Perle unter den wenigen erhaltenen Synagogen

Die Kuppel der Neuen Synagoge macht auch in Touristenführern Eindruck. Foto: Philipp Herfort
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Das Innere zeigt, wieso die Neue Synagoge zu Görlitz auf dem Pflichtprogramm von Touristen steht. Foto: Philipp Herfort
Im Herbst lädt das Kulturforum Görlitzer Synagoge zu den dritten Jüdischen Kulturtagen in Görlitz ein. Bis Ende November bietet die Veran-staltungsreihe ein Programm aus Konzerten, Vorträgen und Diskussionen zu unterschiedlichen Facetten jüdischer Kultur. Überregionale Aufmerksamkeit schafft dabei in erster Linie jedoch die Synagoge selbst.
Görlitz. Die Görlitzer Kulturservicegesellschaft organisiert die Jüdischen Kulturtage mit dem Förderkreis Görlitzer Synagoge e.V., unterstützt von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, der Raff-Förderreuther-Stiftung sowie der Stadt Görlitz.
Den Auftakt macht am Donnerstag, 16. Oktober, 19.30 Uhr, das Konzert „In meiner Seele weht der Wind der Weite“ mit Julia Boegershausen und der Kapelle Bagatelle, die mit Chansons und Klezmer an die 20er- bis 40er-Jahre erinnern. Eine Woche später, am Donnerstag, 23. Oktober, 19.30 Uhr, folgt die musikalisch-literarische Hommage „Ich wandere durch Theresienstadt“ mit Liedern und Texten von Ilse Weber, interpretiert von Ania Wegry (Sopran), Katarzyna Wasiak (Piano) und Frank Harders-Wuthenow (Sprecher).
Am Freitag, dem 7. November, 19.30 Uhr, lädt Constance Matthaeus zu einer musikalischen Friedensreise unter dem Titel „Schalom – Klangreise zum Frieden“ ein. Ihre Harfenmusik verbindet jüdische, christliche und muslimische Klangwelten mehrsprachig.
Am Sonntag, 23. November, 15.00 Uhr präsentiert die Historikerin Lauren Leiderman neue Forschungsergebnisse zum „Kultur und Alltag der Görlitzer Juden im 20. Jahrhundert“, die das Bild des jüdischen Lebens in der Stadt um viele bislang unbekannte Facetten erweitert.
Zum Abschluss der Kulturtage wird am Mittwoch, dem 26. November, 17.00 Uhr, eine historische Einordnung der Synagoge stehen. Beim Vortrag und der Diskussion „Die Neue Synagoge im Spiegel der Gesellschaft“ berichten Experten und Zeitzeugen über die Geschichte des Gotteshauses. Der Niederschlesische Kurier bringt folgend bereits einen Abriss zur historischen Einordnung.
Mit der Eroberung Jerusalems und der Zerstörung des Tempels durch die Römer begann die Diaspora des Judentums, das über Europa zerstreut wurde. Oft nutzten die Gläubigen als Gebetsstätten und Synagogen recht unauffällige Bauten, die sich schlicht in das umgebende Häuserbild einfügten.
Erst mit dem Beginn der Emanzipation im 18. und 19. Jahrhundert wurden die Synagogen als selbstbewusste Einzelbauten sichtbarer im Stadtbild. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Kölner Synagoge, deren Fassadenrestaurierung die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) gefördert hat.
Die DSD unterstützte in den vergangenen 40 Jahren ihres Bestehens also sowohl die sehr sichtbaren wie die unauffälligen jüdischen Gotteshäuser. Sie unterstützt auch archäologische Grabungen zur weiteren Erforschung der jüdischen Bauten, wie unlängst in der Synagoge in Mühlhausen zwischen Bamberg und Erlangen, wo eine Schulklasse mit Teilnehmern des DSD-Schulprogramms denkmal aktiv die Grundmauern der ursprünglichen, vermutlich 1870 versetzten Bima – des Lesepults der Thora – im Betsaal des Gebäudes erkundete. Oder in Rothenburg ob der Tauber das in der Judengasse 10 stehende Wohnhaus aus dem Jahr 1409, das im vergangenen Jahr als „Ort der Begegnung und Inspiration“ eingeweiht wurde und als außergewöhnlichen Schatz eine 600 Jahre alte Mikwe birgt.
Doch unter all diesen Bauwerken kommt der ehemaligen Synagoge in Görlitz eine besondere Rolle zu. Das am 8. März 1911 eingeweihte Gotteshaus entstand nach Plänen der Dresdner Architekten Lossow & Kühne. Das Bauwerk ist als bedeutendes Werk des späten Jugendstils von überregionaler Bedeutung. Die monumentale Ausprägung der Baukörpergestaltung mit der harmonischen baukünstlerischen Innengestaltung gehört zu den bemerkenswerten Leistungen der Synagogenarchitektur in Europa. Der mächtige Bau dokumentiert das Selbstbewusstsein und die gesellschaftliche Anerkennung der jüdischen Gemeinde zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Der voluminöse Bau wurde in Quadern errichtet. Mächtige Lisenen, hohe Portale und ein Thermenfenster strukturieren die Fassade. Den hinteren Gebäudeteil überragt ein hoher quadratischer Turm mit Attika und Thermenfenstern. Der hohe turmartige Gebäudeteil bildet einen wichtigen städtebaulichen Akzent. Erbaut in den schweren Formen des Neoklassizismus stellt die Synagoge ein ausgezeichnetes Beispiel für die Architektur der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts dar. Besondere Beachtung verdient das Bauwerk auch als einer der frühen Stahlbetonbauten Deutschlands. Der Bau ist eine Synthese der aktuellsten architektonischen Strömungen und Vorstellungen im liberalen deutschen Judentum um 1909 zu verstehen.
Die Synagoge hat zwei Betsäle. Der große Kuppelsaal war ursprünglich für rund 550 Betende ausgelegt. Nach der 2021 beendeten Sanierung hat er noch Raum für 310 Plätze. Er wird ergänzt durch eine Wochentagsynagoge für 50 Betende. In der Reichspogromnacht wurde die Synagoge gerettet, weil die Görlitzer Feuerwehr den Befehl, nicht einzugreifen, zu spät erhielt. Sie rückte aus, um den Brand zu löschen, so dass zwar der Innenraum beschädigt wurde, die Trägerstruktur und damit der Bau jedoch erhalten blieb. Die Gemeinde wurde im Jahr darauf gezwungen, das Gebäude weit unter Preis zu verkaufen. Da nach dem Krieg in Görlitz keine jüdische Gemeinde mehr existierte, wurde das Bauwerk 1963 an die Stadt Görlitz verkauft. Die Stadt erklärte die Synagoge zwar zum Kulturdenkmal, investierte aber nicht in den Erhalt des Gebäudes. Die Synagoge verfiel. 1991 wurde sie endlich gesichert und ab 1996 nach Klärung aller Rechtsfragen wieder hergestellt.
Mit Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz konnten mehrere Sanierungsabschnitte etwa im westlichen Langhaus oder im Kuppelinnenraum abgeschlossen werden. Um den Kuppelraum und das Foyer wieder nutzen zu können, musste das Gewölbe statisch gesichert werden. Zuletzt wurden die Stuckelemente wieder an der Decke befestigt. Die Fenster wurden nach historischen Bildern rekonstruiert, noch vorhandene Türen aufgearbeitet. Schrittweise konnte mit vereinzelten Förderungen und Sachförderungen sowie dem Einsatz des Görlitzer Zentrums für Handwerk und Denkmalpflege der Innenraum instandgesetzt werden. Mit Fertigstellung der haustechnischen Anlagen lässt sich die Synagoge wieder nutzen. So kann die beeindruckende Raumgestaltung von der Öffentlichkeit erneut in aller Schönheit wahrgenommen werden.
Seit ihrer Gründung vor 40 Jahren förderte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) rund 7.000 Maßnahmen an „Sakralen Bauten“, davon 54 Maßnahmen an Synagogen.