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Görlitzer Justizvollzug „auf Kante genäht“

Görlitzer Justizvollzug „auf Kante genäht“

Harald Baumann-Hasske (links) im Gespräch mit Joachim Trauboth, der sich als Beauftragter der Görlitzer SPD für Migration und Integration dem Besuch der Görlitzer JVA angeschlossen hatte. Foto: Till Scholtz-Knobloch

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Ein fast schon ästhetischer Blick in die Görlitzer Justizvollzugsanstaltâ‹Œ Foto: Andreas Herrmann

Personalmangel haben nicht allein Schulen. Auch die Justizvollzugsanstalten haben personelle Engpässe. Landtagsabgeordneter Harald Baumann-Hasske ist etwa alle zwei Jahre auch in der Görlitzer JVA und interessiert sich aktuell bei seinem Besuch besonders für die Personalentwicklung.

Görlitz. Seinen großen Medienauftritt hatte Harald Baumann-Hasske am 13. Februar allemal. Nicht allerdings bei seinem Besuch der Justizvollzugsanstalt Görlitz, sondern weil er sich als Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ) gegen eine kommisarische Führung der Bundes-SPD durch Andrea Nahles ausgesprochen hatte. „Eine solche Amtsführung ist durch die Satzung der SPD nicht gedeckt. Es gibt doch Stellvertreter“, gab er auch dem Niederschlesischen Kurier zu Protokoll. Der Einwurf ließ bundesweit aufhorchen. Baumann-Haske musste gar den Besuch in Görlitz verkürzen, um rechtzeitig zur Vorstandssitzung in Berlin zu sein. Das Parteipräsidium installierte bekanntlich dennoch einen kommissarischen Parteivorsitzenden, wenn auch in Gestalt von Olaf Scholz und nicht Andrea Nahles. Doch die Kontrolle der Einhaltung von Spielregeln ist eine deutliche Triebfeder des politischen Engagement des Landtagsabgeordneten, der regelmäßig die sächsischen Haftanstalten besucht. „Ich besuche diese reihum in regelmäßigen Abständen, um den Überblick zu behalten. Der Umgang mit diesem Bereich, wo man gerne wegschaut, ist ein wichtiger gesellschaftlicher Spiegel“, sagt der Abgeordnete.

Im Allgemeinen stehe Sachsen im Justizvollzug sogar gut da, meint er auch weil der Gesetzgeber hier den Erziehungsgedanken ernst nehme und sich zudem in Sachen Drogentherapie hervorhebe. Doch in den landesweit 10 Haftanstalten, einschließlich der für Frauen in Chemnitz, hatte sich ähnlich dem Schuldienst zuletzt erheblicher Personalbedarf gezeigt.

Das ist in Görlitz – neben Zwickau die kleinste JVA in Sachsen – erst recht so, da hier durch die Grenzsituation besondere Anforderungen über die Jahrzehnte entstanden sind.

Etwa die Hälfte der Inhaftierten sind hier ausländische Straftäter, der Großteil von ihnen stammt aus Polen und Tschechien. Aufgrund der Zuwanderung der letzten Jahre ist aber auch der Anteil orientalischer Häftlinge angestiegen. „Unter den etwa 20 Nicht-EU-Ausländern sitzen derzeit zum Beispiel zwei Syrer und sieben Libanesen bei uns ein“, bestätigt die stellvertretende Leiterin der Görlitzer JVA Ines Kretschmer.
Das stellt personell besondere Erfordernisse, ob nun bei Telefonaten, der Begleitung von Inhaftierten oder insbesondere beim Dolmetschen.

Da der Anteil von Untersuchungshäftlingen in Görlitz mit etwa der Hälfte der 215 Insassen recht hoch sei, tritt der Resozialisierungsgedanke ebenso als Erfordernis zurück wie Sprachkurse. Es habe zwar schon die letzten Jahre eine Polnisch-Dolmetscherstelle gegeben und auch unter den Vollzugsbeamten gab es Polnischkenntnisse, doch nun sei immerhin ein weiterer Dolmetscher für Polnisch hinzugekommen – wenn auch erst einmal bis Jahresende, ist Ines Kretschmer glücklich.

Auch sonst habe es zuletzt Entlastung gegeben. Im September 2017 haben vier neue, im Januar 2018 vier weitere Vollzugsbeamte eine Ausbildung aufgenommen. Ob damit altersbedingte Abgänge aber im vollen Maße kompensiert werden könnten, lässt sie offen. Fest steht, dass derzeit 79 Mitarbeiter am Standort Görlitz tätig sind. „Der politische Druck für Neueinstellungen war zuletzt aber schon erheblich“, wirft Harald Baumann-Hasske ein und bekundet nach dem Besuch, dass er im heutigen Stress leider ein nicht vollständiges Bild wie sonst meist gewinnen konnte. Dazu habe letztlich auch die Zeit im Gespräch mit Häftlingen nicht ausgereicht, die einfach zu kurz gewesen sei, um Vertrauen aufzubauen.

Ohne sprachliche Handicaps bestätigten immerhin Mitarbeiter, dass unter dem Personalmangel auch Schließzeiten gezwungenermaßen kürzer ausfallen. Das Verlassen der Zellen und Freizeit auf dem Gang leidet darunter. Überdies sind Freizeitangebote wie ein Yoga-Kurs, Kochgruppen oder eine Leserunde Bausteine für die Entwicklung oft schwach ausgeprägter Persönlichkeiten. „Personell ist das hier schon auf Kante genäht“, fasst Baumann-Hasske die Personalnot in Görlitz zusammen.

Er bestätigt jedoch den Eindruck der stellvertretenden Leiterin, dass es in Görlitz im Vollzugstrakt schon sehr ruhig zugegangen sei. Ines Kretschmer hatte betont, dass es in Görlitz erfreulich wenig Gruppenbildungen unter den Inhaftierten gäbe. Aber auch das wird natürlich durch eine hier häufig kurze Haftdauer beeinflusst.
In jedem Falle bräuchte man keine Vorbehalte vor einer Tätigkeit im Justizvollzug zu haben. Angesichts der personellen Lage bestünden derzeit gute Aussichten auf eine Anstellung als „kleine Sozialarbeiter“, wie sie eine Tätigkeit in einer JVA umreißt. „Hier geht es um viel mehr als nur das Wegschließen. Unserer Mitarbeiter müssen das Umfeld des Inhaftierten im Auge haben, dessen familiäre Bindungen oder auch berufliche Perspektiven nach der Entlassung“, betont sie. Auch die Vorführung der Gefangenen zu Gerichtsterminen sei eine häufige Aufgabe. Die sozialen Komponenten würden eine solche Tätigkeit für viele Kollegen auch zu einem interessanten Beruf machen. „Am 31. März ist übrigens der nächste Bewerbungsschluss“, sagt sie am Ende wohl in der Hoffnung, dass ein weiterer Pressebericht zur Verbesserung der Personallage beitragen könnte.

Till Scholtz-Knobloch / 19.02.2018

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