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Öffentliches Urinieren auch in Pandemie ordnungswidrig

Öffentliches Urinieren auch in Pandemie ordnungswidrig

Die innerstädtischen und altstädtischen Toiletten wie hier die öffentliche Toilette in der Apothekergasse sind für manche Alte einfach zu weit entfernt, weiß Lisa Schug. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Mit dem faktischen Zusammenbruch des öffentlichen Lebens trauen sich manche Alte nun kaum mehr vor die Tür – unter anderem auch wegen des sich banal anhörenden Arguments, dass mit geschlossenen Cafés auch Möglichkeiten für Toilettengänge verschwunden seien. Lisa Schug möchte genau das zur Sprache bringen.

Görlitz. Die Corona-Pandemie hat viele versteckte Opfer hervorgebracht. „Die Älteren, Schwachen, mitunter auch Behinderten sind häufig kaum vernetzt“, berichtet Ruheständlerin Lisa Schug aus Görlitz, die eigentlich eine gehandicapte Rentnerin zum Termin mit dem Niederschlesischen Kurier mitbringen wollte. Sie selbst ist nämlich das Gegenteil. Lisa Schug ist mit viel Engagement eine Art soziales Gewissen in der Stadt und springt für viele ohne Stimme stellvertretend immer einmal wieder in die Bresche. „Bei manchen Ämtern atmet der ein oder andere schon durch, wenn er mich am Apparat hat“, sagt die einstige Beamtin, die ursprünglich aus Rheinland-Pfalz stammt und später in Berlin Taxifahrerin war.

Sie habe nun eine Bekannte nicht mitgebracht, weil diese Angst habe, es ohne zwischenzeitlichen Toilettenstopp in die Innenstadt zu schaffen, wo sie dann erst wieder auf öffentliche Bedürfnisanstalten stoße. Gerade bei den eisigen Temperaturen und dem Schneetreiben würde nun das Zeitfenster noch kleiner werden. „Das Argument kann ich – obwohl ich absolut mobil bin – gut nachvollziehen. Ich habe dieser Tage erst wieder gespürt, wie schwer das Profane im Lockdown ist. In Zentrum von Rauschwalde ist ein Café gerade für viele Alte ein Anlaufpunkt, weil man dort eben auch mal austreten kann. Beim bloßen Einkauf von Backwaren habe ich dieser Tage selbst darum gebeten, den Toilettenschüssel zu bekommen und eine Abfuhr erhalten.“

Wer Waren zum Mitnehmen verkauft, der macht auch die Toiletten dicht. Ein Problem, über das sogar Fahrer von Bringdiensten klagen. Selbst denen wurde vielfach bereits der Zugang zum Restaurant verwehrt, aus dem sie eine Speise zum Kunden bringen sollen, wie Spiegel Online schon im ersten Lockdown berichtete.
Das Beispiel Rauschwalde zeigt: Was bringt es einem alten Menschen, wenn in der Stadtmitte öffentliche Toiletten einziger Anlaufpunkt sind, man diese aber aufgrund Alter oder weil man als Behinderter häufiger auf Toilette muss, nicht erreichen kann. „Gerade jetzt, wo für viele alleinstehende Alte ein Spaziergang die letzte Möglichkeit ist überhaupt noch andere Menschen wenigstens von weiten zu sehen, bricht auch dieses Mindestmaß an sozialem Kontakt coronabedingt weg“, so Schug. Mit dem Lockdown bliebe für viele nun nur noch die Option, sich in der Innenstadt oder im engeren Bahnhofsumfeld die Füße zu vertreten – doch man müsse überhaupt erst einmal dorthin kommen.

Öffentliche Toiletten gibt es letztlich nur in der Altstadt in der Apothekergasse, in der Innenstadt am „Scharfen Eck“ an der Ecke Demianiplatz/Teichstraße, beim Imbiss an der Haltestelle Demianiplatz, im CityCenter, im Bahnhof sowie am Busbahnhof. Die Stadt Görlitz betont zu den genannten Toiletten: diese „sind ohne coronabedingte Einschränkungen geöffnet. Lediglich die Winterschließungen bis 1. April bei den Toilettenanlagen Stadtpark (Lindenweg), Brückenstraße und Am Nikolaiturm sind zu beachten.“
Doch welche Empfehlung sieht die Stadt für Ältere und Behinderte im Hinblick auf Toilettengänge außerhalb dieses engeren Innenstadtraums? Im Grunde keine, denn ergänzend hieß es auf Anfrage der Redaktion lediglich: „Die aufgezeigten Toilettenanlagen sind alle behindertengerecht zugängig“. Da stellt sich unweigerlich die Frage, ob Ordnungshüter ggf. angewiesen sind, nachsichtiger beim Anblick von „Geschäften“ außerhalb von Toiletten zu sein? „Diese Frage erübrigt sich, da es keine coronabedingten Einschränkungen gibt“, hieß es hierzu aus dem Rathaus.

Auf den nochmaligen Hinweis der Redaktion, dass diese Antwort offen lasse, wie ältere Stadtrandbewohner ggf. bis zur Innenstadt vordringen könnten, teilte die Pressestelle der Stadt Görlitz mit: „Das Urinieren in der Öffentlichkeit stellt eine Ordnungswidrigkeit dar und wird bei Feststellung durch das Ordnungsamt mit einem Verwarn- oder Bußgeld geahndet. Jedoch werden stets auch die konkreten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt.“ Der peinliche Rechtfertigungsdruck bleibt damit im Raum.

Till Scholtz-Knobloch / 14.02.2021

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