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Das unerzählte Leid der Kinder in der Gedenkstätte Bautzen

Das unerzählte Leid der Kinder in der Gedenkstätte Bautzen

Yvonne Blackert, Tochter von Walter Janka, beim Interview am 27. September 2024 in der Gedenkstätte Bautzen. Foto: Lothar Blackert

Ein neuer Film der Gedenkstätte Bautzen gibt den Töchtern und Söhnen eine Stimme. Ihre Geschichten zeigen: Das Erbe der Haft wirkt bis heute nach.

Bautzen. Die Wunden der Vergangenheit heilen langsam, doch die Narben bleiben sichtbar. „Es sind fremde Männer“, die Jahre nach ihrer Inhaftierung in die Familien zurückkehren – gezeichnet von der Zeit im Stasi-Gefängnis Bautzen II. Der Sohn von Gustav Just erkannte seinen eigenen Vater nicht wieder und siezte ihn mit den Worten:
„Willkommen, Herr Vater. Ich freue mich, dass Sie wieder da sind.“

Diese bewegende Szene steht exemplarisch für das neue Filmprojekt der Gedenkstätte Bautzen mit dem Titel „Das Erbe politischer Haft“. 

Silke Klewin, die Leiterin der Gedenkstätte, hat mit ihrer Kollegin Cornelia Bruhn über viele Monate hinweg intensive Gespräche mit den Angehörigen geführt. „Wir haben in den letzten Jahren sehr, sehr viele Interviews immer mit den Direktbetroffenen geführt. Wir wissen ziemlich genau, wie die Häftlinge die Zeit selbst erlebt haben“, erklärt Klewin. „Aber wir haben bisher noch nie die Angehörigen in den Blick genommen.“

Elf Angehörige – acht Kinder und drei Enkel – öffnen sich in dem Film auf beeindruckende Weise. Vier von ihnen erlebten die Verhaftung ihrer Väter im Kindesalter unmittelbar mit. Klewin schildert die dramatischen Unterschiede: „Tochter und Sohn von Walter Janka, die waren zu Hause, als die Stasi da einfach einlief und das ganze Haus auf den Kopf stellte. Die Kinder waren total traumatisiert.“

Ganz anders erging es Thomas Loest, dem man erklärte, der Vater sei auf Dienstreise. „Bei ihm war es so, dass der Vater einfach plötzlich weg war. Und dass ihm mit seinen sieben Jahren erzählt wurde, eben um ihn zu schonen, ach, der Papa ist auf Dienstreise.“ Die Wahrheit erfuhr er erst viel später.

Die Isolation war für alle Familienmitglieder quälend. „Der einzige Kontakt, den man hat, ist, dass man vielleicht mal eine Zeile in dem monatlichen Brief schreiben kann“, so Klewin. „Da steht dann halt so was wie: Papa, mach dir keine Sorgen, wir sind gut in der Schule. Komm bald wieder.“ Die monatelange Ungewissheit lastete schwer auf den Familien.

Besonders eindrücklich sind die Schilderungen der emotionalen Distanz, die auch Jahre nach der Haft bestehen blieb. Eine Tochter beschreibt im Film ihre Erfahrungen: „Ich hatte einfach immer das Gefühl, da gibt es so viel, was ich irgendwie nicht verstehe, was keinen Sinn macht, wo ich an ihn irgendwie nicht rankomme.“ Ihre Versuche, Nähe herzustellen, scheiterten oft: „Wenn ich ihn versucht habe zu umarmen, hatte ich ganz oft das Gefühl, ich umarme ihn, aber es ist irgendwie so, als würde ich ein sperriges Möbelstück umarmen.“

Klewin berichtet von bewegenden Momenten in ihren Interviews: „Yvonne Blackert, das ist die Tochter von Walter Janka, sagte: Es vergeht bis heute kein einziger Tag, an dem ich nicht über das Schicksal meines Vaters nachdenke.“ Diese tiefen Spuren der Vergangenheit überraschen selbst die erfahrene Gedenkstättenleiterin: „Dass eben dieses SED-Regime bis heute noch so eine Macht hat und nachwirkt, das hat mich schon auch fast geschockt.“

Trotz aller Schwere betont Klewin die positive Resonanz der Betroffenen: „Viele Angehörige haben gesagt: Endlich fragt auch mal mich jemand. Ich bin noch nie gefragt worden, wie war es denn eigentlich für dich als dein Vater, als du sechs warst, abgeholt wurde.“

Für die Gedenkstättenleiterin ist die Aufarbeitung keine museale Pflichtübung, sondern ein lebendiger Prozess mit aktuellem Bezug. „Ich bitte wirklich darum, dass jeder selber denkt und Dinge hinterfragt und sich eine eigene Meinung bildet“, appelliert sie. Die Gedenkstätte verstehe sich nicht als Ort fertiger Lehren, sondern als Raum der Ermutigung zur eigenen Urteilsbildung.

„In der Gedenkstätte erlebt man, wie vielleicht an keinem anderen Ort in der Stadt den Wert der Demokratie, sage ich mal, in Reinform“, führt Klewin aus. „Wenn ich nämlich keine unabhängige Justiz habe, wenn ich nicht Rechtssicherheit habe, wenn es wirklich möglich ist, dass ich Menschen gegen absurdeste Vorwürfe verfolge, dann weiß ich, wie wichtig und wie gut unser System auch in weiten Strecken funktioniert. Ich würde den Staffelstab gerne an die Jugend übergeben, weil sie sind einfach die Generation, die dann unsere Demokratie auch fortlaufend retten sollte.“ Die Geschichte von Bautzen II, so macht der Film deutlich, ist keine abgeschlossene Vergangenheit, sondern eine fortwährende Mahnung für die Gegenwart.

Die Premiere des Films „Das Erbe politischer Haft“ findet am Samstag, 6. September, 18.00 Uhr, in der Gedenkstätte Bautzen statt. Im Anschluss gibt es die Möglichkeit zum Gespräch mit den Familien. Der Eintritt ist frei.

Uwe Tschirner / 05.09.2025

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