.

„Dachten, wir sind über’n Berg“

Freilich ist dies mit besonderen Vorkehrungen und Auflagen zur Hygiene verbunden. Das Abstandsgebot ist einzuhalten, in Bereichen, wo man sich unwillkürlich „nahe“ kommt, muss eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden. Mit grippeähnlichen Symptomen ist der Zutritt zum Park tabu. Maximal 1500 Besucher dürfen sich auf dem Gelände der Kulturinsel aufhalten, eine Zahl, mit der Jürgen Bergmann leben kann: „In der Spitze waren es in der Vergangenheit bis zu 1700.“

Zahlen, von denen man nach der Wiedereröffnung weit entfernt ist: „Der erhoffte Ansturm in den ersten Wochen ist ausgeblieben“, resümiert der künstlerische Leiter. Seitdem ist der Zulauf angewachsen, liegt aber noch immer weit hinter dem der Vorjahre zurück. Dabei hatte sich so ein gutes Jahr angedeutet: „Wir hatten im Winter 30 Prozent mehr Buchungen und dachten, jetzt sind wir über den Berg.“ Doch Corona hat das alles wieder zunichte gemacht. Immerhin klingelt das Buchungstelefon für die beliebten Baumhausübernachtungen jetzt wieder fast ununterbrochen.

Dennoch muss die Gästezahl noch deutlich anwachsen: „Ich habe etwas Angst vor der Angst der Besucher“, bekennt Jürgen Bergmann. Gleichzeitig appelliert er, sich weiter diszipliniert an die Hygieneregeln zu halten: „Wir selber sorgen mit unserer Kreativität, für die wir ja bekannt sind, für ein denkbar niedriges Ansteckungsrisiko.“

Große Fülle an neuen Angeboten

Dabei gibt es in der Geheimen Welt von Turisede, wie in jedem Jahr, wieder eine unglaubliche Anzahl von neuen Angeboten, von denen stellvertretend nur „Lerningerode“ und der „Pfad der Erleuchtung“ genannt seien. Beide folgen dem Grundprinzip der Bergmann’schen Philosophie: „Spielen bedeutet, Rollen einzunehmen, sich in Situationen versetzen zu lassen. Eine Schaukel oder ein einfaches Klettergerüst erfüllen dieses Bedürfnis nicht.“ Weshalb man diese in Turisede auch vergeblich sucht. Der grauhaarige Mann mit dem langen Zopf sprudelt immer noch über von Ideen: „Ich werde nur verrückt, wenn ich sie nicht verwirklichen kann.“

Diese Situation peinigte Jürgen Bergmann im Frühjahr besonders, wenn er an der Neiße stand und auf das gegenüberliegende Ufer blickte. Nah und doch unerreichbar fern lag der polnische Teil der Turisede-Erlebniswelt während der Grenzschließung durch Polen. Die Brücke bereitete immer wieder Ärger: ob festgemacht oder abgehängt, stets gab es Zoff mit irgendeiner deutschen oder polnischen Behörde. Nach der Öffnung musste erst einmal gründlich aufgeräumt werden: „Immer wieder machten sich Diebe und Vandalen an unserer Anlage zu schaffen, und wir konnten sie nicht stören.“

Besonders schmerzlich war der Raubzug auf der Schamanenschaluppe, einer Schlafhütte in Indianerromantik mit gehobener Ausstattung, die restlos geplündert wurde. Zwischenzeitlich ist die Schaluppe wieder hergestellt und attraktiver als je zuvor. Die Übergriffe haben jedoch nicht aufgehört: „Erst unlängst mussten wir einen Einbruch feststellen, bei dem Maschinen im Wert von 20.000 Euro gestohlen wurden.“
Bei den polnischen Mitarbeitern, die überwiegend in der Künstlerischen Holzgestaltung beschäftigt sind, trennte die Ausnahmesituation der vergangenen Monate ziemlich krass die Spreu vom Weizen: „Viele haben sich krank gemeldet, was unsere Probleme noch verschärft hat.“ Eine Perspektive haben jetzt nur noch die wirklich „Guten.“

Folklorum wie geplant und doch anders

Eine wichtige Einnahmequelle, die in diesem Jahr komplett wegfällt, sind die Dinnershows – das „Krönum“ und das „Tabularasum.“ „Dafür brauchen wir eine hohe Auslastung, die wir in diesem Jahr nicht realisieren können“, betont Jürgen Bergmann. So hat sich das Team schweren Herzens entschlossen, die Proben abzubrechen. Das Folklorum hingegen – der alljährliche Höhepunkt des turisedischen Kalenders – „wird definitiv stattfinden, und zwar im geplanten Zeitraum vom 4. bis 6. September.“ Für die Durchführung in diesem „verrückten“ Jahr ist eine zusätzliche Portion der berühmten Bergmann’schen Kreativität erforderlich: „Es wird situationsbedingt viel Neues geben, die Karten wollen wir zum Teil verlosen“, kündigt Jürgen Bergmann an. Das Festival wird räumlich „entzerrt“, die Spielorte verteilen sich über das gesamte riesige Gelände. Für den Vorverkauf wünscht sich der Künstlerische Leiter, dass dieser noch mehr Fahrt aufnimmt. Weitere Informationen und Kontakte: https://www.turisede.com/folklorum.html .
 

Uwe Menschner / 08.08.2020

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