Ein Wollexpress von Sohland am Rotstein nach Mecklenburg

Füttern ist „Chefsache“. Alte, fast vergessene Landschafrassen mit robuster Wolle sind die große Leidenschaft von Rosi Idziaschek aus Sohland am Rotstein. Foto: Bettina Hennig
Sohland am Rotstein. Wenn Schafe geschoren werden, kommt eine Menge Wolle zusammen, ein Rohstoff, der hierzulande oft unterschätzt wird. Bis aus der groben Wolle ein weiches Knäuel zum Stricken entsteht, sind viele aufwendige Arbeitsschritte nötig. Rosi Idziaschek aus Sohland am Rotstein beherrscht sie alle, sogar das Färben mit Naturstoffen. Im gemütlichen Dorfcafé von Sohland gibt sie ihr Wissen weiter und bietet begehrte Spinnkurse an. Diese finden im Herbst und Winter statt, Anmeldungen laufen über das Dorfcafé (www.sohlandlebt.de). Das Interesse an traditionellem Handwerk ist sehr groß, besonders unter jungen Menschen.
Trotz der großen Nachfrage sind die Wollberge, die nach der Schur ihrer zwölf ausgewachsenen Schafe anfallen, gewaltig. Allein kann Rosi diese Menge nicht verarbeiten. Doch ihre Wolle ist etwas Besonderes, denn ihre Herde besteht aus alten, fast vergessenen Landschafrassen. Robust und widerstandsfähig, besitzt ihre Wolle einzigartige Eigenschaften, die sie perfekt für funktionale Kleidung aus unbehandelter Schafwolle macht. Dabei handelt es sich um Produkte ganz ohne Plastik und Chemie.
Von der Oberlausitz nach Mecklenburg: Eine ganz besondere Partnerschaft
Was anderswo oft als Abfall verbrannt oder höchstens zum Abdecken von Beeten genutzt wird, ist für Marco Scheel ein kostbarer Rohstoff. Der Schafzüchter von der Insel Rügen betreibt eine Manufaktur nahe Wismar und freut sich jedes Jahr riesig, wenn Rosi mit ihrer hochwertigen Wolle aus der Oberlausitz vorfährt. Neben der Verarbeitung zu funktionaler Kleidung experimentiert der norddeutsche Tüftler mit nachhaltigen Innovationen: Die temperaturstabilen Eigenschaften der Wolle könnten Styropor und Plastik beim Transport von Medikamenten oder Impfstoffen ersetzen. Gemeinsam mit Baubiologen, Handwerkern und Architekten testet er Schafwolle sogar als natürlichen Dämmstoff für Häuser. „Dieser Kreislauf zeigt, welchen Aufwind nachhaltige Manufakturwaren aus natürlichen Rohstoffen gerade erleben“, schwärmt Rosi. Sie selbst hat bereits Erfahrung mit Wolle als Dämmstoff gesammelt, bei ihrem eigenen Haus und kann die hervorragenden Eigenschaften nur bestätigen.
Übrigens stammt von Marco Scheel ein legendäres Zitat in typisch norddeutscher Direktheit: „Wir können nicht alle mit einem MacBook und einem Chai Latte in Berlin in einem Coworking-Space sitzen und die zehnte Dating-App erfinden. Es gibt halt ein paar Leute, die etwas anfassen müssen und sich die Hände schmutzig machen.“ Ein Satz, bei dem Rosi nur zustimmend nickt.
Was bei ihr vor über 25 Jahren als pragmatische Lösung für zu viel Weideland begann, damals mit zwei Heidschnucken, ist heute ihr Lebensinhalt. Ehemann Ulrich baut mit Leidenschaft immer neue Ställe und Unterstände, besonders seit der Wolf zusätzliche Sicherungsmaßnahmen nötig macht. Sogar die Enkel haben die Begeisterung für die Tiere geerbt. Auf den Wiesen der Familie tummeln sich seltene Rassen, darunter Brillenschaf Paula – eine „Rettungsaktion“ der Enkeltochter Pauline aus einem Tierpark-Überbestand.
Den Großteil der Herde bilden jedoch die rauwolligen Pommerschen Landschafe, deren Wolle bei Marco Scheel heiß begehrt ist. Zwei von ihnen holten Rosi und ihr Mann einst als Lämmer von Rügen. Und dieses Jahr im September macht sich ihre Wolle wieder auf den Weg nach Mecklenburg. Wenn sich Rosi und Marco dann wiedersehen, schließt sich ein Kreis. Einer, der Tradition, Handwerk, Nachhaltigkeit und Freundschaft verbindet.