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Wir fahren Fahrrad, aber ohne Dynamo!

Wir fahren Fahrrad, aber ohne Dynamo!

Die Fans des Dresdner SC waren über alle 90 Min. des Spiels durch Trommelwirbel, Konfetti und Schlachtrufe präsent. Das Banner der Dresden-Friedrichstädter ziert DSC-Altnationalspieler Helmut Schön, der Trainer der Weltmeisterelf von 1974 war. Foto: TSK

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FC-Stahl-Präsident Tilman Havenstein und Georg Wehse (rechts) vom DSC-Fußballmuseum     Foto: Till Scholtz-Knobloch

Der Aufsteiger in die Fußball-Landesklasse Ost, der Dresdner SC, bringt ein besonderes Flair auf die Sportplätze der Oberlausitz mit. Am Wochenende gab der legendäre Altmeister sein Ligadebüt nach der Rückkehr in diese Spielklasse beim Mitaufsteiger FC Stahl Rietschen-See im Landkreis Görlitz. Dass ein ganz großer Name des Sports in die Stahlarena kam, wurde den meisten Zuschauern jedoch erst mit Blick auf den Fananhang gewahr.

Rietschen/Dresden. Wer in und um Rietschen nach dem Aufstieg dem Rückrundenstart in der Fußball-Landesklasse Ost entgegengefiebert hatte und zur Vorbereitung die Homepage des dsc-museum.de von Freunden des ruhmreichen Dresdner SC betrat, der wurde mit einem umfassenden Steckbrief zum FC Stahl Rietschen-See belohnt. Hier konnte man erfahren, dass die einstige BSG Chemie Rietschen als Trägerbebtrieb den VEB Feuerfestwerke Wetro hatte und welche Produktionspalette der Betrieb umfasste. Aber der DSC ist als Auftaktgegner in der höheren Spielklasse da natürlich auch ein ganz anderes Kaliber und dies nicht erst, seitdem der Klub in der Saison 1999/2000 die aus seiner einstigen Asche entstandene SG Dynamo sportlich bis 2002 sogar kurzzeitig abgehängt hatte.
Der neue FC-Stahl-Präsident Tilman Havenstein und die knapp 100 heimischen der 120 Besucher staunten nicht schlecht, als der Anhang des DSC die altehrwürdige Holztribüne in Beschlag nahm und 90 Minuten für Trommelwirbel, Fangesänge und Konfettiregen sorgte. „Ich habe gar nicht gewusst, dass wir einen Klub mit solch einer Geschichte heute zu Gast haben“, bekannte Havenstein nach Aufklärung erstaunt.

„Georg Wehse ist E-Jugend-Trainer der Dresdner und Fan, zugleich auch einer der Macher der „dsc-museum.de“-Seite. Einst fand er an der Aura der Dresdner Fußballpioniere Gefallen, forscht dazu selbst und bringt vieles davon auf die Internetseite. Als Fußballnostalgiker fehlt ihm vor allem eines bei Dynamo: „Wenn ein Klub von der Staatsmacht politisch installiert ist, dann ist es ein Klub der Sicherheitsorgane und nicht einer aus der Stadtgesellschaft. Es gibt bei Dynamo keine Gründungsgeschichte von 11 Freunden, die zusammen ihren Verein schaffen.“ Während Wehse dies betont, hört man andere Fans gerade „Wir fahren Fahrrad, aber ohne Dynamo“ skandieren.

Der alte Dresdner SC hatte während des Krieges zwei deutsche Meistertitel und zwei Pokalsiege an die Elbe geholt, ehe die Sowjets den Sport im Osten nach betrieblichen Bezügen umgestalteten. „Die zunächst als Quasi-Nachfolger gegründete SG Friedrichstadt um Helmut Schön, der die Bundesrepublik 1974 als Trainer zum Fußballweltmeister machte, dürfte der Staatsmacht schon deswegen ein Dorn im Auge gewesen sein, weil sie die abgewandelte DSC-Fahne auf ihr Trikot gebracht hatte“, erläutert Georg Wehse.
Die Meisterschaft in der DDR-Oberliga verhinderte 1950 eine skandalumwitterte Heimniederlage am letzten Spieltag gegen das Arbeiterkollektiv der ZSG Horch Zwickau. Die Zuschauerproteste nahm die DDR zum Anlass für die Auflösung der SG Friedrichstadt und beruhigte die Massen durch Aufnahme des um hinzudelegierte Spieler versträrkten Dresdner Kreisligisten SG Deutsche Volkspolizei in die Oberliga. Aus den Volkspolizisten wurde 1953 letztlich die SG Dynamo.

Während unter Vermittlung des späteren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, Topspieler des einstigen DSC nach Berlin gingen, landete die Masse der verbliebenen Mitglieder bei der SG Mickten, aus der über Sachsenverlag und den FDGB-Pokalsieger von 1958 SC Einheit 1990 der Dresdner SC neugegründet wurde.

Aus dem DSC-Fanblock ertönt aus heiterem Himmel gar ein Schlachtruf „Altona 93“. Wehse erläutert, dass es Parallelen gibt. Die Hamburger sind wie der DSC, der durch seine Wurzel, den 1874 gegründeten Dresden Football Club als indirekt ältester kontinentaleuropäischer Fußballklub betrachtet werden kann, ein Pionierverein, „der zudem auch eine Alternative zum modernen Fußball bietet“. Bei Altona 93 sind letztlich die Fans gelandet, die einst den FC St. Pauli unterstützten, dessen kommerziellen Weg und manche Legendenbildung jedoch nicht mitgehen wollten. Dazu gehörte übrigens auch Punker „Doc Mabuse“, der als erster mit einer Totenkopffahne ins Stadion von St. Pauli ging.

Und so mischen sich in die Nostalgie beim DSC auch Banner wie „Refugees welcome“ oder vom linksalternativen Klub Roter Stern Leipzig, womit der DSC milieuverhaftet nicht überall Freunde findet. Übrigens: Fußball wurde in Rietschen auch gespielt. Unglücklich geriet der FC Stahl durch ein Elfmetertor auf die Verliererstraße, die durch ein 0:2 in der 65. Minute besiegelt wurde. Hingegen hat man beim DSC nach einem Zwischenhoch zur Jahrtausendwende und anschließender Insolvenz vielleicht das Ärgste überwunden. Der Ausflug in die achtklassige Stadtliga Dresden letzte Saison soll ein einmaliger Tiefpunkt gewesen sein.
 

Till Scholtz-Knobloch / 28.08.2019

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