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Die Welterbetrauben hingen in Görlitz wieder zu hoch

Die Welterbetrauben hingen in Görlitz wieder zu hoch

In der Altstadt – hier Brüderstraße 9 – finden sich hinter vielen Türen imposante Hallen einstiger Kaufleute. Foto: Matthias Wehnert

Seit vielen Jahren träumt Görlitz davon, in den erlauchten Kreis der Städte mit einem Weltkulturerbestatus zu kommen. Der aktuelle Anlauf scheiterte jetzt erneut. Einen neuerlichen Versuch könnte es frühestens 2033 geben. 

Görlitz.
Die Waldsiedlung Zehlendorf in Berlin, die „Fundstätte der Schöninger Speere – Mensch und Jagd vor 300.000 Jahren“ in Niedersachsen, das „Pretziener Wehr“ in Sachsen-Anhalt, der Fernsehturm Stuttgart, der „Olympiapark München“ sowie „Europäische Großbogenbrücken des 19. Jahrhunderts“ in Nordrhein-Westfalen und „Keltische Machtzentren der älteren Eisenzeit nordwestlich der Alpen“ lauten die Kandidaten, die am Montag von der Kultusministerkonferenz (KMK) auf die sogenannte Tentativliste für das UNESCO-Welterbe aufgenommen wurden. Oder anders gesagt: Görlitz als „ein Architekturensemble von Kaufleuten an der Via Regia“ ist wieder durchgefallen. Die Tentativliste dient als Grundlage für künftige Nominierungen zum Welterbe.

OB Octavian Ursu kommentierte dies noch am Tag der Bekanntgabe: „Die Entscheidung ist sehr bedauerlich. Wir haben sehr viel Herzblut, Arbeit und finanzielle Ressourcen in den Antrag investiert. Selbstverständlich respektieren wir aber die fachliche Einschätzung der Experten.“ Damit stellte sich die Frage der weiteren Strategie für die Zukunft, die jedoch allein dadurch Grenzen findet, dass ein gleichartiger Antrag erst nach zehn Jahren erneut gestellt werden kann.
Stadtpressesprecherin Juliane Zachmann kommentierte auf Anfrage der Redaktion ergänzend: „Nach über drei Jahrzehnten Arbeit und sechs Anläufen (1988, 1997, 2002/2003, 2006-2008, 2013 und 2022/2023) mit unterschiedlichen Verfahrensschwerpunkten und Themensetzungen müssen wir prüfen, inwieweit ein weiterer Versuch zielführend sein kann. Die Entscheidung der KMK hat uns überrascht. Wir haben viele Hinweise von Experten auf dem Gebiet Welterbe berücksichtigt und diese in unseren Antrag einfließen lassen.“ Hartmut Wilke, Leiter des Amtes für Stadtentwicklung der Stadt erläuterte der Redaktion, dass sechs Anlaufe aus drei Jahrzehnten daraus resultieren, dass verschiedene Antragsebenen in mehrjährigen Abläufen zeitlich versetzt erreicht worden seien.

Nun ginge es gegebenenfalls wirklich erst wieder in zehn Jahren. Er habe die Entscheidung auch noch nicht wirklich verdaut, wolle sich aber nicht auf die spekulative Frage der Redaktion einlassen, inwieweit vielleicht doch politische Geschenke verteilt worden sein könnten. Letztlich hatte Görlitz’ Bewerbung als herausragendes Zentrum des Via-Regia-Handels im Mittelalter und der frühen Neuzeit eben nicht schnöde Schönheit, sondern ein echten kulturgeschichtlichen Sinnzusammenhang vermitteln wollen. Vielleicht könnte wie im Falle der „Keltischen Machtzentren der älteren Eisenzeit nordwestlich der Alpen“ in Deutschland, Frankreich und der Schweiz Görlitz auch mit anderen Orten entlang der Via Regia in Polen 2033 grenzüberschreitend einen anderen Akzent setzen. Freilich wäre dann der eigentlich gut durchdachte Aspekt der Hallenhäuser als spezielle Form hiesiger Kaufleute nicht zentrales Ass. Dieser Schatz wird letztlich mit beeindruckenden Archivalien ergänzt, die praktisch keine andere europäische Stadt in dieser Breite vorweisen kann. Mit der Pleite ist nun jedenfalls der herausragende Baustein für die weitere touristische Vermarktung Görlitz’ verloren.
 Turnusmäßig reicht die Kultusministerkonferenz zum Stichtag 1. Februar Vorschläge für die Aufnahme in die UNESCO-Liste des Welterbes zur Entscheidung im Folgejahr ein. Auf der aktuellen Tentativliste stehen bereits unter anderem die Bayerischen Königsschlösser, das Residenzensemble Schwerin und die Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeine. Das UNESCO-Welterbekomitee prüft, welche Stätten in die „Liste des Kultur- und Naturerbes der Welt“ aufgenommen werden können. Die Bundesrepublik ist derzeit mit 52 Welterbestätten auf der UNESCO-Liste vertreten.

Till Scholtz-Knobloch / 09.12.2023

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