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Fall „King Abode“ zeigt einmal mehr Justitias Schwächen auf

Fall „King Abode“ zeigt einmal mehr Justitias Schwächen auf

Noch immer ist völlig offen, wann „King Abode“ – einem jungen Asylbewerber aus Libyen – der Prozess gemacht wird. Dem Amtsgericht in Bautzen liegen mehrere Anklagen zu unterschiedlichen Strafsachen vor. Foto: Archiv

Bautzen. Ein kurzes Videoschnipsel erregt dieser Tage die Gemüter im World Wide Web. Seit dieses dort zu sehen ist, haben es bereits über 12.000 Internetnutzer aufgerufen. In der gerade einmal 34 Sekunden langen Sequenz meldet sich ein Altbekannter zu Wort, den viele in Bautzen unter dem unrühmlichen Beinamen „King Abode“ kennen. Der junge Mann, der vor vier Jahren auf einem Schlepperboot übers Mittelmeer ans Spreeufer kam und nicht erst seit den Vorkommnissen auf dem Kornmarkt im vergangenen Jahr als Krawallasylbewerber und Intensivtäter bei der Polizeidirektion Görlitz geführt wird, schimpft in dem Video in bester Gangster-Rapper-Manier auf die Beamten, zeigt ihnen gar den Stinkefinger. Und er vertritt felsenfest die Auffassung, für immer in Deutschland bleiben zu können. Noch aber ist das Asylverfahren nicht abgeschlossen.

Doch gerade im Fall „King Abode“ sieht der Vorsitzende der CDU-Stadtratsfraktion, Karsten Vogt, zügigen Handlungsbedarf geboten sowie eine gewisse Wichtigkeit, diesen Prozess endlich zu einem Ende zu bringen. „Herr T. beeinträchtigt die innere Ruhe und Ordnung unserer Stadt.“ Deshalb müsse auch über die ausstehenden Strafverfahren vorrangig geurteilt werden.

Fünf Anklagen liegen seit Monaten beim Amtsgericht Bautzen – unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beleidigung sowie Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte. Noch im Mai wies Direktor Markus Kadenbach darauf hin, dass per Verbindungsbeschluss die einzelnen Strafsachen aus Gründen der Prozessökonomie zu einem Hauptverfahren zusammengeführt werden sollen. In dieser Woche nun verlautete aus dem Direktorenzimmer: „Die zuständige Richterin, die auch den Vorsitz im Jugendschöffengericht führt, terminiert vorrangig unter Berücksichtigung der besonderen Dringlichkeit von Strafverfahren. Hierbei genießen Haftsachen absolute Priorität. Im Übrigen sind organisatorische und prozessökonomische Erwägungen ausschlaggebend.“ Und weiter: „Die Anklagen wurden dem Beschuldigten zugestellt. Dieser hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. In mehreren Verfahren ließ das Gericht auch bereits durch Beschluss die Anklage zur Hauptverhandlung zu.“ Ein Termin dafür sei noch immer nicht bestimmt worden.

„Offensichtlich ist das Gericht überlastet“, meinte in dem Zusammenhang der Sprecher der Fraktion der Bündnisgrünen im Sächsischen Landtag, Andreas Jahnel-Bastet. „Anders kann ich mir nicht erklären, warum die Hauptverhandlung nicht eröffnet wird. Hier sollte schleunigst Abhilfe geschaffen werden. Denn eine zügige Strafverfolgung ist wichtig.“ Sonst tritt das ein, was Rechtsanwalt Heiko Kosel befürchtet: „Wenn längere Zeit nichts geschieht, bekommt ein Straftäter das Gefühl, mir passiert sowieso nichts. Die vorhandenen Gesetze sind ausreichend, aber wir benötigen mehr Personal bei den Justizbehörden.“ Doch gerade die Bereiche Sicherheit und Bildung habe der Freistaat zu sehr als Sparbüchse genutzt. Dies sei in erster Linie vor dem Hintergrund damaliger Prognosen erfolgt, die sich nicht bewahrheitet hätten, sagte der Landtagsabgeordnete der Linkspartei. „Als die Entscheidungen fielen, Justiz und Polizei mit weniger Personal auszustatten, musste die Landesregierung von deutlich geringeren Zuwendungen durch den Bund und die EU ausgehen. Auch, dass die Steuereinnahmen inzwischen höher liegen als gedacht, war zum damaligen Zeitpunkt nicht absehbar. Hinzukommen statistische Werte, die sich inzwischen anders darstellen. Noch vor Jahren rechneten die Regierungsparteien damit, dass bei immer weniger Menschen im Freistaat und einer immer älter werdenden Gesellschaft die Kriminalität abnimmt. Jedoch hat die Realität schnell aufgezeigt, dass dem nicht so ist. Vielmehr steht die Justiz vor der Herausforderung, die Haftbedingungen entsprechend anzupassen, um auch altersgerechte Gefängniszellen vorzuhalten. Alles das deutete sich bereits lange vor der Flüchtlingswelle an.“ Trotzdem sei nicht entsprechend gehandelt worden, bemängelte Heiko Kosel. Auch die Grünen setzen sich eigenen Angaben zufolge seit Jahren für eine bessere Ausstattung der Gerichte ein. „Entsprechende Vorstöße wurden von CDU, SPD und FDP im Landtag allerdings immer abgelehnt“, weiß Andreas Jahnel-Bastet.

Der stellvertretende Sprecher des Sächsischen Justizministeriums, Sebastian Hecht, hält dagegen: „Allgemein lässt sich sagen, dass Straftaten durch die sächsische Justiz konsequent verfolgt und die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Insbesondere in Hinblick auf sogenannte Intensivtäter sind in den letzten Monaten zahlreiche Maßnahmen in die Wege geleitet worden, um deren Strafverfolgung noch weiter zu optimieren.“ Sein Kollege Jörg Herold geht ins Detail: „Der Personalbedarf der Gerichte und Staatsanwaltschaften wird nach einem bundeseinheitlich abgestimmten System zur Personalbedarfsberechnung (PEBB§Y) ermittelt. Dabei handelt es sich um ein transparentes, wissenschaftlich fundiertes und zudem fortschreibungsfähiges Verfahren zur Berechnung des Personalbedarfs, das eine faire Verteilung des zur Verfügung stehenden Personals in der Justiz ermöglicht. Einen vom Finanzminister vorgegebenen Rahmen für die Dauer gerichtlicher Verfahren gibt es nicht. Die Justiz muss aber mit den ihr vom Haushaltsgesetzgeber zur Verfügung gestellten Stellen auskommen.“ Bezüglich PEBB§Y seien die Amtsgerichte Bautzen, Görlitz und Zittau sowie das Landgericht Görlitz gemessen an der Anzahl der an den jeweiligen Gerichten ernannten Richter derzeit bedarfsentsprechend mit Personal ausgestattet. Umgerechnet in Zahlen bedeutet das: Mit Stand Mitte Februar 2018 gingen allein am Amtsgericht Bautzen 13 Richter ihrer Arbeit nach – darunter zwei auf Probe. Perspektivisch gesehen steht die sächsische Justiz jedoch vor enormen Herausforderungen, wie Ministeriumssprecher Jörg Herold weiter ausführte. Allein zwischen den Jahren 2026 und 2030 würden mit rund 470 Kollegen rund ein Drittel aller Richter und Staatsanwälte im Freistaat aus dem aktiven Dienst ausscheiden. Um das Problem anzugehen, seien in den zurückliegenden beiden Doppelhaushalten jeweils 56 beziehungsweise 64 Stellen für die Einsetzung junger Richter und Staatsanwälte geschaffen worden. Über weitere Schritte werde nachgedacht.

Heiko Kosel zufolge sollte das künftige Justizpersonal anders als jetzt üblich über eine gewisse interkulturelle Kompetenz verfügen, um Fälle wie den des „King Abode“ besser einordnen zu können. Damit wäre viel gewonnen, auch was eine mögliche Resozialisierung anbelangt. Eine Chance dafür sieht Grünen-Sprecher Andreas Jahnel-Bastet durchaus gegeben, vorausgesetzt, „King Abode“ darf tatsächlich in der Bundesrepublik bleiben: „Hier ist es wie mit vielen straffälligen Jugendlichen: Sie brauchen eine Aufgabe, Struktur und ein soziales Umfeld, das sie mitnimmt und ihnen auch Grenzen setzt. Hilfreich wäre zudem, wenn junge Leute wie ‚King Abode’ nicht ständig Ausgrenzungserfahrungen durchleben müssten. Kurz um: Wenn der junge Mann eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis bekommt, wäre eine Ausbildung und Arbeit für ihn gut.“

Unterdessen sprach Karsten Vogt dem Nordafrikaner diese Perspektive ab: „Jeder Mensch, der hier arbeiten will, der die Gesetze akzeptiert und sich in die Gesellschaft einfügt, soll in Deutschland leben können. Auf ‚King Abode’ trifft dies jedoch nicht zu.“ Hinsichtlich des Videoclips des Libyers betonte der Christdemokrat: „Er verhöhnt öffentlich den Staat und seine Repräsentanten.“ FDP-Mann Mike Hauschild geht noch ein Stück weiter, wenn er sagt: „Er hat sich jegliche Perspektiven in der Bundesrepublik verspielt, und er muss unser Land verlassen, da sein Asylantrag bereits mehrmals abgelehnt wurde. Es wird auch nicht besser, wenn immer wieder dieselben Menschen ihm mit Tricks und unter Ausnutzen der deutschen Gesetze den Aufenthalt hier verlängern. Dazu kommt der offen zur Schau gestellte Unwille, sich an unsere Regeln zu halten.“ Fest steht nicht nur für Mike Hauschild: „Unsere Gesetze müssen für alle gleich gelten. Also ohne Bonus für vermeintlich benachteiligte Gruppen.“ Parteifreund Torsten Herbst, gleichzeitig General der Sachsen-FDP und Bundestagsabgeordneter, sieht das ähnlich: „Gegen Straftäter – egal ob aus Deutschland oder einem anderen Staat – muss konsequent vorgegangen werden. Ich hoffe sehr, dass ‚King Abode’ für seine Straftaten zur Verantwortung gezogen wird. Wir dürfen es nicht zulassen, dass eine kleine Gruppe krimineller Asylbewerber das öffentliche Klima in unserem Land vergiftet. Wer hier Schutz vor Verfolgung und Gewalt sucht, hat eine besondere Verantwortung, sich an die Regeln des Zufluchtslandes zu halten.“ Wer gegen diese Hausordnung bewusst verstoße, könne nicht mehr mit der Solidarität des Gastlandes rechnen. „Soweit rechtlich möglich, müssen Intensiv- und Mehrfachtäter, so genannte MITA, zügig abgeschoben werden.“ Rund 1.170 Zuwanderer mit diesem Status leben nach Angaben des Innenministeriums momentan in Sachsen. Schon die Einschätzung durch die Polizei reicht aus, um in diese Gruppierung hineinzurutschen.

Bis zu einem möglichen Urteil gelte die Unschuldsvermutung. Das stellte Markus Kadenbach nochmals klar. Und erst wenn dieses Rechtskraft erlangt hat, ist eine Ausweisung durch die Ausländerbehörde realisierbar, betonte Grünen-Stadtrat Claus Gruhl. Dafür müsse die verhängte Haftstrafe nicht zwangsläufig mindestens drei Jahre betragen. Sie kann auch geringer ausfallen, um abgeschoben zu werden.

Zumindest eine Entscheidung ist kürzlich gefallen. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft in Görlitz wurde gegen „King Abode“ wegen einer Sachbeschädigung eine Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen verhängt. Diese ist bereits rechtskräftig. Unklar bleibt hingegen, ob der Libyer in sein Heimatland abgeschoben wird. Der Sprecher des Sächsischen Innenministeriums, Alexander Bertram, dazu: „Das ist in der nächsten Zeit nicht zu erwarten, da noch Gerichtsverfahren gegen den ablehnenden BAMF-Bescheid anhängig sind.“

Roland Kaiser / 11.09.2018

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