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Ein Kollmer und eine Nieskyerin zwischen Alptraum und realem Leben

Ein Kollmer und eine Nieskyerin zwischen Alptraum und realem Leben

An der bereits umgeknickten Ampel blieb der Strom der Lava endlich stehen. Foto: Matthias Siebold

Wolfgang Kujau ist in Niesky und Umgebung vielen als Taxifahrer noch bestens bekannt. Der Kollmer Renter und die aus Niesky stammende Heiderose Rinderknecht haben sich auf einer Finka auf der spanischen Kanareninsel La Palma, die durch den Vulkanausbruch jüngst in den Fokus des Weltinteresses rückte, zur Ruhe gelassen. Sie berichten von ihren Erlebnissen im Niederschlesischen Kurier.

La Palma / Niesky / Kollm. „Gestern nun, nach reichlich drei Monaten, da der Vulkan auf La Palma innehielt, waren wir mal ganz nahe an der Lava – zum Anfassen nahe...“, berichtet Wolfgang Kujau nach einer Zeit in Angst. „Wir haben vor Erstaunen nur wie erstarrt davor gestanden und uns schweigend angesehen. Selbst unsere Hündin Mia saß ohne zu zappeln und schaute hoch auf eine riesige schwarze Wand“, ergänzt er.
Das grobe Monstergestein sei in ihrem Nachbarort La Laguna, direkt unterhalb des Feuerberges, und nur circa fünf Kilometer von ihrem Haus zum Stillstand gekommen.

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Wolfgang Kujau und Heiderose Rinderknecht haben es trotz des Vulkanausbruchs nicht bereut, nach La Palma ausgewandert zu sein. Foto: privat

„Wir haben nichts angefasst, hier keine Fotos gemacht, haben nur verinnerlicht, was wir wahrgenommen haben“, sagt Heiderose Rinderknecht. Die Apotheke gebe es nicht mehr, ebenso die Tankstelle, alles sei bis zu 15 Meter hoch verschüttet. „Die letzten Häuser direkt am Straßenrand sind ausgebrannt. Fenster und Türen ein- und Wände von den Massen erdrückt. Nur noch das kleine, verrußte Schild an einem Balken zeuge noch von der sonst so lustig belebten Bar Central. An der Kreuzung in der Straße gegenüber habe sich die mächtige Wand so hochgewalzt wie die Häuser sind. Und just an der Ampel sei die aufgetürmte Wand zum Stehen gekommen. „Der halbe Ort ging langsam und jämmerlich zu Grunde – Zentimeter für Zentimeter“, so die Nieskyerin, die weiter berichtet: „Hinter uns aber war alles noch wie früher, ob die Kirche mit dem riesigen dicken Baum davor, die Arztpraxis oder ein Agrarhandel.“ Die Wohnhäuser seien hier nun wieder bewohnt, nachdem die Bewohner zurückkehren durften, Hunde bellen, Hühner gackern wieder, als wäre nichts passiert.

Wolfgang Kujau und Heiderose Rinderknecht machten aber auch ihre Erfahrungen mit medialen Mechanismen. „Und dann berichten ja so tolle ARD-Teams vor Ort, wie schlecht es deutschen Auswanderern gerade gehe, weil sie ihre Vermietungsferienhäuser verloren haben und stellen sich jammernd und mit zitterndem Kinn mit ihrer deutsch-verordneten, nagelneuen und pieksauberen Mundnasenbedeckung hin und suggerieren ihr Leid nun der Öffentlichkeit, im Dreck und Schmutz leben zu müssen. Ach, die Armen. Denn das schlimmste dabei ist, dass kein Wort fällt über die Einheimischen“, beklagt Wolfgang Kujau und erinnert an die wirklich armen Ziegenbauern, „die alles verloren haben und auf keine Versicherungsentschädigung hoffen dürfen“. Sie seien mit ihren Herden weiter in die Berge gezogen, erst einmal ohne Dach über dem Kopf. Kein Wort habe er in solchen Berichten beispielsweise über die Bananenbauern vernommen, die ihre Ernte zum größten Teil verloren hätten, kein Wort vom Blumengärtner, der Zeitungsredaktion, dem Betonwerk oder der Entsorgungsstation – all dies sei ohne Wiederkehr verloren.

„Wir selbst sind schon lange hier. Wir haben das alles miterlebt und durchgestanden. Wir sind mit den palmerischen Einwohnern sehr verbunden und sehen die Realität“, berichtet Heiderose Rinderknecht und erzählt weiter: „Nun waren wir selbst zum Glück noch am Rande der seismischen Auswirkungen, aber wir können von Erdbeben, Aschedreck und Kieselriesel sowie Gasexplosionen ein Buch schreiben. Wir wünschen niemandem das erleben zu müssen. Aber hier ist unser Zuhause und die Menschen hier sind immer freundlich und hilfsbereit.“ Die Hilfe untereinander sei groß gewesen, jeder für den anderen da und das alles sei sogar sehr gut durchorganisiert gewesen. „Das sollten sich die Menschen vor und hinter dem deutschen Kamerateam einfach mal bewusst machen“, meint sie von der Aufbereitung in den Nachrichten verärgert.

Am Ort des Lavastillstandes habe ein brummendes Geräusch die beiden am Straßenrand aus ihren Gedanken gerissen. Oben auf der Lava arbeiteten Bagger, Lkw räumten tonnenweise Asche und Lava ab, die Straßenkreuzung ist nun wieder frei und Versorgungsleitungen werden erneuert.

„Die Menschen hier sind fleißig und sehr mutig. La Laguna lebt wieder durch einfach wunderbare Menschen an einem unverwechselbaren, wunderschönen Fleckchen Erde auf dieser Welt – nun mit einer neuen Narbe in der Landschaft“, sagt Heiderose Rinderknecht. Alle seien stolz auf den Neuanfang – „und wir mittendrin“.
Wolfgang Kujau und Heiderose Rinderknecht halten mit der Heimat weiter enge Verbindung. Sie sind auch auf La Palma regelmäßige Leser der Digitalausgabe des Niederschlesischen Kuriers unter www.ALLES-LAUSITZ.de.

Till Scholtz-Knobloch / 12.04.2022

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