Direkt zum Inhalt springen
Info & Kommentare

Opfer der Zukunft des Brautwiesenbogens

Opfer der Zukunft des Brautwiesenbogens

Wojciech Jablonski auf dem Bahndamm, von wo man ihm künftig in die Wohnung schauen kann. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Die Stadt Görlitz ist verzückt und die sonnige PR-Maschinerie läuft, in der die Vorzüge des künftigen Brautwiesenparks als neue innenstadtnahe Grünanlage mit Möglichkeiten aktiver Betätigung angepriesen werden. Die Sanierung der Bahnhofstraße zwischen Brautwiesenplatz und Krölstraße ist dabei quasi auch eine flankierende Maßnahme. Die sanierte Straße nimmt Konturen an, aber Anwohner fühlen sich übergangen und nicht mitgenommen.

Görlitz. „Um 6.30 Uhr früh beginnt der Lärm von Generatoren und Presslufthämmern, das Haus zittert wie bei einem Luftangriff“, berichtet Wojciech Jablonski, der in der Bahnhofstraße und hier fast schon am Brautwiesenplatz lebt. Seine Frau und er gingen auch mal erst um 4.00 Uhr nach einer Nachtschicht ins Bett – aber an Schlaf sei dann nicht mehr zu denken.

„Am meisten ärgert mich, dass extrem laute Arbeiten so früh beginnen. Zugleich ist aber vom April bis in den Oktober hinein nach dem Start am frühen Morgen dann im Grunde nichts passiert“. Dabei weiß Jablonski öffentliche Vorhaben schon abzuwägen. Der aus Kattowitz stammende Oberschlesier war viele Jahre Lokalredakteur beim Zycie Warszawy (Warschauer Leben) und hat aus dieser Zeit einen Blick für Baufortschritte. Dabei geht in Polen vieles seinen improvisatorischen Gang. In der Görlitzer Bahnhofstraße hätte er aber schon einen außergewöhnlichen Stillstand erlebt und in den sich über das Jahr hinziehenden Baumaßnahmen ein schlampiges Provisorium nach dem anderen. „Neun Monate geben sie vor 250 Meter Straße zu renovieren“, fasst er seinen Frust zusammen.
Aus Sicht der Stadtverwaltung klingt das anders. Der zeitliche Verzug betrage derzeit eine Woche, „wobei Verzug dabei die falsche Bezeichnung ist. Umfangreiche ungeplante Tiefbaumaßnahmen mussten im Auftrag der SWG AG zusätzlich bewältigt werden, ständige Anpassungen des Bauablaufes waren die Folge. Die Firma Strabag AG hat sich auf die Änderungen eingestellt und versucht die Baumaßnahme dennoch im vertraglichen Zeitraum zu beenden“, teilt Juliane Zachmann für die Stadt Görlitz mit.

Da klingt es fast unerheblich, dass „auf Grund des Beginns der Pandemie“ die Baumaßnahme erst eine Woche später (geplanter Beginn war der 23. März) gestartet worden sei. Allerdings sei der Abschnitt 300 m lang. U.a. sei eine Neuverlegung einer Trinkwasserleitung nötig gewesen, die Verlegung von Rohrleitungen für die Nahwärmeversorgung, die Verlegung von Leerrohren für Glasfaserkabel und die Sanierung des Regenwasserkanals. „Umfangreiche ungeplante Tiefbaumaßnahmen, z. B. Sanierung des Regenwasserkanales in geschlossener und der Hausanschlusskanäle in offener Bauweise, wurden durch die Strabag AG zügig umgesetzt“ und zwar „ohne beantragte Bauzeitverlängerung!“. Bei Wojciech Jablonski wurde dabei übrigens die historische Eingangstrittstufe entfernt; um eine Nachbildung und deren Einbau habe er zunächst kämpfen müssen. „Von alleine hätte das keiner erneuert“, weist er auf seinen Hauseingang, den er über einen knarzenden Balken, der über eine Baufurche führt, erreichen muss.

Aufgrund der zusätzlichen ungeplanten Tiefbauleistungen hätten die eigentlichen Straßenbauarbeiten jedoch erst deutlich später als geplant begonnen und dadurch in die für einige auszuführende Leistungen ungünstige Jahreszeit verschoben worden, heißt es aus dem Rathaus. Derzeit würden die Pflasterarbeiten zügig vorangetrieben, während Bepflanzungen abgeschlossen seien. Die Fertigstellung der Baumaßnahme werde daher spätestens Mitte Dezember erwartet.

Anwohner erhielten an Ausweichplätzen sogar Knöllchen

Wojciech Jablonski umreißt seinen Gesamteindruck anders: „Seit Ende Februar ist eine der Hauptverkehrsadern der Stadt fußgänger- und autofrei. Die Bombardierungslandschaft, die für fast 700.000 Euro aus dem Bundesfonds geräumt wurde, ähnelte eine halbe Ewigkeit einer dunklen, schmutzigen Wüste, mit lebensbedrohlichen Stolperfallen.“

Schon am Anfang seien am gegenüberliegenden Bahndamm viele Bäume gefällt worden. Er hätte sich nicht vorstellen können, dass man bei dem Anspruch, eine Grünanlage zu schaffen, Grün so stark ausdünnen müsse, so dass ihm künftig Flanierende auf Bett und Tisch schauen werden.

Die Baustelle sei an vielen Stellen ungesichert gewesen. Der Gehweg mit Kies und Schutt bedeckt, unbeleuchtet. „Manchmal brach dieser provisorische Bürgersteig zusammen und zwang Passanten, zwischen verlassenen Baumaschinen zu stolpern. Die Bewohner hatten keinen Platz zum Parken und fuhren einfach in die Schlammberge, die die Arbeiter hinterlassen hatten. Niemand hat etwas dagegen unternommen, aber die kommunalen Dienste bestraften bereitwillig Fahrer, die versuchten Parkplätze außerhalb der Baustelle in Gebieten zu finden, in denen es kein Parkverbot gab. Die Stadtverwaltung hat auch keine alternativen Parkplätze für die Bewohner gesichert“, fasst er Beobachtungen zusammen.

Immerhin soll sich für Anwohner die Parksituation künftig nicht wesentlich verschlechtern. Vor den Arbeiten habe es an der Südseite (Bahngelände) 30 Stellplätze gegeben, an der Nordseite (Bebauung) 20 (rechnerisch) – zuzüglich einer Ladezone. „Aufgrund des geplanten Zugangs zum Brautwiesenpark verringert sich auf der Südseite die Anzahl der regulären Stellplätze um zwei Stück“, erklärt Juliane Zachmann für die Stadt. Diese habe regelmäßig, Strabag auch über persönlichen Kontakt und durch Aushänge Anwohner informiert.

Darüber muss Wojciech Jablonski lachen. Allenfalls hätte man etwas über Aushänge im Haus erfahren können – meist wenn das Kind ohnehin schon in den Brunnen gefallen gewesen sei. „Als Anwohner hatten wir häufigen Mangel an Versorgungsunternehmen, der nur einmal offiziell gemeldet wurde: Wasserunterbrechungen oder schmutziges Leitungswasser, häufige Unterbrechungen der Internetverbindung. Die Straßeninstallation wird nach eigenem Ermessen unterbrochen“, so Jablonski. Und ein Großteil habe sich davon in der Zeit des Lockdowns abgespielt, „als wir wie im Gefängnis in unseren eigenen Häusern saßen, praktisch abgeschnitten von der Welt. Die Meinung der Einwohner interessiert die Stadtverwaltung nicht“, ist er überzeugt. „Das Leben wurde in diesem Jahr für uns Menschen in der Bahnhofstraße ruiniert“, fasst er zusammen.

Darüber hinaus bereite die Stadtverwaltung „ein weiteres Jahr einer ähnlichen Hölle für uns vor“, wenn der Park angelegt werde. Die Stadtverwaltung habe den Bewohnern keine Entschädigung für ihre Belastungen angeboten und sonne sich nur im Blick auf eine strahlende Zukunft des Areals.

Und vielleicht ist genau das auch das Schicksal der wenigen Anwohner. Viele Häuser stehen leer, einige renovierte sind bislang noch nicht oder kaum bezogen. Die belastete Öffentlichkeit beschränkt sie auf einige bedauernswerte Anwohner. Mit mehr Anwohnern werden dann auch bald Parkplätze richtig knapp.â‹ŒT. Scholtz-Knobloch

Till Scholtz-Knobloch / 25.11.2020

Was sagen Sie zu dem Thema?

Schreiben Sie uns Ihre Meinung

Die Mail-Adresse wird nur für Rückfragen verwendet und spätestens nach 14 Tagen gelöscht.

Mit dem Absenden Ihres Kommentars willigen Sie ein, dass der angegebene Name, Ihre Email-Adresse und die IP-Adresse, die Ihrem Internetanschluss aktuell zugewiesen ist, von uns im Zusammenhang mit Ihrem Kommentar gespeichert werden. Die Email-Adresse und die IP-Adresse werden natürlich nicht veröffentlicht oder weiter gegeben. Weitere Informationen zum Datenschutz bei alles-lausitz.de finden Sie hier. Bitte lesen Sie unsere Netiquette.

Weitere aktuelle Artikel