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Kampf dem großen Ladensterben

Kampf dem großen Ladensterben

Sinnbild für das Ladensterben in Bautzen: die Kornmarktpassage. Hier im Herzen der Spreestadt herrscht weitgehend gähnende Leere. Eine Änderung scheint vorerst nicht in Sicht. Foto: RK

Vor 18 Jahren schien in Bautzen die Einzelhandelswelt noch in Ordnung. Lediglich 22 Geschäfte standen damals leer. Doch mittlerweile greift ein fast schon beängstigendes Ladensterben um sich. Reichen-, Goschwitz- und nun auch die Seminarstraße – gefühlt weitet sich das Phänomen aus. Die Zahlen aber sprechen eine andere Sprache. Im Fünfjahresvergleich schneidet die Stadt besser ab als gedacht. Trotzdem besteht Handlungsbedarf.

Bautzen. Roland Fleischer hat die Zahlen auf den Tisch gepackt: Circa 70 Geschäfte im Zentrum der Spreestadt lassen aktuell eine ansprechende Schaufenstergestaltung vermissen. Stattdessen offenbart sich Passanten gähnende Leere und der freundliche Hinweis: „Zu vermieten“. Dass es schon einmal viel schlimmer war, zeigt ein Blick aufs Jahr 2013. „Damals verzeichneten wir in der Innenstadt etwa 95 Geschäfte, die leer standen“, ließ der Chef der SPD-Stadtratsfraktion den Oberlausitzer Kurier auf Anfrage wissen. Die Gründe dafür hat er schnell ausgemacht: „Zu hohe Mieten, zu lange Mietverträge, zu wenig Werbung und Marketing. Außerdem stimmen Angebot und Nachfrage nicht.“ Was also tun?

Mehr Kultur in der Fußgängerzone

Roland Fleischer hat einige Vorstellungen, mit denen er gern gegensteuern würde. Um diese umsetzen zu können, sieht er alle in der Pflicht – in erster Linie jedoch die Rathausspitze, den Stadtrat, den Beirat für Stadtentwicklung, das Wirtschaftsförderamt und weitere verantwortliche Kräfte. „Wir müssen mit Besonderheiten, mit Alleinstellungsmerkmalen, mit Spezialitäten, mit der Historie von Bautzen, mit Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Toleranz und entsprechender Werbung auf uns aufmerksam machen. Der Kornmarkt, als Eingangstor zur Stadt, sollte einladender beziehungsweise familienfreundlicher gestaltet werden“, lauten einige seiner Ideen. An dieser Stelle hakt sein Stadtratskollege von der FDP, Mike Hauschild, ein: „Die Verwaltung sollte die Gebührenschraube lockern. Ich habe schon vor längerer Zeit Möglichkeiten aufgezeigt, wie wir, ohne Geld ausgeben zu müssen, mehr Schwung in unsere Stadt bekommen. Zum Beispiel schlug ich vor, den Geschäften die Gebühren für die Nutzung der Fußwege für Außenbewirtschaftungen zu erlassen. Dann würde es sehr viel attraktiver werden, zum Beispiel auf der Reichenstraße ein originelles Café neben einem Modegeschäft zu eröffnen. Es könnte sich eine echte Flaniermeile entwickeln und gleichzeitig die Wendische Straße mit Ergänzungsangeboten unterstützen. Dass für die Kundschaft gut nutzbare Parkplätze unbedingt dazugehören, sollte außerhalb des Rathauses unbestritten sein.“

All das deckt sich mit den Vorschlägen von Experten, die im Fall der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden nach Möglichkeiten suchen, um deren Fußgängerzone am Leben zu halten. Dort greift einem Medienbericht zufolge das Ladensterben ebenfalls um sich. Städte müssten auf solch eine Entwicklung reagieren, indem sie Erlebniswelten schaffen und somit die Aufenthaltsqualität verbessern, heißt es in einem Fernsehbeitrag. Sie sollten mehr Raum zum Verweilen und für Unterhaltung bieten. Eine große Rolle würden in diesem Zusammenhang, wie von FDP-Mann Hauschild ins Feld geführt, Gastronomiebetriebe spielen.

CDU-Fraktionschef Karsten Vogt indes wirft noch einen ganz anderen Aspekt auf. „In jüngster Zeit wird in anderen Städten verstärkt das Modell der so genannten Pop-Up-Stores erprobt. Dahinter verbergen sich Läden, die für eine kurzfristige Vermietung angeboten werden und die aufgrund der geplanten Kurzfristigkeit bewusst sparsam in ihrer Ausstattung sind.“ Für den Ladenbetreiber biete dieses Konzept den Vorteil einer geringeren Anfangsinvestition und damit ein überschaubareres Risiko. Somit sei dieses Modell gerade für Neugründer besonders interessant. „Für die Vermieterseite ist diese Form der Vermietung hingegen aufgrund der Kurzfristigkeit eher uninteressant. Hier jedoch kann die Stadt ansetzen und diesen Interessengegensatz gezielt schließen, sprich durch Förderung abbauen.“ Ein erstes Unternehmen habe diesen Versuch in Bautzen bereits gewagt. „Auch wenn bei diesem Modell ein Teil der Läden nach kurzer Zeit wieder verschwinden wird, werden sich jene mit interessanten Angeboten am Markt behaupten können und dauerhaft die Innenstadt beleben“, zeigt sich Karsten Vogt überzeugt.

„Unabhängig davon benötigen wir eine Personalstelle fürs Stadtmarketing, um die Tourismuswerbung und das Marketing in eine Hand legen zu können“, betont Roland Fleischer. „Des Weiteren sollte der Beirat für Stadtentwicklung Vorschläge aus der Bevölkerung und von Experten aufgreifen, sammeln und auswerten.“ In punkto Kornmarktgestaltung regt der Sozialdemokrat an, Topfpflanzen und Schattenspender aufzustellen sowie weitere Bäume zu pflanzen. Aber auch mit etwas mehr Kultur ließen sich nach seiner Ansicht verstärkt Besucher in die Innenstadt locken. „Mir schwebt dabei ein Ein-Mann-Theater beziehungsweise ein Zimmertheater in einem Laden vor. Das würde auch an den Abenden Menschen in die Stadtmitte ziehen und dabei helfen, sie zu beleben. In all diesen Punkten können wir uns eine Unterstützung durch die Stadt vorstellen.“

Freilich: Dieses Flair kann der Online-Handel nicht bieten, der seit Längerem für das große Ladensterben mitverantwortlich gemacht wird. „Die Welt bleibt auch in Bautzen nicht stehen“, sagt die Geschäftsstellenleiterin der Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden Jeanette Schneider. „Alle reden von Digitalisierung, schnellem Internet und Industrie 4.0 sowie Bitcoins als Zahlungsmittel. Unbestritten ist der Online-Handel eine Konkurrenz für den stationären Handel. Es hat ja auch Vorteile, daheim vom Sofa aus zu bestellen. Die Lieferungen werden immer schneller und die Bestellungen immer einfacher.“

Doch gegen die Einkäufe im World Wide Web regt sich durchaus Widerstand. Im sauerländischen Attendorn beispielsweise haben sich mehr als 30 Einzelhändler zusammengeschlossen, um eine gemeinsame Internetplattform zu gründen, über die sie ihre Produkte auch online anbieten – verbunden mit einem Service, mit dem sie anderen Internetanbietern durchaus Paroli bieten. Der Bautzener Innenstadtverein hat ebenfalls reagiert. Citymanagerin Gunhild Mimuß nahm Anfang November die Online-Plattform www.bautzen.info in Betrieb, auf der sich die Geschäftsleute der Spreestadt mit ihren Angeboten präsentieren dürfen. Dafür hatte sie monatelang geworben und gekämpft. Jedoch machen noch längst nicht so viele Gewerbetreibende wie in Attendorn von dem Marketinginstrument Gebrauch.

Service – das A und O

Jeanette Schneider hingegen sieht in der Spreestadt bezüglich Serviceorientierung und Freundlichkeit noch Luft nach oben. „Wenn ich die Auskunft bekomme, für Sie haben wir nichts und Sie werden im ganzen Haus nichts finden, dann sehe ich schon ein gewisses Potenzial für den stationären Handel. Kauf auf Probe, Änderungsservice beim Erwerb von Kleidungsstücken, online einkaufen und im Geschäft abholen sowie altersgerechte Angebote – damit lässt sich beim Kunden punkten. Wichtig ist, dass er ein gutes Gefühl beim Verlassen des Ladens hat. Gut beraten und nett bedient worden zu sein sowie Qualität gekauft zu haben – an solch einen Einkauf erinnere ich mich gern. Da gehe ich wieder hin.“ Um das zu schaffen, greift die IHK den Händlern hin und wieder unter die Arme. „Wir bieten ihnen verschiedene Veranstaltungen und Publikationen an, die Anregungen für einen attraktiven Auftritt geben, zum Beispiel bei der Schaufenster- und Ladengestaltung, sprich Warenpräsentation. Außerdem gibt es eine Veranstaltungsreihe Kalkulation im Handel. Auch sonst versuchen wir, den Händlern hilfreiche Tipps mit auf den Weg zu geben und den Erfahrungsaustausch untereinander anzukurbeln. In der Branche ist das zugegebenermaßen aber recht schwierig.” Vor diesem Hintergrund zeichnet die Wirtschaftsexpertin ein differenziertes Bild von Bautzen in der Zukunft: „Dass die Spreestadt das Einkaufsmekka Sachsens wird, glaube ich nicht. Sicherlich wird noch das eine oder andere Geschäft schließen. Sicher auch nicht immer nur wegen sinkender Umsätze, sondern auch wegen fehlender Fachkräfte und Nachfolger. Aber es kommt bestimmt immer mal ein neuer Laden dazu – sobald ein Bedarf vorhanden ist.“ In dem Fall sollten die Gebäude auch in einem ordnungsgemäßen Zustand sein. „Der steht in direktem Zusammenhang mit dem Leerstand. Wer möchte schon in einer Ruine einen schicken Laden eröffnen? Das Gesamtbild muss stimmen.” Darüber hinaus beklagt Jeanette Schneider, dass an vielen Konzepten von „schlauen Leuten“ – meist Externe – lange gearbeitet, darüber diskutiert, das Ganze verworfen und wieder neu konzipiert werde. „In der Zeit sind alle Eulen verflogen. Sprich: Investoren suchen sich Standorte, wo Lösungen angeboten und Kompromisse erzeugt werden – unkonventionell und zeitnah sozusagen.“

Gemischte Aussichten

„Es geht und wird weiter aufwärts gehen“, davon zeigt sich indes Roland Fleischer überzeugt, „weil sich alle verantwortlichen Kräfte mit diesem Thema intensiv beschäftigen.“ Gleichzeitig forderte er die Verwaltung auf, den Händlern die Möglichkeit zu geben, ihre Wünsche hinsichtlich der Rahmenbedingungen einzubringen. Mike Hauschild ist da etwas weniger optimistisch: „Es wird für unsere fleißigen Händler schwieriger werden. Die Konkurrenz in anderen Städten und im Internet hat es einfach besser. Solange wir die eigenen Unternehmer nur als Melkkühe betrachten, denen man nicht einen Millimeter entgegenkommt, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass es fast unmöglich ist, Nachfolger und Neuunternehmer in Bautzen zu finden. Statt fortwährend gesagt zu bekommen, wir wollen nicht, wir dürfen nicht, wir können nicht, brauchen wir wieder eine Aufbruchstimmung und mehr Optimismus.“

Chance vertan?

Das Amt für Wirtschaftsförderung versucht eigenen Angaben zufolge seit drei Jahren, dies mit einem so genannten Leerstandsmanager zu erreichen. Diesen wird es allerdings auf absehbare Zeit nicht geben. Bereits während der Haushaltsberatungen hatte sich der Stadtrat mehrheitlich gegen eine solche Verwaltungsstelle ausgesprochen. Mike Hauschild wagt einen Erklärungsversuch aus Sicht seiner Fraktion: „Auf keinen Fall brauchen wir einen Stadtangestellten, der von 8.00 bis 16.00 Uhr Vermieter und Neumieter zusammenbringen soll. Das sind Zeichen von hilflosem Aktionismus. Die Stadtverantwortlichen sollten nicht so tun, als ob sie Mieten oder Geschäftsideen zu beeinflussen vermag. Das kann sie nämlich nicht. Die Geschäftsleute müssen sich schon selbst kümmern.“ Dabei würde gerade auf diesen Rathausangestellten viel Arbeit warten. Noch einmal Jeanette Schneider: „Er sollte über viele Beziehungen verfügen und weitere knüpfen und bestenfalls auch schon Erfahrungen mitbringen. Ich erwarte allerdings keine Wunder, denn die Stadt Bautzen ist kein Einzelfall in Sachen Ladenleerstand.”

Trotz allem schaut der Leiter vom Amt für Wirtschaftsförderung, Alexander Scharfenberg positiv in die Zukunft: „Der Zusammenhalt der Händler ist stärker geworden. Wir entwickeln immer wieder neue Veranstaltungen und Initiativen wie den Testshop, um neue Anreize zu schaffen. Darüber hinaus bemüht sich die Bauverwaltung aktuell darum, ein neues Fördergebiet zu entwickeln, in dem es auch diverse Ansätze gibt, wie man das Thema Leerstand vorantreiben kann. Dort spielen Themen wie Stadtfeste, Stadtmöblierung, Stadtgrün, Gebäudesanierung, City- und Leerstandsmanagement ebenfalls eine Rolle.“

Roland Kaiser / 26.02.2018

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Kommentare zum Artikel "Kampf dem großen Ladensterben"

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. Ronald Bergmann schrieb am

    Einen Punkt finde ich "amüsant": Einem (vermeintlichen) Trend folgend wurde erst eine neuartige, durchkonzipierte und geschlossene Handelslandschaft (Kornmarktcenter) etabliert, um danach die negativen Auswirkungen dieser Entscheidung verzweifelt durch Nachahmung ihrer Aktivitäten zu kompensieren. Da soll gekünstlert und performt, die Aufenthaltsqualität mit Bänken, Bäumen und Straßengastronomie verbessert und die sterbende Fußgängerzone quasi künstlich beatmet werden. Das hätte man schon vor 20 Jahren machen können, als es noch nicht zu spät war. Die damals so bequeme Alternative hat aber trotzdem die besseren Karten - außer man überdacht die Fußgängerzone und beheizt sie.

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