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Die Tage des Riesen sind gezählt

Die Tage des Riesen sind gezählt

Tilo Keil, Jens Fackler und Jörg Liebscher (v.l.n.r.): Unter der Regie der drei Herren wird bis zum Herbst das Kernstück des einstigen Heizkraftwerkes in Teichnitz abgerissen. Foto: RK

Bautzen. Wehmut macht sich in Jörg Liebscher breit, wenn sein Blick zur Spitze des 110 Meter hohen Schornsteins auf dem Gelände des Teichnitzer Heizkraftwerkes wandert. Lange Zeit gingen er und viele seiner Kollegen dort ein und aus. Zusammen haben sie die Blütephase erlebt, in der auf dem Anwesen für bis zu 40 Prozent aller Bautzener Haushalte Fernwärme aus Braunkohle erzeugt wurde. Unter den Abnehmern befand sich das damals boomende Plattenbauviertel Gesundbrunnen. Nach der politischen Wende lösten aus Gründen des Umweltschutzes Heizöl und industriell hergestellter Braunkohlenstaub das schwarze Gold aus Lausitzer Tagebauen ab. Bis 1996 wurde die Anlage auf einen für damalige Anforderungen zeitgemäßen Technikstand gebracht, die Zahl der Mitarbeiter um gut zwei Drittel reduziert. Nun ist von dem einst rauchenden Riesen und Teilen des Wärmekraftwerkes bald nichts mehr übrig. Die Anfang der 80er Jahre errichtete Esse soll noch in diesem Herbst fallen. So sehen es die Pläne des Energieversorgers Enso vor. Der stellte im zurückliegenden Sommer seine Energieerzeugung am Stadtrand von Bautzen endgültig ein, nachdem der wichtigste Kunde, die Energie- und Wasserwerke (EWB), bereits 2016 die Zusammenarbeit mit den Dresdenern aufgekündigt hatte. Das überwiegend in kommunaler Hand befindliche Unternehmen produziert jetzt selbst Fernwärme und versorgt damit weiterhin Haushalte in der Spreestadt. An dem verzweigten und inzwischen über 30 Kilometer weiten Fernwärmenetz der EWB hingen bereits zu DDR-Zeiten rund 10.000 Wohnungseinheiten.

Von der Anlage am Stadtrand bauen Spezialisten momentan den ehemaligen Kraftwerksbereich Schritt für Schritt zurück, darunter den Kraftwerksblock mit Kesselhaus und Bunkerschwerbau. Im Außenbereich werden Wärmetauscher, Speisewasserbehälter, Braunkohlestaub-Silo und der Schornstein nicht mehr benötigt. „Funk- tionsgebäude wie Werkstätten und Hallen bleiben aber erhalten und warten auf eine künftige Verwendung“, erklärte Jörg Liebscher bei einem Rundgang. Der Diplomingenieur ist für die dezentralen Erzeugungseinheiten im Einzugsgebiet der Enso verantwortlich. „Von den damals mehr als 50 beschäftigten Mitarbeitern sind an diesem Standort gerade einmal vier verblieben“, sagte der Experte. Diese betreuen mittlerweile sämtliche Kraftwerksanlagen des Energieversorgers in Ostsachsen. Der Rückbau innerhalb des Kraftwerksblocks in Teichnitz erfolge unter Vollschutz, weiß Jens Fackler. Er ist Polier bei einem der damit beauftragten Entsorgungsunternehmen. Vor allem die auf dem Anwesen verwendete Mineralwolle sei problematisch, da sie Feinstaub verursachen kann, der die Fähigkeit besitzt, bis in die menschliche Lunge einzudringen. Um eine Gesundheitsgefahr auszuschließen, wurde der im Kesselhaus tätige Einsatztrupp mit Atemschutzmasken, Handschuhen, Helmen und Schutzanzügen ausgestattet. Die Wolle lande in riesigen Tüten und später auf einer Deponie, wie es hieß. Andere Kraftwerkselemente, zu denen noch funktionstüchtige Pumpen zählen, fanden hingegen ihren Weg zu Nachnutzern – zum Beispiel im Iran.

Die Entsorger haben es aber auch mit schadstoffbelastetem Material in Flanschdichtungen der Kraftwerksrohre zu tun. „Wir werden deshalb betroffene Armaturen herausschneiden und diese im Ganzen entsorgen“, erläuterte Jens Fackler. So würden erst gar keine Schadstoffe wie Asbest freigesetzt. „Ich kann versichern, dass von der Entkernung keine gesundheitliche Gefährdung ausgeht“, unterstrich Jörg Liebscher und fügte hinzu: „Mit 36 Jahren hat diese Anlage ein Kraftwerksleben hinter sich. Hätte die EWB die Verträge mit uns verlängert, hätten wir auch entsprechend in die Technik investieren müssen.“ Doch dazu kommt es nun nicht mehr.
Vielmehr wird Geld unter anderem in die Demontage des Innenfutters des Schornsteines gesteckt. Diese Maßnahme soll im Laufe des Sommers erfolgen. Voraussichtlich Anfang Oktober drückt der Sprengmeister aufs Knöpfchen. Dann fällt in einem letzten Akt die noch bestehende Hülle des Riesen in sich zusammen. „Anders als bei einem baugleichen Modell im Dresdener Stadtteil Reick haben wir uns für diese Variante entschieden, weil der daneben befindliche Kraftwerksblock nicht mehr in Betrieb ist und dieser ebenfalls für eine Neuansiedlung weicht“, betonte der für den Rückbau verantwortliche Projektleiter Tilo Keil. Nach längerer Suche hat sich ein Interessent aus der Spreestadt finden lassen, der auf der künftigen Brachfläche etwas Neues schaffen will, fügte Jörg Liebscher hinzu. Mit ihm zusammen möchte die Enso das Areal gemeinsam entwickeln. Recherchen des Oberlausitzer Kuriers zufolge könnte es sich dabei um genau das Unternehmen handeln, das momentan das Bautzener Bahnhofsgebäude umbaut und saniert. Damit konfrontiert teilte dessen Gesellschafter Gerald Lucas lediglich mit: „Zum Thema Teichnitz möchten wir uns vorerst nicht äußern.“

Unterdessen setzt der Energieversorger die Kosten für Abriss und Entsorgung bei bis zu zwei Millionen Euro an. Eventuell ist das letzte Wort hierbei noch nicht gesprochen. Fest steht jedoch, dass vor Ort anstelle des Kraftwerksblockes etwas völlig Neues aus dem Boden wachsen wird. Wann genau und worum es sich dabei handelt, dazu hüllten sich die Verantwortlichen vorerst noch in Schweigen.

Roland Kaiser / 20.06.2018

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