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Ganze Region baut auf Weltranglistenzweiten

Ganze Region baut auf Weltranglistenzweiten

Im März besuchten Bautzens Stadtoberhaupt Alexander Ahrens (2.v.l.) und Wirtschaftsförderer Alexander Scharfenberg (l.) das am Humboldthain gelegene Bombardier-Werk. Dort sprachen sie mit den Betriebsräten Olaf Schmiedel und Frank Albert. Pressefoto

Ein halbes Jahr, nachdem erstmals bekannt wurde, dass der französische Konzern Als-tom nach der Bahnsparte von Bombardier greift, hat die EU-Kommission nun grünes Licht für eine Übernahme gegeben. Das weckt Zuversicht in der Oberlausitz, in der von einem Verkauf etwa 2.300 Jobs direkt betroffen sind.

Bautzen.
Das bisherige Geschäftsmodell von Bombardier ist global gesehen nicht zukunftsfähig aufgestellt gewesen. Darunter haben die Lausitzer Standorte gelitten. Unter Als-tom gibt es Chancen. Die das sagt, ist Franziska Schubert – Landtagsabgeordnete der Grünen. Im vorigen Jahr hatte sie das Bombardier-Werk in Görlitz besucht, dort Gespräche geführt und nach dem Betriebsrundgang dem bisherigen Eigentümer nicht das allerbeste Zeugnis ausgestellt. „Investitionen sind erforderlich“, kam die Landespolitikerin zu dem Schluss. Allerdings gäbe es in der Neißestadt ein hohes Potenzial an Kompetenz und Erfahrung. Gleiches treffe für das 60 Kilometer weiter westlich gelegene Bautzen zu. Genau dort ließen die Kanadier eigenen Angaben zufolge für rund 30 Millionen Euro einen zentralen Serienfertigungsstandort schaffen, der in hoher Taktung produzieren könne. Wichtigste Bestandteile seien eine neue Produktionshalle und ein Test-Center. Beides wurde 2019 in Betrieb genommen. „Ich hatte immer das Gefühl, dass unter Bombardier Görlitz eine wenig beliebte Außenstelle war, deren Möglichkeiten und Chancen nicht voll genutzt wurden. Deshalb hoffe ich, dass sich dies unter Alstom ändern wird“, unterstrich der Europaabgeordnete Peter Jahr Aussagen der Grünen-Politikerin. Für sie hingegen steht fest: „Um die Klimaziele zu erreichen, benötigen wir die Verkehrswende und damit einhergehend eine starke Bahnindustrie.“ Genau diese soll möglichst mit Alstom weiterhin in der Region zu finden sein.

Darauf bauen inzwischen zahlreiche Politiker quer durch alle Parteien. „Es gibt von beiden Seiten – Alstom und Bombardier – eine interessante Palette an Schienenfahrzeugen, die sich gegenseitig ergänzen kann. Die Kompetenz der Firmen in Bautzen und Görlitz ist ein Zugewinn für Alstom, deswegen ist uns nicht bange“, sagte beispielsweise Heiner Schleppers von der Bautzener CDU-Stadtratsfraktion. „Wir hoffen, dass wir endlich bei den Franzosen gut aufgehoben sind.“

Ähnliches ist vonseiten der Sozialdemokraten zu vernehmen. „Ich räume den Standorten eine langfristig sichere Zukunft ein. Wermutstropfen sind allerdings die noch zu verhandelnden Einbußen für die arbeitenden Menschen. Hier vertraue ich auf die Gewerkschaft. Sie, der Freistaat, die Landkreise und Städte müssen auf Augenhöhe mit Alstom verhandeln“, betonte der Chef der SPD-Stadtratsfraktion Roland Fleischer.

Mike Hauschild von den Liberalen warnte hingegen: „Sollte Alstom lediglich einen Konkurrenten aus dem Weg räumen wollen, können wir dem nichts entgegensetzen. Schon Bombardier hat in schlechter Regelmäßigkeit die ostsächsischen Standorte infrage gestellt. Subventionen waren wohl oft das Zauberwort, um Konzernentscheidungen zu beeinflussen. Das ist allerdings der falsche Weg – sowohl für den Konzern als auch für uns.“ Sein Parteifreund, der Bundestagsabgeordnete Torsten Herbst, geht indes davon aus, „dass Alstom Wort halten wird, die Werke zu erhalten und zu stärken“. Für Ostsachsen seien beide Standorte und die Industriearbeitsplätze unverzichtbar.

Doch auch in den Reihen der Linkspartei werden vorsichtige Töne angeschlagen. „Wie die Landesregierung nur davon auszugehen, dass der neue Eigentümer die Potenziale des Bautzener Werkes erkennt und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon weiter beschäftigen wird, reicht nicht aus. Sowohl sie als auch die Bundesregierung müssen dafür sorgen, dass die gut bezahlten Arbeitsplätze langfristig erhalten bleiben, vor allem auch vor dem Hintergrund des Strukturwandels, den die Region zu meistern hat“, appellierte Andrea Kubank, Fraktionsvorsitzende der Linken im Bautzener Stadtrat, an die Entscheidungsträger in Dresden und Berlin.

Das Bautzener Bürgerbündnis BBBz nahm die Entscheidung der EU-Kommission mit Erleichterung auf, wie Vereinssprecher Christian Haase auf Anfrage verlauten ließ. „Der Konzernchef von Alstom, Henri Poupart-Lafarge, hat mehrfach betont, nach der Übernahme die Standorte in Sachsen unbedingt erhalten zu wollen.“ Darauf baut die Fraktion nun wie viele andere Menschen in der Region auch. Die Übernahme des Geschäftszweiges durch die Franzosen erfolge vor dem Hintergrund weltweiter Überkapazitäten in der Bahnbranche. Alstom rücke somit im Weltmaßstab auf Platz zwei hinter dem chinesischen Staatskonzern CRRC und könne auf diese Weise eine stärkere Rolle als bisher einnehmen. „Natürlich bleibt die Verantwortung der Politik im Freistaat und im Bund weiterhin sehr hoch, denn die Perspektive der Standorte mit großer Tradition hierzulande kann nur mit koordinierter Zusammenarbeit vom neuen Eigentümer und politischer Führung im Bund und dem Land Sachsen gesichert werden“, legte Christian Haase dar.

Laut Franziska Schubert wurden in Dresden bereits entsprechende Weichen gestellt. „Der Sächsische Landtag beteiligt sich zunächst mit anderen Bundesländern an einer Bund-Länder-Bürgschaft, die anteilig an den Eigentümerwechsel gebunden ist. Das ist keine leichtfertige Entscheidung gewesen – wir machen das jetzt. Wir wollen das Unternehmen vor allem auch im Sinne der Beschäftigten in der Lausitz halten.“

Frank Peschel, Landtagsabgeordneter der AfD, sieht darüber hinaus auch in anderen Punkten Handlungsbedarf. „Die Politik muss die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes verbessern, damit wir keine Arbeitsplatzverluste erleiden. Dazu gehören niedrige Strompreise, wenig Bürokratieaufwand und Senkung der Gewerbe- und Grundsteuer. Das ist für die Kommunen schmerzhaft, erhöht aber langfristig die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes, schafft Arbeitsplätze und steigert somit die Kaufkraft und Steuerein-nahmen in der Region.“ Und weiter: „Ich erwarte von der Landesregierung, dass sie endlich die seit Jahrzehnten vereinbarte Elektrifizierung der Bahnstrecke von Dresden nach Breslau umsetzt und dass wir ein drittes Gleis für den Gütertransport planen, um den Lkw-Verkehr auf der Autobahn A 4 zu entlasten.“ Gleichzeitig müsse der Bildungsstandort Oberlausitz gestärkt werden. In dem Zusammenhang regte er an, zugeschnittene Studienangebote an der Hochschule Zittau/Görlitz und an der Berufsakademie (BA) in Bautzen zu etablieren.

Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens zeigte sich wenig überrascht davon, dass die EU-Kommission nunmehr grünes Licht für den rund sechs Milliarden Euro schweren Deal gab. „Die Mitteilungen beider Konzerne, bestimmte Geschäftsfelder zu verkaufen, war schon vor Wochen als klare Botschaft zu verstehen, dass man die Bedenken der Kartellbehörden ernst nimmt und ausräumt. Die Zustimmung der Kartellbehörden ist insoweit nur noch die zu erwartende und logische Konsequenz“, sagte er dem Oberlausitzer Kurier. Wie schon in der Vergangenheit Bombardier – die Kanadier erhalten derzeit eine neue Werkszufahrt finanziert aus Mitteln des Landes und der Kommune – werde auch der neue Eigentümer eine gewisse Hilfestellung erfahren. „Konkret bedeutet das, dass auch das Thema der Südanbindung, also eines vollwertigen Gleisanschlusses nebst Endabnahmehalle, weiter politisch unterstützt wird.“

„Um die wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Kommission auszuräumen, hat Alstom eine Reihe von Verpflichtungszusagen unterbreitet“, erläuterte indes Peter Jahr. „Nun wird es wichtig sein, dass die Kommission deren Einhaltung kontrolliert, um Wettbewerbsverzerrungen aufgrund der Fusion zu vermeiden. Ich sehe mehr Chancen als Risiken. Im besten Fall werden die Betriebsstätten sogar ausgebaut.“

Jan Otto, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Ostsachsen, fügte gerichtet an die Adresse der Franzosen und der Politik hinzu: „Klar muss sein, dass wir keinen Stellenabbau und auch keinen Abzug von Produkten dulden werden. Wir werden genau wie in den vergangenen Jahren Lobbyarbeit für den Schienenverkehr betreiben. Wer über E-Mobilität und Wasserstoff redet, muss zwangsläufig auch über mehr Verkehr auf der Schiene reden und die dafür notwendigen Voraussetzungen schaffen.“

Ob die nach Einschätzung des Bautzener AfD-Stadtratsfraktionschefs Sieghard Albert bisher sehr guten Verdienstmöglichkeiten bestehen bleiben, sei angesichts der aktuellen Entwicklung fraglich. „Die künftigen Personalkosten bestimmt der Investor“, stellte der Bürgervertreter klar. „Ein starker Betriebsrat muss da gute Arbeit leisten.“

„Bei allem, was im Waggonbau passiert, dürfen wir nie die restlichen Unternehmen in der Spreestadt aus dem Blick verlieren“, bekräftigte in dem Kontext Heiner Schleppers. „Nur alle gemeinsam sind sie stark für Bautzen und die Region.“

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig begrüßte die erzielte Einigung. Gleichzeitig versicherte er: „Der Freistaat wird den neuen Eigentümer mit allen ihm zur Verfügung stehenden Instrumenten dabei unterstützen, den Standort zu erhalten. Er steht an der Seite der Beschäftigten.“

Roland Kaiser / 08.08.2020

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