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Verjüngungskur für Nieskys Bahnhof

Verjüngungskur für Nieskys Bahnhof

Während des Bahnhofsumbaus bzw. des Neubaus der Niederschlesischen Magistrale war Niesky gänzlich von Schienen befreit. Aufnahme vom 21. Juni 2018. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Ende der 1860er-Jahre entstanden überall in Deutschland Eisenbahnprojekte. Dazu gehörte auch die kürzeste Verbindung zwischen den preußischen Städten Breslau und Magdeburg. Eine wichtige Wegmarke für Niesky.

Niesky/Horka. Weil die Linie durch überwiegend dünn besiedeltes Gebiet verlief, hielt sich der Staat aus der Finanzierung heraus und überließ die Initiative der privaten Oberlausitzer Eisenbahngesellschaft (O.E.), die 1869 ihre Konzession für die Strecke Kohlfurt (Wegliniec)– Falkenberg erhielt. Mit der Betriebseröffnung am 1. Juni 1874 entstand auch der Bahnhof Niesky, bahnamtlich mit dem Kürzel „Ny“ und der Kilometerangabe 27,80 vom Ausgangspunkt Kohlfurt.

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Auf dieser 1911 verschickten Ansichtskarte hat der Bahnhof Niesky nur ein kurzes Perrondach. Am Hausbahnsteig fährt soeben ein Personenzug mit preußischer G-52-Lok ein. Foto: Sammlung Rettig

Leider reichten die Erträge der Strecke gerade zur Deckung der Ausgaben. Deshalb übernahm die preußische Staatsbahn ab 1882 zunächst den Betrieb und 1887 auch die gesamte O.E., die sich damit auflöste. Um die Wende zum 20. Jahrhundert verkehrten bereits Schnellzüge, etliche Personenzüge, und auch der Güterverkehr war immens angestiegen. In den 1930er-Jahren beanspruchte der Fahrplan zwei Kursbuchseiten auf der zweigleisigen Strecke. Erstaunlich ist, dass Niesky seinen slawischen Namen behielt, während die Nationalsozialisten viele Orte umbenannten (Horka/Wehrkirch, Nikrisch/Hagenwerder, Leschwitz/Weinhübel). Möglicherweise war der Einfluss der langjährigen Waggonbaufirma Christoph & Unmack entscheidend.

Die Grenzfestlegung auf die Lausitzer Neiße unterbrach den Personenverkehr nach Osten, auch wenn Polen bis 1947 noch Züge mit vertriebenen Schlesiern nach Deutschland schickte. Als Reparationsleistung demontierte man das zweite Streckengleis. Reisezüge nach Falkenberg begannen erst in Horka. Verkehrszuwachs entstand durch die Verbindungskurve vom Abzweig Mückenhain an der Berliner Strecke zum Abzweig Särichen an der ex O.E. am 17. Mai 1953. Der Güterverkehr mit Polen kam erst nach dem Grenzvertrag 1950 in Gang. Der gegenseitige Warenaustausch basiert auf dem Eisenbahngrenzabkommen DDR/Polen vom 1. April 1955. Horka Güterbahnhof wurde zum Grenzbahnhof ausgebaut.

Das Nieskyer Empfangsgebäude ist ein 2 ½ -geschossiger Typenbau der O.E. aus Klinkerziegeln. In westlicher Richtung schlossen sich das Wirtschaftsgebäude und der Güterschuppen an. Mit dem zweigleisigen Streckenausbau entstanden an den Bahnhofsköpfen die Stellwerke, welche neben der Sicherung der Bahnübergänge zuständig für die Bedienung der Weichen und Signale waren. Zur Zeit der größten Ausdehnung waren die insgesamt 15 Gleise durch 29 Weichen verbunden, und selbst am Überholungsgleis 3 lag ein dritter Bahnsteig. Das Empfangsgebäude erhielt einen eingeschossigen Anbau in östlicher Richtung, und der Hausbahnsteig wurde überdacht.

Nach der politischen Wende mit sinkendem Güteraufkommen wurden die Güterabfertigung und die Fahrkartenausgabe geschlossen. Schließlich wurden das leer stehende Empfangsgebäude verschlossen und die Fenster im Erdgeschoss gesichert. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Graffiti das Gebäude „zierten“. Auch der Güterschuppen ist dem Vandalismus preisgegeben. Am 14. Dezember 2002 endete der Pendelverkehr mit „Ferkeltaxen“ (Triebwagen VT 771) zwischen Niesky und Horka. Immerhin hielten auch weiterhin die Regionalbahnen der Linie 64 (Görlitz – Hoyerswerda) im Zweistundentakt auf dem Bahnhof Niesky.

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Noch im November 1980 pendelten solche Wendezugkombinationen aus Diesellok 110, Mitteleinstiegswagen, Eilzugwagen und Steuerwagen zwischen Horka und Niesky. Foto: WR

Der große Einschnitt begann mit der Einführung des Schienenersatzverkehrs, nachdem im November 2015 das bisherige Gleis in Richtung Knappenrode demontiert wurde. Im September 2017 beseitigte man die Schienen auf dem Bahnhof Niesky und begann mit dem totalen Umbau. Der Hausbahnsteig wurde erhöht, und am Gleis 2 entstand ein moderner Inselbahnsteig, der durch einen Personentunnel mit Aufzügen erreichbar ist. Lärmschutzwände neben den Gleisen sehen zwar nicht schön aus, schützen aber die Anwohner vor den Bahngeräuschen. Neben zwei Überholgleisen bestehen noch die Anschlussgleise zu den Firmen Waggonbau sowie Stahl- und Brückenbau. Beide Stellwerke sind verschwunden, so dass auch kein Eisenbahner mehr in Niesky seinen Dienst verrichtet. Weichen und Signale werden vom elektronischen Stellwerk in Horka gesteuert. Die automatische Schrankenbedienung übernimmt der Zug.

Mit einem Festakt und viel Prominenz (Kretschmer, Pofalla) wurde am 9. Dezember 2018 die wieder zweigleisige und jetzt elektrifizierte Strecke zwischen Knappenrode und Horka in Betrieb genommen. Hunderte Schaulustige erwarteten auf Bahnsteig 2 den mit einer Ellok gezogenen Sonderzug aus Horka, den bei der Einfahrt ein Feuerwerk neben dem Gleis begleitete. Seitdem ist auch die ODEG als RB 64 unter dem Namen „Seenland-Neiße-Shuttle“ im Zweistundentakt unterwegs.

Der Autor war als Eisenbahningenieur im EMK Schlauroth, später im Forschungszentrum Minden (Westfalen) beschäftigt. Aus seiner Feder stammen unter anderem 13 Bücher zur Eisenbahngeschichte.

Wilfried Rettig / 20.03.2022

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