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Zwei Mütter: Polnische Mama, deutsche Mutti

Zwei Mütter: Polnische Mama, deutsche Mutti

Alodia Witaszek-Napierala wusste die Neuntklässler der Kodersdorfer Oberschule mit ihrer Lebensgeschichte durchaus zu beeindrucken.

Es fällt Neuntklässlern nicht leicht, eineinhalb Stunden ruhig auf ihren Stühlen zu sitzen. Um dies herauszufinden, bedarf es keiner wissenschaftlichen Studien.

Kodersdorf. Wenn sie es dennoch tun, dann nur, wenn etwas ihre Aufmerksamkeit ganz besonders fesselt. So geschehen am vergangenen Montag in der Aula der Oberschule Kodersdorf. Hier schaffte es eine kleine weißhaarige Dame mit einem für deutsche Ohren recht sperrigen Namen – Alodia Witaszek-Napierala – dafür zu sorgen, dass man eine Stecknadel hätte zu Boden fallen hören können.

Dabei waren die äußeren Voraussetzungen eher ungünstig. Frau Witaszek-Napierala sprach sehr leise und mit einem deutlichen Akzent. So musste man sich stark konzentrieren, um ihr zu folgen.

Dass die Kodersdorfer Schülerinnen und Schüler genau dies taten, muss dann also doch am Inhalt dessen gelegen haben, was Alodia Witaszek-Napierala vortrug.

Und der hatte es tatsächlich in sich. Die 1938 in Poznan (Posen) Geborene beteiligt sich nämlich am gegenwärtig in Ostsachsen tourenden Zeitzeugen-Programm des Sächsischen Kultusministeriums und des Maximilian-Kolbe-Werk e.V. „Die Zeitzeuginnen sind gekommen, um über ihre Erlebnisse und Erfahrungen während der NS-Zeit zu berichten. Sie wollen den jungen Menschen damit vermitteln, was damals wirklich geschehen ist“, erklärt der sächsische Kultusminister Christian Piwarz (CDU). „Viele von ihnen haben nur durch einen Zufall überlebt und fühlen sich gegenüber den Millionen von Ermordeten verpflichtet, diesen Teil der deutschen Geschichte an die zukünftigen Generationen als Mahnung weiter zu erzählen.“

Der Zufall, der Frau Alodia zu überleben half, bestand darin, dass die NS-Ärzte ihr bescheinigten, eine „Arierin“ zu sein. So musste sie nicht im Kinder-KZ Litzmannstadt bleiben, wo sie sicher gestorben wäre, sondern kam in ein SS-Kinderheim und später in ein sogenanntes „Lebensborn“-Haus.

Bis hierher ähnelt ihre Geschichte sicher der von vielen anderen Kindern der damaligen Zeit. Doch es gibt eine Besonderheit. Wenige Jahre nach dem Kriegsende fand Alodias polnische „Mama“ – zur Unterscheidung von ihrer deutschen „Mutti“ so genannt – ihr Kind wieder. Doch anstatt sich gegen die Herausgabe zu sperren, willigte die „Mutti“ sofort ein, das Mädchen seiner leiblichen Mutter zurückzugeben. Daraus entstand eine Freundschaft, die ein Leben lang hielt. Ein verblasstes Foto zeigt beide Frauen – die „Mutti“ und die „Mama“ – Arm in Arm. „Ist das nicht ein schönes Bild der Völkerfreundschaft?“, fragt Alodia Witaszek-Napierala, und dies ist tatsächlich ein Stecknadel-Moment.

Wie gesagt, die Schüler verhalten sich sehr diszipliniert und respektvoll. Hut ab. Doch dann kommt der Moment, an dem sie ein bisschen zu still sind – nämlich als es gilt, Fragen zu stellen. Ein fest eingeplanter Programmpunkt, der aber ausfallen muss, da niemand Fragen hat. Schade, denn es gibt sicher einiges, was die NS-Überlebende den 15-Jährigen von heute hätte mit auf den Weg geben können. So bleibt als Schlussakkord lediglich das Murren, als die Schüler die Bänke aus der Aula tragen sollen...

Uwe Menschner / 02.09.2018

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