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„Eine Region muss eine Bahnlinie wollen“

„Eine Region muss eine Bahnlinie wollen“

Arnulf Schuchmann – hier auf dem Betriebshof in Görlitz – ist sei 2011 Geschäftsführer und Sprecher der Ostdeutschen Eisenbahn GmbH (ODEG). Foto: Till Scholtz-Knobloch

Das Warten hat ein Ende: Nach acht Jahren können ab Dezember 2018 wieder Fahrgäste die komplette Strecke zwischen Görlitz und Hoyerswerda mit dem Zug zurücklegen. Till Scholtz-Knobloch sprach mit dem Geschäftsführer und Sprecher der ODEG. Arnulf Schuchmann, über die Neueröffnung der Strecke.

In der Vergangenheit wurden viele Bahnlinien geschlossen. Jetzt wird einmal eine Strecke wiedereröffnet. Was hat sich geändert?

Arnulf Schuchmann: Regionaler Eisenbahnverkehr erfüllt inzwischen Wünsche an ein modernes, zeitgemäßes Verkehrsmittel: Bahnfahren ist umweltbewusst, komfortabel, zeitsparend und stressfrei. Sie benötigen keinen Parkplatz, haben Klimaanlage, Toiletten und immer öfter WLAN an Bord. Das hat auch die Politik erkannt und zieht deshalb mit uns an einem Strang.

Sie haben schon mehrere Wiedereröffnungen von Bahnlinien auf den Weg gebracht. Was sind die Erfolgsfaktoren?

Arnulf Schuchmann: Zu den wichtigsten Voraussetzungen zählt für mich eines: Eine Region muss eine Bahnlinie wollen und sie in ihre wichtigen Abläufe einbinden. Wenn alle zusammenarbeiten – das Eisenbahnunternehmen, die Anrainergemeinden, die Schulträger, die Betriebe, die Tourismuswirtschaft, um nur einige zu nennen – und ihre Angebote auf die Bahnlinie ausrichten, steht einer erfolgreichen Reaktivierung nichts im Weg. Und dazu zählt die Taktung von Busfahrplänen als Zubringer zum Zug genauso wie die Abschaffung paralleler Busverkehre, das Veranstalten von Festen in Bahnhofsnähe oder der Einsatz von Gemeinden für attraktive Haltestellen. Damit meine ich die Reparaturen bei Vandalismus, Blumenschmuck, das Schaffen von Bike+Ride- und Park+Ride-Parkplätzen sowie die Schneeräumung im Winter aber auch Vordächer, die dem Fahrgast Schutz bieten. Klar, ist das an sich die Aufgabe von DB Station& Service, die dafür auch die Stationsentgelte vereinnahmen, allerdings sind natürlich die Gemeinden an der Strecke direkt vor Ort, erkennen die Mängel früher und können schneller reagieren. Wenn zu wenige Fahrgäste die Linie nutzen, wird der Betrieb eingestellt.


Das hat finanzielle Gründe, ist aber auch ökologisch nicht vertretbar. Daher braucht es alle Anstrengungen, um die Linie den Anwohnern bekannt zu machen und für steigende Fahrgastzahlen zu sorgen.

Die ODEG wird mit der RB64 Görlitz-Hoyerswerda eine Verbindung betreiben, die sich den Gleiskörper auf der als „Güter-Rennstrecke“ konzipierten Niederschlesische Magistrale mit dem Schwerlastverkehr teilen muss. Wie können Sie sicherstellen, dass der dagegen bescheidene Personenverkehr durch dünn besiedeltes Gebiet nicht „fünftes Rad am Wagen“ sein wird und Sie bei Behinderungen im Güterverkehr häufig Verspätungen einfahren?


Arnulf Schuchmann: Die Strecke wurde ja extra zweigleisig, elektrifiziert und für die erhöhten Kapazitäten konzipiert und ausgebaut. Ausgelegt ist sie darauf, dass bis zu 170 Züge des Güterverkehrs pro Tag die Verbindung frequentieren, was zu Beginn natürlich nicht der Fall ist. Der Personenverkehr profitiert hierdurch. Es sind definitiv ausreichend Slots für die Züge des Personenverkehrs eingeplant. Unser Fahrplan für 2019 steht jedenfalls. Und nein, wir sehen uns keinesfalls im Moment im Nachteil gegenüber dem Schwerlastverkehr.

Die ODEG betreibt als ihr Flaggschiff die lange Strecke Cottbus-Berlin-Schwerin-Wismar. Können Sie mit dieser Erfahrung im „Quasi-Fernverkehr“ darauf schielen weiter zu denken und später einmal an Umstiegspunkte im Westen wie Ruhland, Elsterwerda oder Falkenberg anzuschließen, was hochattraktiv für Umstiege gen Magdeburg oder Leipzig wäre? Ein Anschluss im Osten nach Kohlfurt (Wegliniec) würde gar eine historische Narbe für einen deutlich kürzeren Verkehr nach Breslau heilen, wobei dies natürlich eine zweite Relation bedeuten würde, da Görlitz dabei nicht Zielbahnhof sein könnte.

Arnulf Schuchmann: Ja, darauf können wir mit unserem Know-how und der Erfahrung von unseren Regional-Expresslinien „schielen“. Letztlich entscheiden jedoch die Länder über Auswahl der Streckenverbindungen, Auftrag, Finanzierung und Umsetzung.

Ganz allgemein. Was kann die Bahn, was der Schienenersatzverkehr nicht kann?

Arnulf Schuchmann: Vieles. Schüler können ihre Hausaufgaben noch im Zug machen, Sie haben in der Regel mehr Platz und eine ruhigere Fahrt. Ich persönlich genieße auch immer den Blick aus dem Fenster. Die RB 64 führt durch eine der schönsten Gegenden Deutschlands. Wenn Sie auf der Straße unterwegs sind, fahren Sie durch ein Gewerbegebiet. Die Schiene führt nur wenige hundert Meter entfernt durch malerische Wiesen am Waldrand entlang. So wird auch die Besorgung im Nachbarort zu einer angenehmen Fahrt mit hohem Entspannungspotenzial.

Till Scholtz-Knobloch / 15.10.2018

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