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Nach Bedrängnis heute Mehrwert

Nach Bedrängnis heute Mehrwert

Schlesien (T-Shirt) und die Oberlausitz (blau-gelb) bilden mit der Europastadt Görlitz die Nahtstelle von Polen und Deutschland. Foto: Haus der deutsch-polnischen Zusammenarbeit

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Über 300.000 Deutsche leben allein in Oberschlesien. Der Vorsitzende der Deutschen in Polen, Bernard Gaida aus Guttentag (Dobrodzien), der am 20. Juni bei einer Diskussion im Schlesischen Museum in Görlitz mitdiskutiert, bei der Begrüßung des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff an der Bezirksgeschäftsstelle der Deutschen in Breslau 2011. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Der Freistaat Sachsen und die Woiwodschaft Niederschlesien feiern ihre 20-jährige Partnerschaft. Niederschlesien möchte wie Sachsen in Breslau seit 2012 bald ein Verbindungsbüro in Dresden eröffnen. Die vertiefte Partnerschaft möchten auch die vertriebenen Schlesier nutzen. Ein „Kompetenzzentrum“ in Görlitz soll die Partner direkt an der Schnittstelle beider Staaten zusammenbringen.

Görlitz. Die Woiwodschaft Niederschlesien will 2019 ein Verbindungsbüro in Dresden eröffnen. Das hat Niederschlesiens Marschall (vergleichbar einem Ministerpräsidenten) Cezary Przybylski bei dem Treffen mit Ministerpräsident Michael Kretschmer angekündigt. Seit 2012 betreibt der Freistaat umgekehrt in Breslau bereits ein solches Büro, das vom damaligen und später bei der CDU in Ungnade gefallenen Andreas Grapatin geleitet wurde. Gegenüber dem Niederschlesischen Kurier betont Grapatin, der heute heute auch unweit von Guhrau (Góra) ein Domizil hat: „Eigentlich bräuchten wir ein solches Büro in Görlitz.“ Allerdings sehe er angesichts der desolaten Verkehrsanbindung von Görlitz in Sachen Eisenbahn sowie des explodierenden LKW- und PKW- Verkehrs auf der Autobahn nicht, dass Görlitz auf eine solche Rolle wirklich vorbereitet sei.

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2012 weihten die beiden damaligen Landesregierungschefs von Niederschlesien Rafal Jurkowlaniec und von Sachsen Stanislaw Tillich das Verbindungsbüro in Breslau ein.

Foto: Till Scholtz-Knobloch

Das Niederschlesienbüro in Dresden werde hingegen seit vielen Jahren diskutiert. „Ich hoffe, dass es insbesondere den Tourismus und Wissenschaftsaustausch verstärkt und Chancen und Angebote für die Struktur Sachsens mit seinen klein- und mittelständischen Unternehmen bedeutet und wieder den Blick auf einen vernetzten Arbeitsmarkt erschließt“, betont er.

Doch während die Wirtschaft die volle Aufmerksamkeit genießt, scheint das Gespür für die Belange der Vertriebenen und ihrer Nachkommen häufig aus dem Auge zu geraten – allein die vermutlich wie jedes Jahr geringe mediale Aufmerksamkeit auf das an diesem Wochenende stattfindende Schlesiertreffen in Hannover mit zu erwartenden mehreren tausend Besuchern könnte dafür als Beleg gelten.

Nicht wenige Vertreter der vertriebenen Schlesier beklagen überdies, dass Grapatins Nachfolger im Breslauer Verbindungsbüro ihre Interessen nicht wirklich ernst nähme und diese immer wieder im Schatten eher funktionaler Beziehungen zurücktreten müssten.

Noch ganz diplomatisch beurteilt dies Grapatin so: „Ich bin überzeugt, dass die Vertretung der genannten Gruppe in Sachsen einen gut funktionierenden Landesverband hat, der aktiv mit Aktionen vor Ort im Vertreibungsgebiet Arbeit für die Geschichte der Vertriebenen leistet und dabei die Zusammenarbeit mit den Menschen im Blick hat – eine Arbeit nicht nur deklariert, sondern macht. Das wird auf beiden Seiten honoriert. Dass Veranstaltungen in diesem Sinne im Büro durchgeführt werden sollen, ist ja im Sinne der Konzeption – im übrigen unter Beteiligung der vielen Deutschen, die östlich der Neiße wohnen, sei es schon immer oder durch großen Zuzug in den letzten Jahren. Als Opfer wirtschaftlicher Interessen würde ich das daher nicht deuten, denn wer sieht, wie viele Techniker und Ingenieure in Nieder- und Oberschlesien gesucht werden, kann das ja auch als Aufforderung sehen, sich über den Beruf mit der Region der Vorfahren zu beschäftigen. Das Mercedes-Werk bei Liegnitz wird z.B. in Zukunft zahlreiche deutsche Techniker einstellen. Auch eine Orientierungsaufgabe, die durch die Organisationen der Nachkommen durchaus ausgefüllt werden sollte.“

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Andreas Grapatin bei einer Pressekonferenz Foto: Till Scholtz-Knobloch

Diese Aussage war kaum gefallen, da lief dem NSK-Redakteur in der Stadt der Vorsitzende der Landschmannschaft Schlesien, Stephan Rauhut, über den Weg, der beteuerte, dass die Landsmannschaft mit einem eigenen Büro in Görlitz schon ausgesprochen weit sei. „Vielleicht verlagern wir eines Tages auch ganz unseren Schwerpunkt nach Görlitz“, sinniert der aus Görlitz stammende Vorsitzende.

„Büro“ sei ohnehin zuwenig gesagt. Zu dem „Kompetenzzentrum Schlesien“ sollte das Kulturwerk Schlesien aus Würzburg hinzustoßen, zudem sei er gerade auf dem Weg zu Dr. Bauer, dem Leiter des Schlesischen Museums, so dass über die Zusammenfassung von Bibliotheksbeständen gesprochen werde. Das Kompetenzzentrum solle auch Räume für Schulungen oder Konferenzen umfassen. Derzeit werde eine Immobilie gesucht, Unterstützung aus Stadt und Land sei für das Vorhaben auch vorhanden.

„Schlesien ist überall, wo Schlesier sind“, sagt Rauhut auch mit Blick auf ein Treffen, dem er am 24. August mit Ministerpräsident Michael Kretschmer und Bernard Gaida, dem Vorsitzenden des in Oppeln (Opole) ansässigen Dachverbandes der Gesellschaften der deutschen Minderheiten in Polen (VdG) entgegensieht.

Während die zu über 90 Prozent in Oberschlesien ansässigen Deutschen Polens Angebote im niederschlesischen Breslau wie das Verbindungsbüro kaum genutzt haben und meist auf die Partnerschaft Oberschlesiens zu Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz setzen, ist Görlitz für sie ein überaus häufig angefahrener und mithin einziger wirklicher Schlesienstützpunkt in Deutschland, der zudem den geografisch nächsten Kontakt mit dem Mutterland erlaubt. Die maximal eine halbe Millionen in Polen nach dem Krieg bis heute verbliebenen Deutschen  sind dabei zudem Teil von etwa 70 Millionen Menschen in Europa, die einer autochthonen, also alteingesessenen nationalen Minderheit oder Volksgruppe angehören – heute teilweise erstarkt durch erste deutsche „Gastarbeiter“ der Nachwendezeit.

Lange waren diese Minderheiten durch Vertreibung und Assimilation bedroht. Heute wird zunehmend – auch in Polen – ihr kultureller Mehrwert geschätzt. Eine Diskussion am Donnerstag, dem 20. Juni um 17.00 Uhr im Schlesischen Museum zu Görlitz geht dabei der Frage nach, ob und wie es gelingen kann, das kulturelle Erbe dieser Minderheiten weiterzutragen.
Neben den Einschätzungen von Bernard Gaida kann man hier auch Erfahrungsberichte von Vertretern der Friesen in Deutschland, der Ungarndeutschen, der Sorben (Domowina-Vorsitzender David Statnik) sowie von Dr. Jens Baumann, Beauftragter des Freistaates Sachsen für Vertriebene und Spätaussiedler, hören. Im Anschluss findet ein Empfang anlässlich der Präsentation der Ausstellung „Nation und Minderheit in Europa im 19. und 20. Jahrhundert“ statt – eine Tageskonferenz also, die in diesem Zuschnitt auch im Kerngeschäft einer in Görlitz präsenten Landsmannschaft läge.

Till Scholtz-Knobloch / 15.06.2019

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