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Als das Geld keinen Pfifferling mehr wert war

Als das Geld keinen Pfifferling mehr wert war

Spätestens im Sommer 1923 hatte das Papiergeld keine Zahlungsfunktion mehr. Foto: Matthias Schildbach

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Oft zeigten Notgeldscheine Motive der Heimatgeschichte. In Greiffenberg (polnisch: Gryfow Slaski) überschüttet der heimische Berggeist Rübezahl die Stadt mit Dukaten. Foto: Johannes Rasim

1922 und 1923 stieg die Inflation der Mark ins Unermessliche und gipfelte im November 1923 in der Hyperinflation noch nie dagewesenen Ausmaßes. Bis heute gilt dieses Szenario als Sinnbild der Vernichtung aller Vermögen und Ersparnisse.

Bautzen/Löbau/Zittau /Görlitz.
Der Erste Weltkrieg war im November 1918 zu Ende gegangen. Damit war nicht nur der Traum eines expandierenden Kaiserreiches verloren. Millionen von Menschenleben wurden geopfert und ganze Landstriche Europas vernichtet. Auch finanziell wurde der verlorene Krieg für Deutschland zum Desaster. Zu Beginn des Krieges im September 1914 hatte Deutschland gerade einmal die Rücklagen für zwei Tage Kriegsführung. Geplant war ein schneller, siegreicher Krieg – die Kosten sollten einmal die unterworfenen Kriegsgegner bezahlen.

Nach über vier Jahren Krieg musste das Reich kapitulieren. Die Goldreserven waren aufgezehrt. Noch im Krieg war man von der auf Gold gestützten Währung zur Papiermark übergegangen. Die junge Weimarer Republik stand nicht nur vor einem riesigen Schuldenberg, sondern auch noch durch Millionen gezeichneter Kriegsanleihen bei der eigenen Bevölkerung in der Kreide und musste laut Versailler Vertrag bis weit in die Zukunft – geplant waren die letzten Zahlungen für 1987 – Reparationszahlungen leisten.

Die Gelddruckmaschinen wurden angeworfen. So begann die Preissteigerung allmählich, doch spürbar, denn die Menschen bekamen immer weniger für ihr Geld. Ein Pfund Brot kostete 1918 25 Pfennige, 1919 28 Pfennige, 1920 1,20 Mark, 1922 10,57 Mark. Die Zeitungen berichteten im Mai 1922 von der Annahme von Kupferpfennigen. Das Kupfer war inzwischen weit mehr wert als der Kupferpfennig als Zahlungsmittel selbst – für einen Pfennig erhielt man sieben Mark.

Es machte überhaupt keinen Unterschied, ob jemand auf dem Lande oder in der Stadt, in Sachsen, Schlesien, im Ruhrgebiet oder sonst wo im Land lebte. Die Preissteigerungen trafen alle. 
1922 hatte Deutschland die Masse seiner Goldreserven an die ehemaligen alliierten Kriegsgegner abgegeben. Die in Bargeld, Kohle und Stahl zu leistenden weiteren Zahlungsverpflichtungen gerieten zusehends in Verzug. Im Januar 1923 rückte die französische Armee ins Ruhrgebiet ein, um die Abfuhr der Verpflichtungen mit Nachdruck durchzusetzen. Das brachte das Fass zum Überlaufen.
Deutschland forderte die streikenden Arbeiter zum gewaltfreien zivilen Widerstand auf, die Löhne wurden fortgezahlt. Die Druckerpressen liefen und liefen, an Papier mangelte es nicht. Spätestens im Sommer 1923 hatte das Papiergeld keine Zahlungsfunktion mehr. Wer es bekam, der musste schnellstmöglich Bargeld in Ware umtauschen. Irgendetwas, egal was, Hauptsache, es war als Tauschmittel brauchbar. Kein Wunder, dass die Diebstähle in jener Zeit enorm zunahmen, war doch alles andere denn Bargeld wertvoller. Im Oktober und November häuften sich die Diebstähle ins Extreme: So wurden Scheunen aufgebrochen, Blitzableiter gestohlen, überhaupt hatten Einbrüche Hochsaison, allerorts wurden die verschiedenartigsten Sachen sowie Lebens- und Genussmittel gestohlen. Dass der Wert in die Milliarden ging, lässt sich erahnen. 

Die Preissteigerungen waren im Spätsommer und Herbst 1923 so enorm und schnell, dass die Reichsbank mit dem Drucken und Ausliefern neuer Scheine gar nicht mehr hinterherkam. Die Geldbeträge in Umlauf befindlicher Scheine wurden einfach überstempelt, ebenso bei Briefmarken. Städte erhielten das Sonderrecht, eigenes, sogenanntes Notgeld herauszugeben.  Bautzen, Zittau, Löbau und Görlitz beispielsweise taten das. Selbst Betriebe und Firmen begannen am Ende, Geld zu drucken, wie die Deutsche Reichsbahn oder Stahlwerke und Fabriken. Welche Ausmaße das Gelddrucken annahm, berichteten die Zeitungen im November 1923: „Die Patentpapierfabrik Penig fertigt dafür täglich 15.000 Kilo Papier schon seit Wochen, wozu zwei große Papiermaschinen voll benötigt werden. Das tägliche Quantum ist eine große Waggonladung. Und dabei ist die Papierfabrik nur eine von den ziemlich 60 Fabriken, die dem Reich das zum Banknoten und Wertzeichendruck erforderliche Papier liefern.“

Mitte November 1923 befanden sich unaussprechliche 192.000.000.000.000.000.000 – 192 Trillionen Mark – im Umlauf. Die Milchstraße hat nicht einmal so viele Sterne!
Alltägliche Waren waren teuer wie nie: Ein Liter Vollmilch 18,6 Milliarden Mark, eine Zeitung 75 Milliarden für drei Ausgaben pro Woche, Porto für eine Postkarte 500 Millionen Mark.
Am 15. November wurde die Mark von der Rentenmark abgelöst. Der Wechselkurs zu einem US-Dollar lag bei 4,2 Billionen Mark. Der Wert der Rentenmark war mit Grund und Boden anstelle des nicht mehr vorhandenen Goldes hinterlegt. Die Reichsregierung tauschte eine Billion Mark gegen eine Rentenmark um. Die Kreischaer Tageszeitung empfahl am 27. November 1923: „Man macht also kein schlechtes Geschäft, wenn man die Papierscheine bis zu 100.000 Mark als Altpapier verkauft.“

Der Schaden, den die Inflation hinterlassen hatte, war immens. Die Mittelschicht war ruiniert, das Vertrauen in die junge Demokratie und das kapitalistische Wirtschaftssystem nachhaltig geschwächt. Die Folgen der Hyperinflation von 1922/23 und die damit empfundene Schwäche des jungen demokratischen Deutschlands bildeten ein Jahrzehnt später den Nährboden für einen bis dahin gewesenen Außenseiter der politischen Bühne. Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler Reichskanzler...

Matthias Schildbach / 02.11.2023

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