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Essay: Warum "Ostsachsen", wenn es die Oberlausitz gibt?

Essay: Warum "Ostsachsen", wenn es die Oberlausitz gibt?

Bevor London weit in sein Umland hineinwuchs lag die Stadt in der Grafschaft Essex, das Südufer hinter der Tower-Bridge in der Grafschaft Kent. Foto: Dirk Uloth

Ist London "ostsächsischer" als Görlitz, Bautzen, Zittau, Niesky, Löbau oder Kamenz? Diese skurril anmutende Frage trägt durchaus eine überraschende Wendung in sich.

Schon vor einem Jahr schrieb Valentin Junker aus dem Oberland den Redaktionen vom Niederschlesischen und dem Oberlausitzer Kurier einen Leserbrief, in dem er sich über die Verwendung des Namens „Ostsachsen“ (z.B. auch im Namen von Verbänden) beklagte, wenn doch eigentlich nur die Oberlausitz gemeint ist. Eine Steilvorlage für mich als Magister der Geschichte und Politikwissenschaft. Als Vertriebenenkind in Niedersachsen geboren, hat mich die Vieldeutigkeit von „Sachsen“ schon lange fasziniert.

Nein, es geht hier nicht um die Frage, die immer mal wieder die Gemüter zumindest im Osten der Oberlausitz erhitzt, wie man es mit Niederschlesien hält. Bekennende Oberlausitzer wie Schlesier ärgern sich nämlich gleichermaßen, wenn eigentlich ohne Notwendigkeit ihre Heimat mit einem schwammigen „Ostsachsen“ in den konkreten geografischen Konturen verloren geht.

Valentin Junker schrieb: „Die Oberlausitz gehörte früher über Jahrhunderte zu Böhmen, bis sie 1635 als Lehen nicht ganz freiwillig zu Sachsen kam. Das Lehen wurde nie eingelöst. Bitte lassen Sie dieser Region daher wenigstens ihren Namen und vergessen Sie den Begriff ’Ostsachsen’“. Nun ja, ausklammern lässt sich das spätestens dann nicht, wenn zum Bespiel der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hier eine „Regionsgeschäftsstelle Ostsachsen“ unterhält und Geschichte damit mit Füßen tritt. Aua!

Schwerter an der Nordsee schufen den Namen Sachsen

Doch nicht erst 1635 oder der Anschluss von Teilen der Oberlausitz 1815 an die preußische Provinz Schlesien können verwirren, es fängt im Grunde bereits damit an, dass der Name Sachsen nicht an der Oberelbe, sondern an der Elbmündung in die Nordsee seine Wurzeln hat.
„Die Sachsen sind keine Sachsen – jedenfalls die Bewohner des heute so genannten Bundeslandes sind eigentlich keine Sachsen“, heißt es einleitend auf der Internetseite www.sachsengeschichte.de. Der über Jahrhunderte gewachsene Landesstolz in Dresden oder Leipzig hat natürlich tiefe Wurzeln geschlagen. Doch die Frage, wieso Sachsen namentlich gleich in drei – versteckt sogar in vier – heutigen Bundesländern auftaucht, ist wie geschaffen, die Geschichte der deutschen Vielstaaterei zu verstehen.

Die erste Nennung der Sachsen durch Ptolemäus von Alexandria geht auf Erkenntnisse einer römischen Erkundungsfahrt im Jahre 5 n. Chr. zurück, in der die „Saxones“ als Stammesverband im Gebiet des heutigen Holsteins lokalisiert werden. Ihr Name geht möglicherweise auf Krieger der an der Unterweser siedelnden Chauken zurück, die nach ihrer Hauptwaffe, dem Sax, einem einschneidigen Hiebschwert, benannt wurden. Womit wir dann auch im heutigen Niedersachsen wären, das einst eben Sachsen war. 
Aus der Verbindung der (Nieder-)Sachsen, Thüringer, Franken, Bayern und Schwaben entwickelte sich im Mittelalter ja erst ein deutsches Volkstum. Das damalige Stammesherzogtum Sachsen umfasste auch die waldreichen Gebiete nördlich der Elbe – ’Holzsachsen’. Daraus entwickelte sich der Name Holstein, das jedoch eine eigenständige Entwicklung im Bund mit Schleswig nahm.

Die Entmachtung des Stammensherzogs von Sachsen, Heinrich dem Löwen, 1180 bildete einen Meilenstein der Zersplitterung des Reiches in unzählige Herrschaften. Neben vielen kleinen Fürstentümern nahm nun auch Westfalen eine von (Nieder-)Sachsen eigenständige Entwicklung. Lediglich das Sachsenross im nordrhein-westfälischen Wappen nimmt noch Bezug auf diese Herkunft, während der Name Ostfalen für den östlichen (nieder-)sächsischen Raum zwischen Hannover und Magdeburg allmählich verloren ging.
Die sächsische Herzogswürde ging mit der Entmachtung Heinrichs am östlichen Rande (Nieder-)Sachsens – auf das Geschlecht der Askanier über, die im heutigen Sachsen-Anhalt „Sachsen-Wittenberg“ regierten und als Kurfürsten später auch den Namen „Kursachsen“ prägten. Die Kurwürde hatten wenige Herrscher. Mit der „Kur“ (verwandt mit dem Wort Kür/küren) ist das auf wenige Herrscher beschränkte Recht zur Wahl des römisch-deutschen Königs gemeint, der über Jahrhunderte vom Papst zum Kaiser gekrönt wurde.

Vier Bundesländer mit einem Bezug zum Namen Sachsen

Doch in Wittenberg blieb die Wanderung des Namens Sachsens bekanntlich ebenso wenig stecken. Der Hauptteil von Sachsen-Wittenberg wurde nach dem Tod des letzten dortigen Kurfürsten 1422 vom Kaiser dem Markgrafen Friedrich dem Streitbaren von Meißen zugesprochen. Dieser hatte damit zugleich die Würde eines Kurfürsten von Sachsen, obwohl sein Besitz keinen Anteil am ursprünglichen Stammesherzogtum Sachsen mehr hatte. Erst im 16. Jahrhundert setzte sich für die Mark Meißen dann der Name „Sachsen“ durch.
Viele kleine, ehemals sächsische Gebiete weiter nordwestlich sammelte Preußen über die Jahrhunderte zusammen. Nach dem Zerfall Preußens 1945 bildeten die sowjetischen Besatzer aus der 1815 gebildeten preußischen Provinz Sachsen und dem alten Land Anhalt das Land Sachsen-Anhalt.
Im heutigen Niedersachsen führte die nationale Romantik des 19. Jahrhunderts zu einem Wiedererwachen des alten Sachsenstolzes. Zwar bestand der Name Niedersachsen von 1500 bis 1806 im heutigen nördlichen Sachsen-Anhalt, Holstein, dem östlichen Niedersachsen und Mecklenburg für den ’Niedersächsischen Reichs-kreis’ fort, doch die Reichskreise als Steuererhebungsgebiete des Kaisers standen natürlich im Schatten der eigentlichen Landesherrschaften.

England hat Anspruch auf den Namen „Ostsachsen“

Die politisch starke Niedersachsenbewegung in Hannover machte Preußen ähnlich zu schaffen wie die „renitenten“ Polen im Osten oder die Elsässer. Mit dem Zerfall Preußens 1945 bildeten die Engländer aus der preußischen Provinz Hannover und aus den Ländern Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe das Land Niedersachsen, das quasi als kleinniedersächsische Lösung ohne Bremen, Westfalen, Holstein, Hamburg und Mecklenburg auskommen muss.

Begünstigt wurde die Gründung unter dem Namen Niedersachsen dadurch, dass auch die Engländer als „Angelsachsen“ Sachsensympathie hegten. Denn einst hatten die Angeln (ein germanischer Stamm in Süddänemark und im nördlichen Schleswig-Holstein) und die (Nieder-)Sachsen die britischen Inseln erobert. Dort leitete sich der Landesname England letztlich jedoch von den Angeln ab. Aber die Sachsen blieben namentlich keinesfalls ohne Spuren. Bis heute haben sich nämlich die alten Grafschaften Sussex (Südsachsen), Wessex (Westsachsen) und Essex (Ostsachsen) gehalten. Und damit ist eigentlich klar: Wieso sollte man in Görlitz, Bautzen, Zittau, Niesky oder Rothenburg von Ostsachsen sprechen, wenn das doch eigentlich das Herz England ist?

Till Scholtz-Knobloch / 17.01.2022

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